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Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (Kommentar von Udo Cremer)

20.11.2017  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Zur Quantifizierung "künftiger Vorteile" i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG bei behauptetem Forderungsausfall

Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 2008 und 2009 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte in beiden Streitjahren Einkünfte aus der Untervermietung von Lagerräumen und Ladenlokalen ("etwa 5.912 qm und 326 qm") an "etwa 38 Mieter" (Untermieter) im Gebäudekomplex "X" in B. Diese Einkünfte wurden sowohl vom Kläger als auch vom FA als gewerblich behandelt. Die Räumlichkeiten hatte der Kläger vom Eigentümer (Vermieter) angemietet. Den Gewinn ermittelte er durch Betriebsvermögensvergleich. Die vom Kläger ausgewiesenen Gewinne legte das FA erklärungsgemäß den unter Vorbehalt der Nachprüfung gestellten Einkommensteuer- bzw. Gewerbesteuermessbescheiden zugrunde. Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung beanstandete die Prüferin u.a., der Kläger habe die Einnahmen aus den Untermietverhältnissen (Untermieten, Nebenkosten) nicht debitorisch verbucht (Soll-Versteuerung), sondern seiner Buchführung nur die von ihm in bar vereinnahmten Entgelte zugrunde gelegt (Ist-Versteuerung). Eine Kasse habe er erst ab 2009 geführt. Das FA setzte daraufhin die in den Untermietverträgen vereinbarten Entgelte an und änderte die Steuerfestsetzungen entsprechend ab.

Im Einspruchsverfahren wandten die Kläger ein, wenn schon die Einnahmen des Klägers aus den Untermietverhältnissen nach dem Soll zu verbuchen seien, müsse dies auch für dessen Aufwendungen gelten. Dies betreffe im Besonderen die ebenfalls nicht in die Buchführung einbezogenen Nebenkostenforderungen des Vermieters für 2008 (bis dato keine Abrechnung erteilt) und für 2009 (Abrechnung vom 27. Dezember 2010; Nachforderung in Höhe von 136.246,80 €). Letztere sei kreditorisch zu verbuchen. Hinsichtlich der Nebenkosten für 2008 müsse eine Rückstellung in Höhe von 56.811,27 € zugelassen werden, was dem Mittelwert der Nachzahlungen für die Jahre 2006 (11.820,62 €), 2007 (22.366,40 €) und 2009 entspreche. Dem folgte das FA nicht. Zwar lägen die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten vor. Den geltend gemachten Aufwendungen seien jedoch die - mit den Nachforderungen des Vermieters korrespondierenden - Forderungen des Klägers aus der Nebenkostenumlage gegen die Untermieter entgegenzuhalten. Dadurch würden die Aufwendungen bilanziell neutralisiert.

Das FG entschied mit in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2016, 1409 veröffentlichtem Urteil, es könne dahinstehen, ob die Voraussetzungen für die Bildung von Rückstellungen hinsichtlich der an den Vermieter zu leistenden Nebenkostennachzahlungen vorgelegen hätten. Jedenfalls könnten diese nicht mit den vom Kläger angesetzten Beträgen bewertet werden.

Die Revision ist begründet (BFH-Urteil vom 31.5.2017, X R 29/15). Die Vorentscheidung leidet an lückenhaften Tatsachenfeststellungen zur Gewerblichkeit der Vermietungstätigkeit des Klägers und kann bereits aus diesem Grund keinen Bestand haben. Die fehlenden Feststellungen können in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden. Die Sache ist daher mangels Spruchreife an das FG zurückzuverweisen. Mangels entsprechender Feststellungen des FG kann der erkennende Senat nicht beurteilen, ob der Kläger als Untervermieter gewerblich tätig und somit eine Rückstellungsbildung und Forderungsaktivierung überhaupt möglich war. Die vom Kläger begehrte Rückstellungsbildung setzt dessen Berechtigung zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 i.V.m. § 5 EStG voraus. Vorliegend sind die Beteiligten (und daran anknüpfend auch das FG) ohne Weiteres davon ausgegangen, der Kläger erziele Einkünfte aus gewerblicher Vermietung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Im angefochtenen Urteil fehlen jedoch Feststellungen, die es dem Senat ermöglichen nachzuvollziehen, aus welchen Gründen die Untervermietungstätigkeit des Klägers als gewerblich i.S. von § 15 Abs. 2 EStG einzustufen war. Wäre eine solche Gewerblichkeit zu verneinen, lägen Überschusseinkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) vor, bei denen die vorliegend streitgegenständliche Bilanzierung von vornherein nicht in Betracht käme.

