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Progressive sowie retrograde Methode der Wertermittlung bei Teilwertabschreibung von Umlaufvermögen (Kommentar von Udo Cremer)

29.09.2015  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Experte Udo Cremer erläutert anhand eines Beispiels, welche Möglichkeiten es bei der Abschreibung des Teilwertes von Umlaufvermögen gibt und wann diese anzuwenden sind.

  1. Der Teilwert von Umlaufvermögen kann nach der sog. progressiven, am Beschaffungsmarkt orientierten oder nach der sog. retrograden, am Absatzmarkt orientierten Methode ermittelt werden.
  2. Gegenstand jeder Bewertung einschließlich der Ermittlung des Teilwerts ist grundsätzlich das einzelne Wirtschaftsgut. Daher muss sich auch die Ermittlung des Teilwerts grundsätzlich auf das einzelne Wirtschaftsgut beziehen. Aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen insbesondere im Hinblick auf die praktische Durchführung der Bewertung - damit auch im Rahmen der Teilwertermittlung - sind allerdings Ausnahmen zulässig.
  3. Ob zu Bewertungszwecken eine Zusammenfassung von Wirtschaftsgütern und damit im Ergebnis ein Pauschalabschlag zulässig ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Es hängt vom jeweiligen Sachverhalt, etwa von den konkreten Marktverhältnissen oder den Rahmenbedingungen des jeweiligen Betriebs und der Branche ab, ob und in welchem Umfang Verallgemeinerungen möglich sind.
  4. Der Steuerpflichtige trägt für sämtliche tatsächlichen Voraussetzungen der Teilwertabschreibung die Feststellungslast.

Der Kläger handelte seit vielen Jahren mit Orientteppichen. Den Gewinn ermittelte er auf der Grundlage handschriftlicher Aufzeichnungen durch Betriebsvermögensvergleich. Der Kläger kaufte, wie es branchenüblich ist, Teppiche in sog. Partien zu Gesamtpreisen ein. Die Partien enthielten jeweils Stücke ganz unterschiedlicher Qualität. Der Kläger teilte den Gesamtpreis im Wege der Schätzung (gestützt auf langjährige Berufserfahrung) auf die einzelnen Teppiche auf. In einem Warenkonto erfasste er so jeden Teppich für sich, identifiziert durch eine fortlaufende Nummer, die Herkunftsbezeichnung (Provenienz) sowie die Angabe von Länge und Breite, mit diesen Anschaffungskosten. Beim Verkauf zeichnete er den jeweiligen Verkaufspreis im Erlöskonto nebst Umsatzsteuerkonto auf. Den zum Jahresende noch vorhandenen Schlussbestand hielt der Kläger in einem Inventarverzeichnis fest. Als Wert übernahm er dabei jeweils den ursprünglich vermerkten Einkaufspreis. Im Laufe des Streitjahres 2000 kam es zu einem bereits im ersten Halbjahr spürbaren, im zweiten Halbjahr auf fast 50 % angestiegenen Rückgang der Erlöse. Ab dem zweiten Quartal hatte der Kläger seinen Einkauf reduziert. Im Jahre 2001 sanken die Erlöse weiter.

Vor diesem Hintergrund nahm der Kläger auf den gesamten zum 31.12.2000 vorhandenen und noch mit den Anschaffungskosten angesetzten Bestand an Teppichen eine Abschreibung von 25 % vor. Das FA setzte die Einkommensteuer zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Im Rahmen einer Betriebsprüfung beanstandete der Prüfer, dass der Kläger keine Einzelbewertung vorgenommen habe und verlangte Nachweise dafür, dass sich bei jedem einzelnen Wirtschaftsgut der Wert dauerhaft gemindert habe. Der Kläger erklärte, der Umsatzrückgang im Streitjahr beruhe auf einem allgemeinen Desinteresse für Orientteppiche bei jüngeren Käuferschichten einerseits und einem durch Erbgänge bedingten überhöhten Bestand im Privatbereich andererseits. Der steuerliche Vertreter erstellte eine weitere Berechnung, mit der er durch Saldierung der erzielten und erwarteten Verkaufspreise für die inventarisierten Teppiche mit seinen eigenen Kosten einen Verlust errechnete, der die vorgenommene Abschreibung noch deutlich überstieg und einem Bewertungsabschlag von 40 % entsprochen hätte. Der Prüfer nahm eine Einzelüberprüfung für die zum 31.12.2000 im Inventar vorhandenen und in den Folgejahren verkauften Teppiche vor. In 16 Fällen hatte der Verkaufspreis unter dem Einstandspreis, in 460 Fällen darüber gelegen. Er hielt die Berechnung des Klägers nicht für einen ausreichenden Einzelnachweis darüber, dass der Veräußerungspreis am Bilanzstichtag unter die Selbstkosten zuzüglich eines durchschnittlichen Unternehmergewinns gesunken sei, und machte den Bewertungsabschlag in voller Höhe rückgängig. Die Einkommensteuer wurde entsprechend höher festgesetzt. Nach erfolglosem Einspruch hat das FG mit seinem in EFG 2013, 604 veröffentlichten Urteil die Klage abgewiesen. Die Teilwertabschreibung sei sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich nicht zulässig gewesen. Es sei nicht feststellbar, dass der Teilwert der Teppiche dauerhaft unter die Anschaffungskosten gesunken sei.

