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Neue Rechtsprechung: Lohnsteuerliche Behandlung von Auslandsentsendungen bei einem sog. Treaty Override

04.04.2016  — Volker Hartmann.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Wenn der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer ins Ausland entsendet, hat entweder der inländische Wohnsitzstaat oder der ausländische Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht.

Bei einer Dauer der Entsendung bis zu 183 Tagen liegt das Besteuerungsrecht nach Maßgabe der jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen grundsätzlich beim Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers. In diesem Fall ist der inländische Arbeitgeber dazu verpflichtet, Steuerabzugsbeträge einzubehalten und an das zuständige Betriebstättenfinanzamt abzuführen.

Bei einer Entsendung von mehr als 183 Tagen liegt das Besteuerungsrecht im Regelfall beim ausländischen Tätigkeitsstaat. In diesem Fall braucht der Arbeitgeber keine Lohnsteuerabzugsbeträge einzubehalten. Der Arbeitnehmer ist nach dem nationalen Recht des Tätigkeitsstaates jedoch dazu verpflichtet, seine Lohneinkünfte im ausländischen Staat zu versteuern.

Rückfallklausel in Paragraph 50d Absatz 8 EStG

Nach Maßgabe der sog. Rückfallklausel in § 50d Absatz 8 EStG kommt eine endgültige Steuerfreistellung des Arbeits­lohnes im Inland immer nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer im Veranlagungsverfahren nachweisen kann, dass der ausländische Staat auf sein Besteuerungs­recht verzichtet hat oder dass eine Versteuerung im ausländischen Staat durchgeführt worden ist. Kann der Arbeit­nehmer diesen Nachweis nicht erbringen, ist der Arbeitslohn nach Maßgabe von § 50d Absatz 8 EStG im Veranlagungsverfahren der inländischen Besteuerung zu unterwerfen.

Verfassungsrechtliche Bedenken bei einem Treaty Override

Diese Rechtsauffassung war verfassungsrechtlich sehr umstritten. Bei der Rückfallklausel in § 50d Absatz 8 EStG handelt es sich um einen sog. Treaty Override.

Ein Treaty Override bezeichnet eine nationale steuergesetzliche Regelung, bei der sich ein nationaler Steuergesetzgeber über eine bestehende völkerrechtliche Vereinbarung, hier ein Doppel­besteuerungs­abkommen, hinwegsetzt. Streitig war, ob der inländische Gesetzgeber sich über eine völkerrechtliche Vereinbarung wie ein Doppelbesteuerungsabkommen hinwegsetzen darf, oder ob dieses verfassungswidrig ist.

Beschluss Bundesverfassungsgericht vom 15. 12.15, 2 BvL 1/12

Mit Beschluss vom 15. 12.15, 2 BvL 1/12 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass der Gesetzgeber zur Wahrung tragender Verfassungsgrundsätze durchaus von völkerrechtlichen Verträgen, wie dies bei einem Doppelbesteuerungsabkommen der Fall ist, abweichen dürfe. Nach Auffassung des Bundesverfassungs­gerichtes verpflichteten weder der verfassungsrechtliche Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit noch das Rechtsstaatsprinzip den Gesetzgeber zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Verträge.

Kein Vorrang des Grundgesetzes vor völkerrechtlichen Verträgen

Das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass das Grundgesetz keinen generellen Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor dem einfachen Gesetzesrecht hätte. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes sei Demokratie Herrschaft auf Zeit. Darüber hinaus sei der Gesetzgeber nicht für die Kündigung völkerrechtlicher Verträge zuständig. Daher müsse er in der Lage sein, innerhalb seines Kompetenzbereichs von völker­recht­lichen Vereinbarungen abzuweichen.

Auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich nicht, dass völker­vertrag­liche Regelungen nicht durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden können.

Kein Verstoß von Paragraph 50d Absatz 8 Satz 1 EStG gegen das Grundgesetz

Vor diesem Hintergrund verstößt § 50d Absatz 8 Satz 1 EStG nicht gegen das Grundgesetz.

Nach Maßgabe von Artikel 20 Absatz 3 GG ist der Gesetzgeber nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht aber an einfache Gesetze gebunden. Daher kann der Gesetzgeber das Zustimmungsgesetz zum DBA-Türkei 1985 ungeachtet der fortbestehenden völkerrechtlichen Verbindlichkeit durch den Erlass von Gesetzen, die den im Doppelbesteuerungsabkommen vereinbarten Regelungen inhaltlich widersprechen, aufheben oder ändern.

Auswirkungen für die Praxis

Im Ergebnis ist die Anwendung von § 50d Absatz 8 Satz 1 EStG verfassungsgemäß. Wie oben dargelegt, liegt bei einer Entsendung von mehr als 183 Tagen das Besteuerungsrecht im Regelfall beim ausländischen Tätigkeitsstaat. In diesem Fall braucht der Arbeitgeber zwar keine Lohnsteuerabzugsbeträge einzubehalten. Eine endgültige Freistellung von deutscher Einkommensteuer kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung nachweisen kann, dass er seine Einkünfte im ausländischen Tätigkeitsstaat versteuert hat.

Damit ist sichergestellt, dass es nicht zu ungerechtfertigten Steuervorteilen kommt, wenn der Arbeitnehmer seine Einkünfte im ausländischen Tätigkeitsstaat nicht ordnungsgemäß versteuert.


Der Autor:

Volker Hartmann

Volker Hartmann ist Diplom-Finanzwirt, Lohnsteueraußenprüfer und Betriebsprüfer im aktiven Dienst der Hamburger Finanzverwaltung. Volker Hartmann hat langjährige Prüfungs­erfahrungen, insbesondere bei Kapitalgesellschaften aller Branchen und Größen. Er ist seit vielen Jahren Referent und Autor beim Verlag Dashöfer. Seine Seminare zeichnen sich durch eine besondere Praxisnähe aus.

Hier finden Sie die aktuellen Seminartermine von Volker Hartmann.


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