Nach der Rechtsprechung des BFH geht das (Unter-)Vermieten einzelner (beweglicher oder unbeweglicher) Gegenstände in der Regel nicht über den Rahmen privater Vermögensverwaltung hinaus. Eine gewerbliche Vermietungstätigkeit ist erst dann anzunehmen, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten, die der Tätigkeit als Ganzes das Gepräge einer gewerblichen Betätigung geben, hinter der die eigentliche Gebrauchsüberlassung des Mietobjekts in den Hintergrund tritt. Derartige Besonderheiten lassen sich dem FG-Urteil nicht entnehmen. Die Gewerblichkeit der Untervermietung als solche kann von den Beteiligten auch nicht "unstreitig gestellt" werden, weil es sich bei der Einkünftequalifizierung um Rechtsanwendung handelt, die nicht zur Disposition der Parteien steht. Bereits aus diesem Grund kommt der Senat nicht umhin, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Sollte das FG im zweiten Rechtsgang erneut zur Gewerblichkeit der Untervermietungstätigkeit des Klägers kommen, wird es bei der Beurteilung sowohl des Ansatzes als auch der Höhe der in Streit stehenden Rückstellungen folgende weitere Gesichtspunkte beachten müssen: Das FG hätte sich nicht darauf beschränken dürfen, allein die völlige Wertlosigkeit der Ansprüche des Klägers gegen seine Untermieter zu prüfen. Etwaige, bereits in den Streitjahren vorzunehmende geringfügigere Wertberichtigungen hat es überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Wie die Ausführungen der Kläger erkennen lassen, waren solche jedoch von ihrem Klagebegehren als wesensgleiches Minus mitumfasst. Zwar haben die Kläger vor Gericht nur absolute Gewinnminderungen um 56.000 € (für 2008) bzw. 136.000 € (für 2009) beantragt. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass derartige Klageanträge entsprechend dem dahinterstehenden Klagebegehren auszulegen sind und nicht zu eng aufgefasst werden dürfen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage des betroffenen Beteiligten entspricht. Dies waren hier ersichtlich auch unterhalb der Schwelle des Totalausfalls liegende Wertberichtigungen. Die Feststellungslast obliegt dabei auch hinsichtlich eines geringeren Ausfallrisikos nach allgemeinen Grundsätzen den Klägern.

Allerdings hat sich das FG in tatsächlicher Hinsicht bislang zu Recht davon überzeugt, den Klägern sei der ihnen obliegende Nachweis eines bereits zum jeweiligen Bilanzstichtag bzw. innerhalb des Wertaufhellungszeitraums anzunehmenden Totalausfalls sämtlicher Nachforderungen gegen die Untermieter nicht gelungen. Zu der vom Kläger behaupteten Uneinbringlichkeit aller auf die Untermieter umgelegten Nebenkostennachforderungen hat es zusammenfassend festgestellt, aus den vom Kläger übersandten Unterlagen ergebe sich lediglich, dass dieser immer wieder die Zahlung von Mietzinsen und Nebenkosten habe anmahnen und beitreiben müssen. Solches reicht zum Nachweis einer völligen Wertlosigkeit nicht aus. Daran ändert auch das Vorbringen nichts, die Untermieter hätten die Nebenkosten in vielen Fällen überhaupt nicht oder nur in geringer Höhe gezahlt. Daraus ergibt sich vielmehr im Umkehrschluss, dass es durchaus zu Nebenkostenzahlungen gekommen ist, wobei offenbleibt, auf welches Jahr sich diese Aussage bezieht und in welchem Umfang Zahlungen geleistet wurden. Ein Wertansatz mit null Euro lässt sich auf einen derart unsubstantiierten Vortrag keinesfalls stützen.

Zudem fehlen generell Feststellungen zum Inhalt der streitgegenständlichen Gewerberaum(unter-)mietverträge. Da dies den Gegenstand der (Nach-)Forderungen des Vermieters gegen den Kläger und des Klägers gegen die Untermieter betrifft, kann anhand des angefochtenen Urteils nicht nachvollzogen werden, welche Nebenkosten im Verhältnis der jeweiligen Vertragsparteien zueinander überhaupt umlagefähig sind. Dies ist vorliegend jedoch von entscheidender Bedeutung, weil sich danach die - je nach vertraglicher Gestaltung u.U. abweichende - Höhe der Rückstellungen bzw. der zu passivierenden Verbindlichkeiten richtet. Die Vorinstanz hat unterstellt, dass die Ansprüche des Vermieters gegen den Kläger auf Nebenkostennachzahlung und die diesbezüglichen Ansprüche des Klägers gegen die Untermieter deckungsgleich sind. Das ist indes nicht zwingend.

Zu der von der Vorinstanz angewendeten Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG ist zu bemerken, dass die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung und für ihre Minderung aufgrund voraussichtlich mit der Erfüllung der Verpflichtung verbundener Vorteile parallel laufen. Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten darf (neben anderen Voraussetzungen) dem Grunde nach nur dann gebildet werden, wenn die Geltendmachung der Verpflichtung nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag wahrscheinlich ist. Entsprechendes gilt für die Gegenrechnung von mit der betreffenden Rückstellung sachlich zusammenhängenden "künftigen Vorteilen". Dieser einheitliche Bewertungsansatz ist geboten, um die tatsächlich eintretende Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit exakt bemessen zu können. Was die vorliegend streitige Quantifizierung "künftiger Vorteile" anbetrifft, ist aufgrund des genannten Gleichlaufs ebenfalls maßgeblich, in welcher Höhe der jeweilige Zukunftsvorteil mit überwiegender Wahrscheinlichkeit realisiert werden wird. Dies ist (allgemeinen Regeln der Rückstellungsbildung folgend) auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen. Sind Geldforderungen als "künftiger Vorteil" zu erwarten, ist für deren kompensatorische Berücksichtigung zunächst auf ihren voraussichtlichen Nennwert abzustellen. Davon ausgehend können u.a. etwaige über das allgemeine Kreditrisiko hinausgehende spezifische Ausfallrisiken in die einheitliche Rückstellungsbewertung miteinfließen, wobei den Steuerpflichtigen für solche steuermindernden Umstände die Darlegungs- und Beweislast trifft. Auch betriebliche Erfahrungen der Vergangenheit sowie wertaufhellende Umstände sind bei der insoweit anzustellenden Gesamtbetrachtung berücksichtigungsfähig. Nicht in Betracht kommt dagegen der Ansatz eines von den Umständen des Einzelfalls losgelösten branchenüblichen Sicherheitsabschlags.

Der Autor:

Udo Cremer

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuer­beraterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxis­orientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblatt­sammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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