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (BFH-Urteil vom 09.12.2014 – X R 36/12). Der Senat kann aus materiell-rechtlichen Gründen nicht in der Sache selbst entscheiden. Die Sache wird daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, damit das FG die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG ist bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens, zu denen die Teppiche gehören, die Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert möglich. Dabei ist grundsätzlich das einzelne Wirtschaftsgut zu bewerten, wobei die allgemein zulässigen Ausnahmen vom Einzelbewertungsgrundsatz auch im Rahmen der Teilwertermittlung anzuwenden sind. Der Senat vermag anhand der Feststellungen nicht zu beurteilen, ob und ggf. in welchem Umfang die geltend gemachte Teilwertabschreibung gerechtfertigt ist. Nach Maßgabe von § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist bei Umlaufvermögen eine Abschreibung auf den in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG definierten Teilwert vorzunehmen. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG sind abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens im Grundsatz mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder dem an deren Stelle tretenden Wert abzüglich der AfA anzusetzen. Nach Satz 2 kann der Teilwert angesetzt werden, wenn dieser auf Grund einer voraussichtlich dauernden Wertminderung niedriger ist. Nach dem Gebot der Wertaufholung des Satzes 4 schließlich hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass es bei dem niedrigeren Teilwert nach Satz 2 bleiben kann.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG gilt dies (mit Ausnahme der AfA) u.a. für das hier vorliegende Umlaufvermögen entsprechend. Nach den Sätzen 2 und 3 kann unter denselben Voraussetzungen wie beim Anlagevermögen der Teilwert angesetzt werden. Während es sich bei denjenigen Steuerpflichtigen, die den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermitteln, um ein Wahlrecht handelt, war der Steuerpflichtige bei Gewinnermittlung nach § 5 EStG gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG in der noch im Streitjahr geltenden Fassung verpflichtet, sein steuerliches Wahlrecht in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben, in der er gemäß § 253 Abs. 4 HGB aktueller Fassung, der dem § 253 Abs. 4 Satz 1, 2 HGB in der Fassung des Streitjahres entspricht, zur Teilwertabschreibung verpflichtet ist. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz wurde erst mit der Neufassung von § 5 Abs. 1 EStG durch das BilMoG aufgegeben, das dem Steuerpflichtigen ausdrücklich die abweichende Ausübung steuerlicher Wahlrechte ermöglicht. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist der Teilwert der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt. Der Steuerpflichtige, der eine Teilwertabschreibung in Anspruch nehmen will, trägt die Darlegungs- und Feststellungslast für die tatsächlichen Umstände, aus denen sich ein niedrigerer Teilwert ergeben soll.

Dazu sowie zur genaueren Bestimmung des Teilwerts hat der BFH in ständiger Rechtsprechung Teilwertvermutungen entwickelt. Ausgangspunkt der Teilwertbestimmung bei Umlaufvermögen ist zunächst die Vermutung dahin, dass der Teilwert im Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 bzw. Nr. 2 Satz 1 EStG entspricht, es sei denn, die Anschaffung wäre von vornherein eine Fehlmaßnahme gewesen. Für spätere Zeitpunkte hat der Steuerpflichtige zunächst die Möglichkeit, im Wege der sog. „progressiven”, am Beschaffungsmarkt orientierten Berechnungsmethode nachzuweisen, dass die Wiederbeschaffungskosten unter die ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten gesunken sind. Er hat sodann die weitere Möglichkeit, im Wege der sog. „retrograden”, am Absatzmarkt orientierten Berechnungsmethode einen weiteren Wertverfall nachzuweisen. Dies ist eine Rückrechnung vom voraussichtlichen Veräußerungserlös. Deckt dieser Preis nicht mehr die Selbstkosten der Waren zuzüglich des im Betrieb durchschnittlichen Unternehmergewinns, so sind die Anschaffungskosten um den Fehlbetrag zu mindern. In diesem Falle ist eine Teilwertabschreibung in Höhe der Differenz erlaubt, ggf. geboten.

