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Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs (Kommentar von Udo Cremer)

05.02.2019  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Wann kann § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG angewendet werden? Und wann verwertet ein Erwerber seine Rechtsposition? Ein Fall des Bundesfinanzhofs liefert passende Beispiele, um diese Fragen zu beantworten. Udo Cremer kommentiert ein BFH Urteil vom 19.9.2018 (II R 10/16)

  1. Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist ausgeschlossen, wenn der Ersterwerber eine ihm verbliebene Rechtsposition aus dem ursprünglichen Kaufvertrag in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat.
  2. Der Erwerber verwertet seine Rechtsposition aus dem ursprünglichen Kaufvertrag, wenn er durch seine Unterschrift unter den Vertrag über die Aufhebung des Grundstückskaufvertrags mit einer grundbesitzen-den Gesellschaft bestimmen kann, wer die Anteile an dieser Gesellschaft erwerben darf. Der Anteilserwerb selbst muss nicht steuerbar sein.

Die A-GmbH war Mieterin eines Grundstücks, das sie an ein Logistik-unternehmen untervermietete. Die A-GmbH errichtete auf dem Grund-stück ein Gebäude. Sie war verpflichtet, dieses Gebäude bei Beendigung des Mietvertrags zu beseitigen. Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts, deren Anteile zu 100 % von einer niederländischen Holding-BV gehalten werden. Diese ist wiederum eine 100 %ige Tochter einer Holding S.à.r.l. Die S.à.r.l. gehört ihrer-seits zu 100 % einem Fonds, an dem drei weitere Konzerngesellschaften sowie mehrheitlich außenstehende Anleger beteiligt sind. Eine der beteiligten Gesellschaften ist zu 87,04 % unmittelbar und zu 10,88 % mittelbar über eine 100 %ige Tochtergesellschaft an einer weiteren Gesellschaft, der Y-BV, beteiligt.

Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 29. August 2013 erwarb die Klägerin von der A-GmbH das Eigentum an dem Gebäude auf fremdem Boden sowie von einer Kommanditgesellschaft diverse auf dem Grundstück befindliche Betriebsvorrichtungen (im Wesentlichen Gleisanlagen). Nach § 8 Ziff. 7 des Kaufvertrags sollte die Klägerin vorbehaltlich der Zustimmung der Grundstückseigentümerin anstelle der A-GmbH in den bestehenden Mietvertrag eintreten. Für den Fall, dass die Grundstückseigentümerin die Zustimmung zur Übertragung des mit der A-GmbH geschlossenen Mietvertrags auf die Klägerin nicht erteilen und die Laufzeit des Mietvertrags nicht verlängern würde, vereinbarten die Vertragsparteien ein Rücktrittsrecht bis zum 15. Dezember 2013. Das Finanzamt setzte für den Erwerb des Ge-bäudes auf fremdem Boden mit Bescheid vom 14. Oktober 2013 Grunderwerbsteuer fest.

In der Folgezeit lehnte die Grundstückseigentümerin die Verlängerung der Laufzeit des Mietvertrags zu unveränderten Konditionen ab und forderte als Voraussetzung für die Zustimmung zur Vertragsübernahme eine höhere Miete. Durch Vereinbarung vom 13. Dezember 2013 verlängerten die Klägerin und die A-GmbH die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts vom Kaufvertrag bis zum 23. Dezember 2013. Mit notariell beurkundeter Vereinbarung vom 17. Dezember 2013 hoben die A-GmbH und die Klägerin den Kaufvertrag auf. In derselben Urkunde veräußerten die Gesellschafter der A-GmbH 94 % der Geschäftsanteile an die Holding-BV, die Muttergesellschaft der Klägerin, und 6 % an die Y-BV. Der Kaufvertrag über die Betriebsvorrichtungen wurde in derselben Urkunde ebenfalls zunächst aufgehoben und zu einem etwas geringeren Kaufpreis erneut abgeschlossen.

