08.10.2019 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die bloße Heranziehung des tatbezogenen Umsatzes zur Ermittlung der Höhe einer am maßgeblichen Bilanzstichtag angedrohten und nachfolgend auch festgesetzten Kartellgeldbuße bewirkt keine Abschöpfung des unrechtmäßig erlangten wirtschaftlichen Vorteils i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG
Gegen die Klägerin, eine AG, und weitere Betroffene wurde im Jahr 2013 (Streitjahr) durch das Bundeskartellamt (BKartA) wegen unerlaubter Kartellabsprachen ermittelt. Am 18.07.2013 unterrichtete das BKartA die Klägerin im Rahmen eines Angebots zur einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (Settlement-Schreiben) über seine Absicht, ihr gegenüber ein Bußgeld in Höhe von ... EUR festzusetzen. Es legte der Klägerin als Nebenbetroffene des Bußgeldverfahrens zur Last, dass es unter ihrer Mitwirkung zu verbotenen Kartellabsprachen gekommen sei.
Mit Bescheid vom 25.02.2014 verhängte das BKartA das Bußgeld in der angedrohten Höhe. Die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils i.S. von § 34 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.d.F. vom 26.06.2013 (BGBl I 2013, 1750) ordnete das BKartA nicht an. Der Zumessung des Bußgeldes lagen die Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren 2013 vom 25.06.2013 (Leitlinien 2013) zugrunde. Die Klägerin bildete in ihrer Bilanz auf den 31.12.2013 wegen des angedrohten Kartellbußgeldes eine handelsrechtliche Rückstellung in Höhe von ... EUR. Da sie hiervon 49 % i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG für steuerrechtlich abzugsfähig hielt, minderte sie im Rahmen ihrer Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr den erklärten Gewinn bzw. Gewerbeertrag um einen Betrag von … EUR. Das FA veranlagte die Klägerin zunächst insoweit erklärungsgemäß (Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheid vom 21. bzw. 24.04.2015). Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Später rechnete das FA den streitgegenständlichen Rückstellungsbetrag jedoch dem Gewinn bzw. Gewerbeertrag hinzu und änderte die Festsetzungen (Änderungsbescheide vom 28.05.2015).
Das FG Köln führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 377 veröffentlichten Urteil vom 24.11.2016 - 10 K 659/16 im Wesentlichen aus, dass entgegen der Auffassung der Klägerin der wirtschaftliche Vorteil aus dem Kartellrechtsverstoß, wie sich ausdrücklich aus dem Bußgeldbescheid ergebe, nicht i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG abgeschöpft worden sei. Mit der Heranziehung des tatbezogenen Umsatzes zur Ermittlung der Bußgeldhöhe sei keine automatische und zwangsläufige Abschöpfung des unrechtmäßig erlangten Mehrerlöses verbunden.
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (BFH Urteil vom 22.5.2019, XI R 40/17). Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass hinsichtlich der am Bilanzstichtag angedrohten und kurze Zeit später verhängten Geldbuße die Voraussetzungen für einen teilweisen Betriebsausgabenabzug nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG nicht gegeben sind. Da die Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit wie der betreffende Betriebsausgabenabzug selbst gleichen tatbestandlichen Voraussetzungen unterliegt, kommt die von der Klägerin im Streitfall begehrte Einkommens- und Gewerbeertragsminderung in Höhe von ... EUR nicht in Betracht. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 1 EStG darf eine von einer Behörde im Geltungsbereich des EStG festgesetzte Geldbuße, somit auch eine vom BKartA verhängte Kartellgeldbuße, den Gewinn nicht mindern. Das Abzugsverbot für Geldbußen gilt nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG allerdings nicht, soweit der wirtschaftliche Vorteil, der durch den Gesetzesverstoß erlangt wurde, abgeschöpft worden ist, wenn die Steuern vom Einkommen und Ertrag, die auf den wirtschaftlichen Vorteil entfallen, nicht abgezogen worden sind.
Im Hinblick auf eine Entscheidung des BVerfG ist seinerzeit die Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG um einen Satz 4 ergänzt worden. Danach gilt (bis heute unverändert) das Abzugsverbot für Geldbußen nicht, soweit der wirtschaftliche Vorteil, der durch den Gesetzesverstoß erlangt wurde, abgeschöpft worden ist, wenn dabei die Steuern vom Einkommen und Ertrag, die auf den wirtschaftlichen Vorteil entfallen, nicht abgezogen worden sind. Eine Ausnahme von dem in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 1 EStG normierten Abzugsverbot setzt nach Satz 4 dieser Vorschrift mithin u.a. voraus, dass die Geldbuße einen sog. Abschöpfungsteil hat.
