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Innergemeinschaftliche Lieferung im Reihengeschäft bei Beauftragung und Bezahlung des Transports durch den letzten Abnehmer (Kommentar von Udo Cremer)

27.04.2015  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Experte Udo Cremer erläuert, was es mit der Beförderung von Lieferungen in innergemeinschaftlichen Reihengeschäften auf sich hat.

Die Klägerin betreibt als Vertragshändlerin ein Autohaus mit Werkstatt und Fahrzeughandel. Im Jahr 2007 (Streitjahr) veräußerte sie insgesamt 20 neue PKW an die B mit Sitz in X im Vereinigten Königreich (UK). Der Veräußerung lagen Bestellungen vom 4.5.2007 und vom 3.8.2007 über je 10 PKW zugrunde. Als Käuferin der ersten Bestellung, die unter Vermittlung von Herrn S erfolgte, war zunächst eine andere Person benannt. Die Klägerin änderte dies später durch Überkleben des Adressfeldes der Bestellungen auf die B ab. Die von der B jeweils angegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer wurde am 26.7.2007 bzw. am 30.8.2007 als gültig bestätigt. Die Klägerin rechnete beide Bestellungen jeweils einschließlich Transportkosten und einer Gebühr für die Kfz-Briefe gegenüber der B mit Rechnungen vom 31.7.2007 (erste Bestellung) bzw. vom 7.11.2007 (zweite Bestellung) ohne Umsatzsteuer ab. B veräußerte die PKW an die C mit Sitz in Y, UK, unter Ausweis britischer Mehrwertsteuer weiter (Rechnungen vom 11.7.2007 und vom 17.10.2007). Die PKW wurden im Streitjahr sukzessive von einer Spedition bzw. von einer Unterfrachtführerin der Spedition bei der Klägerin abgeholt und in das UK transportiert. Empfängerin der Lieferungen war ausweislich der insoweit erstellten CMR-Frachtbriefe und der jeweiligen "certificates of shipment" jeweils die C, wobei 11 Fahrzeuge unmittelbar nach Y, UK, und 9 Fahrzeuge nach Z, UK, geliefert wurden. Die Klägerin behandelte die Lieferungen der PKW als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen.

Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Nachschau ging das FA im Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für das Jahr 2007 vom 18.9.2009 dagegen davon aus, dass die streitbefangenen PKW-Lieferungen steuerpflichtig seien. Dies beruhte im Wesentlichen auf einer Auskunft der britischen Finanzbehörden, die u.a. B und S als sog. Missing Trader und als Beteiligte eines Umsatzsteuerbetruges einstuften.

Während des (erfolglosen) Einspruchsverfahrens reichte die Klägerin sog. weiße Speditionsbescheinigungen ein, die als Ausstellungsdatum den 7.7.2009 tragen. Danach hatte die B den Auftrag zum Transport der PKW an die Spedition erteilt. Ein während des Klageverfahrens vom FA an die britische Finanzverwaltung gerichtetes Auskunftsersuchen ergab hingegen, dass nicht B, sondern C die Spedition mit dem Transport der PKW beauftragt und diesen bezahlt hatte.

Das FG gab mit seinem in EFG 2013, 1711 veröffentlichten Urteil der Klage statt. Es stehe nicht fest, dass die Klägerin Kenntnis vom Weiterverkauf der PKW gehabt habe.

Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (BFH-Urteil vom 25.2.2015, XI R 30/13).

Entgegen der Auffassung des FG sind die streitbefangenen PKW-Lieferungen nicht allein deshalb nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 1 UStG als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, weil die Klägerin im Jahr 2007 noch keine Kenntnis von der Veräußerung der PKW durch die B an die C hatte. Der Senat kann aufgrund der vom FG bislang getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorliegen. Eine gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG vor, wenn der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat (Nr. 1), der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat (Nr. 2 Buchst. a), und der Erwerb des Gegenstands der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt (Nr. 3). Nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG müssen die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vom Unternehmer nachgewiesen sein. Die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG beruhte im Streitjahr 2007 auf Art. 131, 138 Abs. 1, 139 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL).

Danach befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt. Die Befreiung wird unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen. Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt der Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer, ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands gemäß § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG nur einer der Lieferungen zuzuordnen. Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt.

Gemäß § 3 Abs. 7 Satz 2 UStG gilt in den Fällen des § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG Folgendes:

  1. "Lieferungen, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung vorangehen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes beginnt.
  2. Lieferungen, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung folgen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes endet."

Zu der Frage, wie diese Vorschriften auszulegen sind, verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Urteile vom 28. Mai 2013 XI R 11/09 (BFHE 242, 84, BFH/NV 2013, 1524) und vom 25. Februar 2015 XI R 15/14. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn, wie im Streitfall, der Zweiterwerber den Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet.

Dabei kann bei einem im Unionsrecht bisher nicht gesondert geregelten Reihengeschäft (vgl. EuGH-Urteil Euro Tyre Holding in Slg. 2010, I-13335, UR 2011, 176, Rz 27) für die Frage der Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftliche Lieferung nicht allein entscheidend sein, ob der letzte Abnehmer eines Reihengeschäfts die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes übernommen hat; der vom FA in der Revisionsbegründung herangezogene Abschn. 3.14. Abs. 8 Satz 2 UStAE ist (worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat) mit der Rechtsprechung des EuGH nicht in vollem Umfang vereinbar. Hingegen kann der Umstand, dass die Beförderung vom Eigentümer des Gegenstands oder für dessen Rechnung durchgeführt wird, bei der Entscheidung, ob diese Beförderung der ersten oder der zweiten Lieferung zugeordnet wird, eine Rolle spielen. Dies setzt voraus, dass ihm vor der Beförderung oder Versendung die Befugnis, wie ein Eigentümer über den Gegenstand der Lieferung zu verfügen, übertragen worden ist. Die Übertragung der Befugnis, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen, kann z.B. sowohl in der Eigentumsübertragung auf den Erwerber als auch in der freiwilligen Übergabe durch den Eigentümer an den Erwerber zu sehen sein. Deshalb wird in dem Fall, dass der Zweiterwerber (C) den Gegenstand der Lieferung beim ersten Lieferer (A) persönlich abholt, oftmals dem Zweiterwerber (C) Verfügungsmacht verschafft und die Warenbewegung folglich der zweiten Lieferung (B an C) zuzuordnen sein. Allerdings kann sich aus den Gesamtumständen im Einzelfall Abweichendes ergeben.

Der Autor:

Udo Cremer

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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