Die Klägerin vermietete die Betriebsvorrichtungen anschließend an die A-GmbH, die diese an das Logistikunternehmen weitervermietete. Am 27. Januar 2014 beantragte die Klägerin beim FA die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 14. Oktober 2013. Das FA lehnte die Aufhebung durch Bescheid vom 10. Februar 2014 ab. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Nach Ansicht des FG wurde der ursprüngliche Kaufvertrag über das Gebäude auf fremdem Boden gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG rückgängig gemacht.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage, da die Voraussetzungen für eine Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllt sind (BFH Urteil vom 19.9.2018, II R 10/16).

Wird ein Erwerbsvorgang rückgängig gemacht, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist, so wird auf Antrag die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn die Rückgängigmachung durch Vereinbarung, durch Ausübung eines vorbehaltenen Rücktrittsrechts oder eines Wiederkaufsrechts innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer stattfindet (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG). "Rückgängig gemacht" ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt.

Wird im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Grundstück dieses weiterveräußert, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz der Vertragsaufhebung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der Verkäufer demzufolge nicht aus seinen Bindungen entlassen war. Dem früheren Erwerber verbleibt die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition jedenfalls dann, wenn z.B. der Aufhebungs- und der Weiterveräußerungsvertrag in einer einzigen Urkunde zusammengefasst sind. In diesem Fall hat er die rechtliche Möglichkeit, die Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags zum anschließenden Erwerb des Grundstücks durch eine von ihm ausgewählte dritte Person zu nutzen. Denn der Veräußerer wird aus seiner Übereignungsverpflichtung gegenüber dem früheren Erwerber erst mit der Unterzeichnung des Vertrags durch alle Vertragsbeteiligten und damit erst in dem Augenblick entlassen, in dem er bereits wieder hinsichtlich der Übereignung des Grundstücks an den Zweiterwerber gebunden ist.

Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist in einem solchen Fall jedoch nur dann ausgeschlossen, wenn der Ersterwerber eine ihm verbliebene Rechtsposition auch in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat. Eine Verwertung in diesem Sinne liegt vor, wenn die Einflussnahme des Ersterwerbers auf die Weiterveräußerung Ausfluss der ihm verbliebenen Rechtsposition ist. Dieselben Grundsätze wie bei der Weiterveräußerung gelten, wenn die Verkäuferin eine Gesellschaft ist, der Kaufvertrag rückgängig gemacht wird und in derselben Urkunde die Anteile an der Gesellschaft auf den Ersterwerber oder einen bzw. mehrere von diesem bestimmte Dritte übertragen werden.

In diesem Fall behält der Ersterwerber (wirtschaftlich gesehen) den durch den ursprünglichen Kaufvertrag begründeten Zugriff auf das Grundstück, obwohl dieses nach der Rückgängigmachung des Kaufvertrags zivilrechtlich bei der Gesellschaft verbleibt. Erfolgen die Rückgängigmachung des Kaufvertrags und die anschließende Übertragung der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft in einer Urkunde, nutzt der Ersterwerber seine Rechtsposition aus dem ursprünglichen Kaufvertrag, um zu bestimmen, wer die Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft erwerben darf. Stellt er damit sicher, dass er selbst oder ein von ihm bestimmter Dritter die Anteile erwerben kann, liegt darin eine die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ausschließende Verwertung der Rechtsposition aus dem ursprünglichen Kaufvertrag im eigenen wirtschaftlichen Interesse. Entsprechendes gilt, wenn die Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft durch mehrere vom Ersterwerber des Grundstücks bestimmte Dritte erworben werden.

Der Erwerber verwertet seine Rechtsposition aus dem ursprünglichen Kaufvertrag nicht nur dann zu eigenen wirtschaftlichen Zwecken, wenn er Einfluss auf den späteren Weiterverkauf des Grundstücks ausübt. Es reicht vielmehr aus, wenn er durch seine Unterschrift unter den Vertrag über die Aufhebung des Grundstückskaufvertrags mit einer grundbesitzenden Gesellschaft bestimmen kann, wer die Anteile an dieser Gesellschaft erwerben darf. Entscheidend ist, ob der Erwerber sich oder einem oder mehreren Dritten einen maßgeblichen Einfluss auf die grundbesitzende Gesellschaft verschafft. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn der Anteilserwerb nicht zu einem (weiteren) grunderwerbsteuerbaren Vorgang führt.

Der Autor:

Udo Cremer

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuer­beraterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxis­orientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblatt­sammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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