Das FG hat im angefochtenen Urteil den Streit um eine auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG und § 7 Satz 1 GewStG) beruhende Einkommens- und Gewerbeertragsminderung in zeitlicher Hinsicht dem Streitjahr zugeordnet. Der Wortlaut des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG ("soweit der wirtschaftliche Vorteil … abgeschöpft worden ist") schließt die Bildung einer steuerwirksamen Rückstellung im Hinblick auf eine am maßgeblichen Bilanzstichtag noch nicht verhängte (aber angedrohte) Kartellgeldbuße nicht aus. Vielmehr wäre ein nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG abzugsfähiger Abschöpfungsteil der Geldbuße durch Bildung einer steuerwirksamen Rückstellung zu antizipieren.
In der Handelsbilanz sind gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die daraus folgende Passivierungspflicht gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und ist grundsätzlich gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG sowohl für die Steuerbilanz als auch im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags i.S. von § 7 Satz 1 GewStG zu beachten. Daher sind auch in der Steuerbilanz zunächst Rückstellungen für Geldbußen zu bilden, die jedoch durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung wieder insoweit für die steuerrechtlichen Zwecke zu neutralisieren sind, als das Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 1 EStG Anwendung findet. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus. Beruhen die Verbindlichkeiten (wie hier hinsichtlich der im Streitjahr zunächst noch angedrohten und nachfolgend auch verhängten Kartellgeldbuße) auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften, so bedarf es der Konkretisierung in dem Sinne, dass sie inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt sind.
Es ist davon auszugehen, dass das besondere Kriterium der hinreichenden Konkretisierung der Verbindlichkeit erfüllt ist, wenn sich (wie im Streitfall mit der durch Settlement-Schreiben vom 18.07.2013 angedrohten Kartellgeldbuße) der Kartellverdacht im laufenden Kartellverfahren hinreichend verdichtet hat. Am maßgeblichen Bilanzstichtag war das wettbewerbswidrige Verhalten der Klägerin entdeckt. Hiervon hatte die Klägerin auch Kenntnis und musste zudem mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit mit einer Sanktion in Höhe der angedrohten Kartellgeldbuße rechnen, da sie das Angebot zur einvernehmlichen Verfahrensbeendigung nicht angenommen hatte. Dies reicht für die Bildung einer bilanziellen Rückstellung aus. Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern - was die am 31.12.2013 erst noch angedrohte Kartellgeldbuße betrifft - auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, so kann eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist. Auch dies ist bei der streitgegenständlichen Rückstellung im Hinblick auf die vom BKartA angedrohte Sanktion für die der Klägerin angelasteten Kartellrechtsverstöße der Fall.
Allerdings kann die Rückstellung einer Verbindlichkeit ebenso wenig wie der betreffende Betriebsausgabenabzug über die steuerrechtlichen Abzugsverbote und -grenzen hinausgehen. Beide unterliegen den gleichen tatbestandlichen Beschränkungen. Es ist mithin nicht möglich, die Abzugsbeschränkungen im Wege der Rückstellung zu umgehen; Rückstellungen und Betriebsausgaben sind insoweit gleich zu behandeln. Wenn es damit im Streitfall darauf ankommt, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG erfüllt sind, besteht kein Hindernis darin, dass die konkrete Bußgeldbemessung am maßgeblichen Bilanzstichtag objektiv noch nicht vorlag. Denn es stand nach der Androhung des Bußgelds in konkreter Höhe mit Settlement-Schreiben vom 18.07.2013 und der den Leitlinien 2013 folgenden Praxis des BKartA am 31.12.2013 als dem maßgeblichen Bilanzstichtag tatsächlich fest, nach welchen Maßstäben die Geldbuße kurze Zeit später festgesetzt werden würde. Die Androhung der Geldbuße mit dem Settlement-Schreiben fand ihre Fortsetzung in der Festsetzung vom 25.02.2014. Der Anwendung von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG im Streitfall steht nicht unmittelbar ausschließend entgegen, dass das BKartA eine sog. Ahndungsgeldbuße angedroht und nachfolgend auch festgesetzt hat. Jedenfalls kann ein "subjektiver Abschöpfungswille" der Kartellbehörde für die steuerrechtliche Rechtsanwendung nicht unmittelbar bindend sein - es kommt vielmehr darauf an, ob eine Abschöpfung inkriminierter Einnahmen tatsächlich erfolgt.
Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Die angedrohte und nachfolgend festgesetzte Geldbuße enthält keinen Abschöpfungsteil; ein solcher liegt nicht allein darin, dass das Bußgeld die Liquidität des zu bebußenden Unternehmens belastet. Insoweit ist die Frage, ob einer Geldbuße Abschöpfungswirkung beizumessen ist, unter Beachtung der kartellrechtlichen Wertungen, die der Ermittlung der Bußgeldhöhe zugrunde liegen, zu beantworten. Es ist damit auf der Grundlage bußgeldrechtlicher Bestimmungen zu prüfen, ob und in welchem Umfang sowie in welcher Weise mit der im Streitfall zunächst noch angedrohten Geldbuße der aus dem Rechtsverstoß erlangte wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft werden würde. Gemessen daran war die angedrohte Geldbuße nicht auf die Abschöpfung eines konkreten Mehrerlöses bezogen.
Der Autor:
Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
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