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Deutsche Unternehmen im Digitalisierungsdilemma

17.03.2015  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Ernst & Young GmbH.

Fachkräftemangel und zu wenig Geld für Investitionen: Am Wirtschaftsstandort Deutschland könnten Milliardeninvestitionen in die Digitalisierung vorbeigehen – weil das nötige Wissen fehlt und die Unternehmen für diesen Bereich nicht genügend Mittel übrig haben.

Deutsche Unternehmen (ab zehn Millionen Euro Umsatz) werden in diesem Jahr zwar voraussichtlich insgesamt 41 Milliarden Euro in die Digitalisierung ihres Geschäfts investieren – es könnten aber noch bedeutend mehr sein. Denn jedes zweite Unternehmen gibt an, mehr investieren zu wollen, jedoch verhindern das vor allem die fehlenden finanziellen Möglichkeiten und mangelndes Know-how. Damit hinken die Investitionen in Deutschland deutlich denen im internationalen Vergleich hinterher, obwohl gerade deutsche Unternehmen mehr als andere von der digitalen Revolution verändert werden.

Weltweit und in Deutschland musste mehr als jedes zweite Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren deutliche Änderungen am eigenen Geschäftsmodell vornehmen. Grund sind in erster Linie neue Technologien, die das Kundenverhalten ändern und neue Wettbewerber auf den Plan treten lassen. Bislang besonders betroffen: Telekommunikations- und Medienbranche sowie Automobilunternehmen. Und die digitale Revolution erfasst immer mehr Branchen und zwingt in Zukunft immer mehr Unternehmen, sich zunehmend neu zu erfinden – vor allem deutsche Betriebe: Fast jeder zweite richtet sich darauf ein, dass neue Technologien künftig das eigene Geschäftsmodell infrage stellen werden – mehr als in allen anderen untersuchten Ländern. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 39 Prozent.

Das sind die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) unter 1.025 Unternehmen in zwölf Ländern.

Markus Heinen, Partner bei EY und Leiter der Strategieberatung für EMEIA (Europa, Mittlerer Osten, Indien und Afrika) kommentiert: „Deutschland ist ein Hochtechnologie- und Industriestandort. Hier bekommen die Unternehmen die Folgen der digitalen Revolution ganz unmittelbar zu spüren. Gleichzeitig entstehen in den kommenden Jahren neue Geschäftsmodelle und Wachstumschancen. Verlieren werden die Unternehmen, die zu lange an ihrem über Jahre oder Jahrzehnte bewährten Geschäftsmodell festhalten und nicht in alternativen oder diversifizierten Geschäftsmodellen denken.“

Deutsche Unternehmen mischen bislang bei Digitalisierung ganz vorn mit

Die Digitalisierung der Wirtschaft steht nicht erst bevor – sie ist bereits in vollem Gange: Bereits bei fast jedem dritten Unternehmen weltweit spielen digitale Technologien eine sehr große Rolle für das eigene Geschäftsmodell, bei weiteren 40 Prozent eine mittelgroße. Dabei geht Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern vorweg; nur das Nachbarland Schweiz ist in Sachen Digitalisierung noch deutlich weiter. Von den befragten Schweizer Unternehmen geben 41 Prozent an, digitale Technologien spielten für sie bereits eine sehr große Rolle, in Deutschland liegt der Anteil bei 36 Prozent.

„Es wäre wichtig, dass sich das Thema Digitalisierung vom Hype weg und hin zu einer umsetzbaren Strategie entwickelt. Es werden viele Projekte angestoßen, doch vielfach passiert das eher unabgestimmt beziehungsweise unkoordiniert. Helfen würden Leitlinien, die eine Richtung vorgeben und konkrete Schritte priorisieren, damit Digitalisierung als wichtiger Bestandteil des künftigen Wirtschaftswachstums immer mitgedacht wird. Digitalisierung wird zunehmend integraler Bestandteil einer Unternehmensstrategie“, betont Heinen.

Denn der Trend zur Digitalisierung ist nicht aufzuhalten: Jedes dritte Unternehmen rechnet damit, dass digitale Technologien für das eigene Geschäftsmodell in den kommenden Jahren deutlich an Bedeutung gewinnen werden, weitere 44 Prozent rechnen mit einer leicht steigenden Bedeutung. Die digitale Entwicklung scheint in Deutschland dabei deutlich rasanter zu verlaufen als in anderen Ländern: Hierzulande rechnen 41 Prozent der Unternehmen mit einer deutlich steigenden Bedeutung digitaler Technologien für ihr Geschäftsmodell, nur in China liegt der Anteil mit 42 Prozent noch etwas höher.

