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Was tun, wenn Krach?

24.03.2020  — Matthias Wermke.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Berlin ist eine große Stadt. Einfache Wahrheiten, einfache Worte. Manche Dinge scheinen aber so sehr auf der Hand zu liegen, dass man sich wundern muss, wenn manche Leute sie nicht erkennen. Der „Mietrecht kurios“-Fall dieser Ausgabe handelt von genau so einer Geschichte.

Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an das Wort Großstadt denken? Viele Menschen, viele Autos und viele Häuser. Also von allem irgendwie mehr als woanders, ist ja klar. Und da, wo es von allem mehr gibt, ist eben auch mehr Negatives zu finden: Mehr Gestank, mehr Stress, mehr Lärm.

Und wo konzentriert sich dieses „mehr“ ganz besonders? Genau, im Zentrum einer Stadt – oder, um es etwas lebendiger auszudrücken, in ihrem Herzen. Denn dort schlägt ihr Puls. Berlin, das weiß jedes Kind, macht da keinen Unterschied. Ganz im Gegenteil: Die Hauptstadt ist eine der bedeutendsten Kulturmetropolen der Welt, interessant für junge Unternehmen und für viele Menschen absoluter Sehnsuchtsort. Daher ist sie andauernd in Bewegung, die ganze Zeit im Wandel.

Unverhofft kommt oft

Es ergibt sich also aus der Natur der Sache, dass hier ständig gebaut wird. Dass es bei Mietsachen im Zentrum zu Mietminderungsstreitigkeiten wegen Lärmimmissionen kommt, lässt daher ein verblüffendes Geflecht mal mehr, mal weniger erstaunlicher Reaktionen entstehen.

Denn einerseits erstaunt es, dass dort Menschen hinziehen, die ihrerseits erstaunt sind, wenn gerade hier, im Herzen der Stadt und damit in ihrer direkten Nachbarschaft, Lärm, z. B. durch eine Baustelle, entsteht. Andererseits erstaunt es überhaupt nicht, dass sie davon genervt sind.

Und dennoch ist es ein bisschen so, als würden Sie nach Hamburg St. Pauli ziehen, aber buntes Licht hassen. Wenn dann aber neben Ihnen ein Nachtclub gebaut würde, der ganz besonders viel Licht hätte und Sie sich so sehr darüber ärgerten, dass Sie vor Gericht zögen, um dort Ihren Vermieter auf Mietminderung zu verklagen, wäre der Witz fast perfekt. Denn die Pointe würde noch fehlen: Das Gericht gibt Ihnen Recht!

„Lustige Geschichte, muss ich mir merken!“, werden Sie sich nun vielleicht denken. Doch das Lachen bleibt einem im Halse stecken, Hände schlagen sich über Köpfen zusammen, Ausrufe der Verwunderung mit zwei Buchstaben (zweiter ist ein H) werden ausgestoßen und Schläfen angestrengt massiert, hört man, dass es sich so ähnlich in unserer Hauptstadt zugetragen hat.

Was wächst, macht Lärm

Ausgangslage war, dass die Kläger von der Vermieterin, also der späteren Beklagten, eine Wohnung in der Nähe des Potsdamer Platzes mieteten. Wir erinnern uns: Der Potsdamer Platz ist nicht nur ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, sondern zudem auch noch einer der touristischen Anziehungspunkte Berlins.

Als die Mieter ihren Vertrag für ihre neue Wohnung unterschrieben, ahnten sie nicht, dass auf dem benachbarten, brach liegenden Grundstück ab Sommer 2018 Bauarbeiten beginnen würden, deren Ziel 92 Eigentumswohnungen, acht Stadthäuser und zwei Gewerbeeinheiten sein sollten. Völlig bestürzt von der Tatsache, dass in Berlin-Mitte riesige, freie Flächen bebaut werden könnten, und genervt vom Baulärm verklagten sie nun ihre Vermieterin rückwirkend auf eine Mietminderung von 15 % für die über die Dauer des Bauprojekts entrichteten Mietzahlungen.

Die Beklagte war mit dieser Forderung überhaupt nicht einverstanden. Sie argumentierte, dass man bei dem unbebauten Nachbargrundstück und der allgemeinen Bautätigkeit gerade in zentralen Statteilen Berlins hätte voraussehen können, dass es zu solchen Entwicklungen kommen würde. Somit sei es grob fahrlässig von den Mietern gewesen, diesen Mangel nicht einzuplanen.

Der Teufel steht vorm Detail

Das Landgericht Berlin hat ganz der Pointe entsprechend den Klägern Recht gegeben. Die Frage ist: Warum?

Natürlich stellt Lärmbelästigung einen Mangel der Mietsache dar. Man könnte sogar so weit gehen und behaupten: Was Wolfgang Petrys Gassenhauer „Wahnsinn“ für jede Scheunenfete ist, sind die Lärmimmissionen für die Ursachen von Mietminderungen. Will sagen, ein echter Klassiker. Somit ist auch der Anspruch der Kläger im konkreten Fall legitim.

Der Fehler der Vermieterin lag darin, bei Vertragsabschluss nicht schon auf den möglichen Mangel der Mietsache durch die anstehende Bebauung hinzuweisen. Die Mieter hätten also keinen Anspruch gehabt, hätten sie davon bereits gewusst oder wenn ihnen der Mangel aus grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben wäre.

Die Haltung der Vermieterin, dass man gerade an diesem Ort damit hätte rechnen müssen, ist zwar inhaltlich absolut korrekt, jedoch beißt sich die Argumentation letztlich in den eigenen Schwanz. Denn so hätte sie bei dem Vertragsabschluss auch direkt auf den Mangel hinweisen und eine entsprechende vertragliche Lösung finden können bzw. müssen.

Was ist nun daraus mitzunehmen? Wie immer ist die Lösung, um solche Probleme zu vermeiden, eine vernünftige und vorausplanende Vertragsgestaltung. Tut man das nicht, können einem augenscheinlich auch die offensichtlichsten Selbstverständlichkeiten zum Verhängnis werden.

Urteil: LG Berlin, 09. 01. 2020 – 67 S 230/19

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