Zur Durchführung dieser Berechnung sind (auf Grundlage der tatsächlichen betrieblichen Daten) Schätzungen vorzunehmen. Zunächst sind auf der einen Seite die voraussichtlichen Veräußerungserlöse zu schätzen. Grundsätzlich ist für eine Teilwertminderung nach dieser Berechnungsmethode eine Herabsetzung der Verkaufspreise erforderlich. Ob es voraussichtlich zu einer Preissenkung kommen wird, hat der Steuerpflichtige anhand seines kaufmännischen Erfahrungswissens einzuschätzen, aber auch zu belegen. Dies erfordert ausreichende und repräsentative Aufzeichnungen über tatsächliche Preisherabsetzungen auf Waren. Dabei kann die Einteilung in Gängigkeitsklassen im Einzelfall geeignet sein, Folgerungen für den Teilwert zu ziehen. Allein eine längere Lagerzeit, die nicht zu Preisabschlägen führt, genügt indes nicht. Auf der anderen Seite sind zunächst als Selbstkosten die Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen sowie der Anteil am künftigen betrieblichen Aufwand, der auf das zu bewertende Wirtschaftsgut entfällt (kalkulatorischer Unkostenaufschlag). Dieser kann aus dem Jahresabschluss abgeleitet werden. Schließlich ist der durchschnittliche Unternehmergewinn abzusetzen. Auch dieser Wert kann aus dem Jahresabschluss abgeleitet werden.

Gegenstand jeder Bewertung einschließlich der Ermittlung des Teilwerts ist grundsätzlich das einzelne Wirtschaftsgut. Ebenso wie nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG sowie § 240 Abs. 1 HGB jedes Wirtschaftsgut einzeln anzusetzen ist, ist grundsätzlich nach § 6 Abs. 1 EStG sowie § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB das einzelne Wirtschaftsgut Gegenstand der Bewertung. Daher muss sich auch die Ermittlung des Teilwerts grundsätzlich auf das einzelne Wirtschaftsgut beziehen. Aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen insbesondere im Hinblick auf die praktische Durchführung der Bewertung und damit auch im Rahmen der Teilwertermittlung sind allerdings Ausnahmen zulässig. Dazu gehört u.a. nach § 240 Abs. 4 HGB die Gruppenbewertung, die die Zusammenfassung im Wesentlichen gleichartiger Waren ermöglicht. Die Auffangvorschrift des § 252 Abs. 2 HGB ermöglicht darüber hinaus Abweichungen vom Gebot der Einzelbewertung in begründeten Ausnahmefällen, im Allgemeinen dann, wenn eine individuelle Wertermittlung unmöglich oder mit vertretbarem Zeit- und Arbeitsaufwand wirtschaftlich nicht mehr zu vereinbaren wäre.

Ob zu Bewertungszwecken eine Zusammenfassung von Wirtschaftsgütern und damit im Ergebnis ein Pauschalabschlag zulässig ist, ist demnach eine Frage des Einzelfalls. Es hängt vom jeweiligen Sachverhalt, etwa von den konkreten Marktverhältnissen oder den Rahmenbedingungen des jeweiligen Betriebs und der Branche ab, ob und in welchem Umfange Verallgemeinerungen möglich sind. Das betrifft insbesondere die Frage, ob Wertentwicklungen bei bestimmten Wirtschaftsgütern in tatsächlicher Hinsicht Rückschlüsse darauf zulassen, dass die Werte anderer Wirtschaftsgüter desselben Betriebs - etwa weil sie gleichartig sind - eine vergleichbare Entwicklung genommen haben, ob sie also Beweis dafür erbringen können, dass der Teilwert (auch) anderer Wirtschaftsgüter in entsprechender Weise gesunken ist. Für die tatsächlichen Voraussetzungen solcher Schlussfolgerungen trägt wiederum der Steuerpflichtige die Darlegungs- und Feststellungslast.

Der Senat vermag nicht zu entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang dem Kläger die begehrte Teilwertabschreibung zusteht. Da das FG sowohl hinsichtlich der Teilwertermittlung, namentlich der retrograden Wertermittlung, als auch hinsichtlich der hierbei in Betracht kommenden Generalisierungen von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, hat es die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen. Dies ist im zweiten Rechtsgang nachzuholen. Insbesondere sind Feststellungen dazu zu treffen, inwieweit die Preisentwicklungen hinsichtlich der im Folgejahr verkauften Teppiche Feststellungen zu den Werten aller im Lager verbliebenen Teppiche erlauben. Die Frage, inwieweit die verkauften Teppiche repräsentativ sind und den zu bewertenden Lagerbestand widerspiegeln, ist zunächst auf der Grundlage eines entsprechend konkreten Tatsachenvortrags des Klägers mit Hilfe der betrieblichen Unterlagen, ggf. auch durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Wertentwicklung am Teppichmarkt zum Stichtag zu beantworten. Sollten Feststellungen nicht möglich sein, geht dies grundsätzlich zu Lasten des Klägers, der für sämtliche tatsächlichen Voraussetzungen der Teilwertabschreibung die Feststellungslast trägt.

Der Autor:

Udo Cremer

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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