Weltweit sieht gerade einmal jedes vierte befragte Unternehmen keine Relevanz für sich – in Deutschland sogar nur jedes siebte. „Eine Taktik nach dem Motto ‚Augen zu und durch‘ wird nicht funktionieren“, sagt Olaf Riedel, Partner bei EY und Leiter Beratungsdienstleistungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Die Unternehmen müssen sich schon jetzt mit den Folgen der Digitalisierung befassen und entsprechende Strategien entwickeln. Die Auswirkungen bekommen alle Branchen zu spüren – allerdings mit unterschiedlicher Wucht und nicht alle sofort. Das produzierende Gewerbe kann beispielsweise ganze Lieferketten mithilfe digitaler Technik automatisieren und so immer das richtige Teil zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort haben. Das spart Geld und Zeit. Händler können ihren Kunden passende Produktvorschläge machen. Autos oder Waschmaschinen diagnostizieren Fehler selbst und machen Reparaturen somit einfacher“, nennt Riedel als Beispiele.

Schweizer Unternehmen investieren doppelt so viel wie deutsche

In Sachen Digitalisierung scheint die deutsche Wirtschaft zwar grundsätzlich auf Kurs zu sein – bei den konkreten Investitionen aber hapert es: So geben die befragten Unternehmen im weltweiten Durchschnitt an, 1,0 Prozent ihres Jahresumsatzes in Digitalisierung investieren zu wollen – das entspricht im Durchschnitt einem absoluten Wert von 29 Millionen Euro je befragtes Unternehmen. In Deutschland hingegen soll deutlich weniger investiert werden: 0,8 Prozent des Umsatzes bzw. 22 Millionen Euro.1 Hochgerechnet auf die gesamte deutsche Unternehmenslandschaft (nur Unternehmen mit mindestens zehn Millionen Euro Jahresumsatz) ist damit in diesem Jahr mit Digitalisierungsinvestitionen von 41 Milliarden Euro zu rechnen.

Weltweiter Spitzenreiter sind die Schweizer Unternehmen, die im Durchschnitt planen, 1,6 Prozent ihres Umsatzes bzw. 44 Millionen Euro zu investieren. Neben den Schweizer Unternehmen wollen auch die schwedischen (39 Millionen Euro), die südkoreanischen (36 Millionen Euro), die indischen (31 Millionen Euro) und die US-amerikanischen Unternehmen (30 Millionen Euro) überdurchschnittlich investieren. Im internationalen Vergleich relativ wenig Geld in die Hand nehmen wollen die französischen (19 Millionen Euro), die niederländischen und die italienischen Unternehmen (jeweils 18 Millionen Euro). Ähnlich viel wie die deutschen wollen die britischen und chinesischen Unternehmen in diesem Jahr in die Digitalisierung investieren.

„Obwohl der Megatrend Digitalisierung längst bei den deutschen Unternehmen angekommen ist – wenn es um konkret geplante Investitionen geht, sind deutsche Unternehmen weit von der Weltspitze entfernt und liegen sogar unter dem weltweiten Durchschnittswert“, sagt Markus Heinen.

Tatsächlich würden gerade die deutschen Unternehmen gern mehr investieren – wenn sie könnten: Immerhin jedes dritte deutsche Unternehmen gibt an, nicht über die nötigen Finanzmittel zu verfügen. Weltweit hindern mangelnde finanzielle Möglichkeiten nur jedes fünfte Unternehmen an weiteren Investitionen.

„Es ist auffallend, dass die Unternehmen aus der Eurozone deutlich weniger für die Digitalisierung ihres Geschäfts ausgeben wollen oder können als Unternehmen aus anderen Regionen. Womöglich spielen hier die schwache Wirtschaftsentwicklung und die ebenfalls eher trüben Konjunkturaussichten in Europa eine Rolle. Andererseits ist Kapital so günstig wie nie zuvor. Die deutschen Unternehmen scheinen ihre Prioritäten woanders zu setzen. Das ist aber gefährlich: Wenn die Unternehmen der Eurozone den Digitalisierungstrend verpassen, verlieren sie weiter an Wettbewerbsfähigkeit“, warnt Heinen.

