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Neue Rechtsprechung zur Abgrenzung einer abhängigen von einer selbständigen Beschäftigung (Teil 2)

22.06.2015  — Volker Hartmann.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Die Sozial- und Finanzgerichte müssen sich zunehmend und immer häufiger mit der schwierigen Rechtsfrage auseinandersetzen, ob es sich bei den im Betrieb eingesetzten Personen um abhängig beschäftigte Arbeitnehmer oder um nicht der Lohnsteuer- und Sozialversicherungspflicht unterliegende freie Mitarbeiter handelt.

Wie das Beispiel im ersten Teil des Artikels zeigte, ist eine in einem Krankenhaus beschäftigte OP-Kranken­schwester nach Auffassung des Landessozialgerichtes Hessen (vgl. Urteil vom 26.03.15, L 8 KR 84/13) nichtselbständig tätig.

Urteil Finanzgericht Niedersachsen vom 20.11.14, 5 K 32/13

Völlig anders sieht es hingegen bei osteuropäischen Pflegekräften aus, die von einer Agentur an pflege- und hilfsbedürftige Patienten vermittelt wurden. Diese Pflegekräfte sind aufgrund ihrer speziellen Tätigkeit nach Ansicht des Finanzgerichtes Niedersachsen vom 20.11.14, 5 K 32/13, selbständig tätig. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, weil die Finanzverwaltung gegen dieses Urteil Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt hat (Aktenzeichen V R 3/15).

Im hier streitigen Sachverhalt hat eine Seniorendienstleistungsagentur selbstständig tätige Pflegekräfte und Haushaltshilfen an Bedürftige vermittelt. Die Pflegekräfte hatten gegenüber der Agentur weder Anspruch auf Urlaub noch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der jeweilige Betreuungsvertrag wurde zwischen der Betreuungskraft und der zu betreuenden Person abgeschlossen worden. Die Agentur war hierbei nicht Vertragspartner der Pflegekräfte. Es bestand kein persönliches Abhängigkeitsverhältnis der Betreuungskräfte zur Agentur.

Nach Überzeugung des Finanzgerichts übten die Betreuungskräfte ihre Tätigkeit selbständig aus. Nach den einschlägigen umsatzsteuerrechtlichen Bestimmungen (vgl. § 2 Absatz 2 Nr. 1 UStG) wird eine Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind. Eine selbständige Tätigkeit liegt dagegen vor, wenn sie auf eigene Rechnung und eigene Verantwortung ausgeübt wird. Ein besonderes Gewicht hat hierbei insbesondere das Merkmal des Unternehmerrisikos in Form des Vergütungsrisikos. Die Frage der Selbständig­keit natürlicher Personen ist in steuerlicher Hinsicht grundsätzlich nach denselben Grundsätzen zu beurteilen. Da jedoch grundsätzlich keine Bindung der ertragsteuerlichen (lohnsteuerlichen) Beurteilung an die umsatz­steuerliche Beurteilung besteht, sind nach Auffassung der Finanzverwaltung theoretisch auch gegensätzliche und damit widersprüchliche Rechtsauffassungen möglich.

Im, hier vorliegenden Streitfall wurde im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der rechtlichen Verhältnisse und der tatsächlichen Durchführung den Merkmalen, die für eine Selbständigkeit der Tätigkeit stehen, höheres Gewicht beigemessen als den Merkmalen, die für eine unselbständige Tätigkeit sprechen.

Das Finanzgericht hat nach dem Gesamtbild der Verhältnisse entschieden und die einzelnen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen:

Die Tätigkeit der Betreuungskräfte wurde auf eigene Rechnung und auf eigene Verantwortung ausgeübt.

Die Betreuungskräfte trugen ein Unternehmerrisiko, dem ein besonderes Gewicht zukommt. Dies gilt insbesondere für das Vergütungsrisiko. Soweit die Betreuungsbedürftigen das Betreuungsgeld nicht gezahlt haben, trugen die Betreuungskräfte das entsprechende Ausfallrisiko direkt und unmittelbar.

Für eine Selbständigkeit spricht auch, dass die Betreuungskräfte keinen Anspruch auf Urlaub oder auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hatten. Für das von den Betreuerinnen zu tragende Unternehmerrisiko spricht auch der Vergütungsausfall im Krankheits- oder Todesfall der betreuten Personen.

Die Betreuungskräfte hatten keinen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Entgelts, wenn die zu pflegende Person verstarb oder ins Krankenhaus kam. Erst mit der Vereinbarung eines neuen Betreuungsvertrages erhielten sie wieder eine Honorarzahlung.

Die Pflegekräfte trugen das Risiko der Kundeninsolvenz.

Die Betreuungskräfte unterlagen in der alltäglichen Arbeit nicht einer Weisungsgebundenheit bzgl. Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit. Die Tätigkeit in den Haushalten der Pflegebedürftigen war so gestaltet, dass die Pflegekräfte selbständig den Haushalt führten. Sie trugen allein die Verantwortung hinsichtlich der einzelnen Tätigkeiten. Die Agentur hatte keine Kenntnis über die tatsächlichen Abläufe zwischen den Betreuten und den Betreuerinnen. Diese wurden zwischen dem Betreuten und der Betreuungskraft direkt abgesprochen.

Weil die Betreuungskräfte im Rahmen ihrer Tätigkeit erhebliche Handlungsspielräume hatten und weil ihnen große Entscheidungsbereiche belassen wurden, liegt nach Überzeugung des Finanzgerichts eine selbständige Tätigkeit vor. Die hier vorliegenden Rahmenbedingungen sind für eine arbeitnehmertypische Leistungspflicht uncharakteristisch.

Für die Selbständigkeit der Tätigkeit der Betreuungskräfte spricht auch, dass deren Tätigkeit nicht einer Kontrolle durch die Agentur unterlag.

Auswirkungen für die Praxis

Nach wie vor ist die Rechtsprechung zu dieser Thematik eher uneinheitlich und basiert auf Einzelfällen. Daher sollte der Arbeitgeber bereits im Vorfeld sehr sorgfältig prüfen, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht. Nach Möglichkeit sollte beim zuständigen Sozialversicherungs­träger ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren durchgeführt werden. In diesem Zusammenhang prüft der Sozialversicherungsträger, ob es sich um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handelt oder ob ein freies Auftragsverhältnis vorliegt. Darüber hinaus sollte sich der Arbeitgeber bereits im Vorfeld ein umfassendes persönliches Bild darüber machen, ob es sich bei der beauftragten Person um einen Unternehmer oder einen Arbeitnehmer handelt.


Der Autor:

Volker Hartmann

Volker Hartmann ist Diplom-Finanzwirt, Lohnsteueraußenprüfer und Betriebsprüfer im aktiven Dienst der Hamburger Finanzverwaltung. Volker Hartmann hat langjährige Prüfungserfahrungen, insbesondere bei Kapitalgesellschaften aller Branchen und Größen. Er ist seit vielen Jahren Referent und Autor beim Verlag Dashöfer. Seine Seminare zeichnen sich durch eine besondere Praxisnähe aus.

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