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Kollegiale Raubkopien - Herstellung privater Raubkopien am Dienstrechner kann fristlose Kündigung rechtfertigen

31.07.2015  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Taylor Wessing Deutschland.

Das BAG befasst sich unter anderem mit der Frage, ob der Arbeitgeber die Ermittlungen im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung, bei der es um strafbares Verhalten des Arbeitnehmers geht, selbst anstellen darf und inwiefern es für die Wirksamkeit einer Kündigung darauf ankommt, welche Maßnahmen möglicherweise gegenüber anderen Beteiligten ergriffen wurden.

I. Einleitung

Ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kann das Arbeitsverhältnis nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dabei kann die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt erfolgen, in dem der Kündigungs­berechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 626 Bürgerliches Gesetz­buch). Das BAG bestätigt in seiner Entscheidung erneut, dass diese Frist nicht zu laufen beginnt, solange der kündigungsberechtigte Arbeitgeber zügige Ermittlungen durchführt. Diese Ermittlungen darf der Arbeitgeber alleine anstellen und muss hierzu nicht zwingend die Strafverfolgungsbehörden einschalten.

II. Sachverhalt

Der klagende Arbeitnehmer war seit Februar 1992 bei dem beklagten Land beschäftigt und nahm die Funktion des „IT-Verantwortlichen“ bei einem Oberlandesgericht wahr. Zu seinen Aufgaben gehörte unter anderem die Bestellung des für die Datenverarbeitung benötigten Zubehörs (Datensicherungsbänder, CDs und DVDs). Bei einer Mitte März 2013 erfolgten Geschäftsprüfung wurden auf den Festplatten eines vom Kläger genutzten Rechners mehr als 6.400 E-Book-, Bild-, Audio- und Videodateien vorgefunden. Ferner war ein Programm installiert, das geeignet war, den Kopierschutz der Hersteller zu umgehen. Es stellte sich heraus, dass in der Zeit von Oktober 2010 bis März 2013 über 1.100 DVDs bearbeitet worden waren. Im gleichen Zeitraum waren etwa gleich viele DVD-Rohlinge von Seiten des Gerichts bestellt und geliefert worden. Der Kläger ließ sich im Verlauf der Ermittlungen dahingehend ein, dass alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs sei, er „gemacht“ habe und er für andere Mitarbeiter „natürlich auch kopiert“ habe. Die Äußerungen nahm er einige Tage später ausdrücklich zurück. Das beklagte Land erklärte mit Schreiben vom 18. April 2013 die außerordentliche fristlose, später noch hilfsweise die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage, der die Vorinstanzen stattgaben. Das Landesarbeitsgericht (LAG) nahm dabei an, die Kündigungen seien schon deshalb unwirksam, weil unklar sei, welchen Tatbeitrag gerade der Kläger geleistet habe. Zudem habe die Beklagte durch lediglich eigene Ermittlungen weder eine umfassende, den Kläger möglicherweise entlastende Aufklärung leisten, noch den Beginn der zweiwöchigen Frist für die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung hemmen können. Das LAG war der Ansicht, dass die Beklagte ohne Weiteres den Aus- oder Fortgang eines Ermittlungs- und Strafverfahrens hätte abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt auf einer konkreten Ermittlungsgrundlage hätte kündigen können. Ferner rügte das LAG, dass gegenüber anderen Beteiligten keine vergleichbaren Maßnahmen ergriffen worden seien.

Die Revision der Beklagten vor dem BAG hatte hingegen Erfolg.

III. Die Entscheidung

Nach dem BAG könne ein Grund zur fristlosen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darin liegen, dass ein Arbeitnehmer privat beschaffte Bild- oder Tonträger während der Arbeitszeit unter Verwendung seines dienstlichen Computers unbefugt und zum eigenen oder kollegialen Gebrauch auf dienstliche „DVD“- bzw. „CD-Rohlinge“ kopiert hat. Hierbei komme es nicht darauf an, ob darin zugleich ein strafbewehrter Verstoß gegen das Urhebergesetz liege.

Eine (fristlose) Kündigung komme auch dann in Betracht, wenn der Kläger nicht alle fraglichen Handlungen selbst vorgenommen, sondern mit anderen zusammengewirkt oder das Herstellen von „Raubkopien“ durch diese bewusst ermöglicht habe. Aus dem Umstand, dass es ihm erlaubt gewesen sein mag, seinen dienst­lichen Rechner für bestimmte andere private Zwecke zu nutzen, konnte er nicht schließen, ihm seien die behaupteten Kopier- und Brennvorgänge gestattet.

Das BAG sah auch keinen Unwirksamkeitsgrund hinsichtlich der fristlosen Kündigung darin, dass die Beklagte Ermittlungen zunächst selbst angestellt und nicht sofort die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet hat. Solange der Arbeitgeber, dem ein solches Vorgehen unbenommen sei, die Ermittlungen zügig durchführe, werde auch dadurch der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB gehemmt.

Es sei auch nicht entscheidend, welche Maßnahmen die Beklagte gegenüber anderen Bediensteten ergriffen habe, da der Gleichbehandlungsgrundsatz im Rahmen verhaltensbedingter Kündigungen grundsätzlich keine Anwendung finde.

Das BAG hob das zweitinstanzliche Urteil auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung an das LAG zurück.

IV. Praxishinweis

Der Arbeitgeber ist zwar grundsätzlich nicht gezwungen, bei der Kündigungsentscheidung auf die Ermittlungs­ergebnisse von Strafverfolgungsbehörden zurückzugreifen. Allerdings darf er, wenn es um strafbares Verhalten des Arbeitnehmers geht, den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt (wenn er neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen neuen ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt) kündigen (BAG, Urteil vom 27.01.2011 – 2 AZR 825/09; Urteil vom 22.11.2012 – 2 AZR 732/11). Solange der Arbeitgeber die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen wie Ermittlungen und Anhörung des Betroffenen durchführt, läuft die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht an. Schließlich soll die Zweiwochenfrist nicht dazu veranlassen, voreilig zu kündigen. Allerdings muss eine Anhörung innerhalb einer kurzen Frist, die im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche beträgt, erfolgen. In Betracht kommen kann auch der Ausspruch mehrerer Kündigungen, gestützt auf veränderte Tatsachengrundlagen.

Zu berücksichtigen ist, dass der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass keine Tatsachen vorgelegen haben, die das kündigungsrelevante Verhalten des Arbeit­nehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen. Der Arbeitgeber muss also bei seinen Ermittlungen auch den Behauptungen konkret nachgehen, die der Arbeitnehmer zu seiner Rechtfertigung vorträgt. Wie bereits kürzlich in unserem Newsletter 26/15 (Keine fristlose Kündigung bei „betriebsüblichem“ Diebstahl) aufgezeigt, besteht grundsätzlich das Risiko, dass der Arbeitnehmer eine „Schutzbehauptung“ anführt, die nicht widerlegt werden kann. Von einer sich zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirkenden „betriebsüblichen Raubkopiererei“ scheint das BAG (dessen vollständig abgefasstes Urteil noch abzuwarten bleibt) allerdings nicht ausgegangen zu sein.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 16.07.2015 (Az.: 2 AZR 85/15)


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