Telekommunikationsbranche investiert am meisten – Energieunternehmen am wenigsten

Obwohl die Automobilbranche sich in besonderem Maß mit den Auswirkungen der Digitalisierung konfrontiert sieht und bereits heute digitale Technologien in erheblichem Umfang Teil des Geschäftsmodells sind, wollen ausgerechnet die befragten Automobilunternehmen vergleichsweise wenig in weitere Digitalisierungsschritte investieren: Durchschnittlich gerade einmal 0,7 Prozent ihres Umsatzes – etwa 15 Millionen Euro pro Unternehmen – sollen in diesem Jahr in digitale Investitionen fließen. „Die Digitalisierung in der Automobilindustrie scheint eine schrittweise Entwicklung zu sein. Einen Großteil der Mittel rufen die Autohersteller und die Zulieferer nach wie vor für ihr klassisches Geschäft ab, um ihre Modellpalette zu erweitern und Produktionskapazitäten zu schaffen“, sagt Heinen.

Mit Abstand am wenigsten wollen die Energieunternehmen investieren: Im Durchschnitt acht Millionen Euro oder 0,1 Prozent ihres Umsatzes. Am investitionsfreudigsten zeigen sich hingegen Telekommunikationsunternehmen (3,5 Prozent des Umsatzes bzw. 61 Millionen Euro) und Dienstleister (3,0 Prozent bzw. 54 Millionen Euro). Riedel: „Die Energieunternehmen fahren Sparprogramme, weil sie unter dem Ausstieg aus der Atomenergie und dem Rückbau von Kraftwerken leiden. Deswegen müssen sie in den Umbau von Geschäftsmodellen investieren. Sie sollten dabei aber die Investitionen in eine moderne digitale Technik nicht vernachlässigen. Insbesondere im Vertrieb können sie sich damit als besonders kundenfreundlich positionieren“, betont Riedel.

Auffällige Unterschiede auch in den Größenklassen: Gerade den Unternehmen mit einem sehr großen Umsatz (größer als zehn Milliarden Euro) scheinen Investitionen in die Digitalisierung besonders wichtig zu sein. Drei von vier Unternehmen dieser Größenordnung wollen nennenswert in Digitalisierung investieren – im Durchschnitt geben sie dafür 1,8 Prozent ihres Jahresumsatzes aus. Dicht dahinter folgen die Unternehmen mit einem Jahresumsatz von einer Milliarde bis zehn Milliarden Euro. 73 Prozent von ihnen wollen nennenswert investieren. Ihnen ist das Thema durchschnittlich 1,6 Prozent ihres Jahresumsatzes wert.

Deutsche Unternehmen sehen vor allem Chancen

Obwohl die deutschen Unternehmen bei den Investitionen weniger tun (können), als nötig wäre, um Anschluss an die Weltspitze zu halten, sehen sie die Digitalisierung überdurchschnittlich positiv: 75 Prozent der befragten deutschen Unternehmen bewerten die Digitalisierung der Wirtschaft als Chance für das eigene Geschäft – nur zwei Prozent sehen sie in erster Linie als Bedrohung. Damit sind die deutschen Unternehmen deutlich zuversichtlicher als ihre ausländischen Wettbewerber: Weltweit betrachten nur 64 Prozent die Digitalisierung als Chance, vier Prozent als Bedrohung.

Zu denken gibt allerdings, dass in der für Deutschland so wichtigen Automobilbranche der Anteil der Unternehmen, die die Digitalisierung vor allem als Gefahr für sich selbst begreifen, mit 15 Prozent erheblich höher ist als in anderen Branchen.

„Gerade die Automobilbranche steht vor großen Veränderungen, die durch die Digitalisierung erst ausgelöst werden – Beispiele dafür sind die Vernetzung der Fahrzeuge oder autonomes Fahren“, sagt Riedel. „Hier versuchen sich auch bisher branchenfremde Unternehmen an Lösungen, weil sie bereits das entsprechende Know-how im IT- Bereich haben. Die klassischen Automobilfirmen müssen sich dieses Wissen erst noch aufbauen oder durch Kooperationen ins Boot holen.“

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