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Haftung eines Arbeitgebers für die Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer (Kommentar von Udo Cremer)

03.09.2013  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Wird die Lohnsteuer auch für nicht ausgezahltes Weihnachtsgeld fällig? Diese Frage erläutert Ihr Experte Udo Cremer.

Die Klägerin, eine GmbH, wurde im Streitjahr 2002 errichtet. Deren alleinige Gesellschafterin war zugleich Geschäftsführerin. Die Klägerin sagte der Gesellschafter-Geschäftsführerin durch Geschäftsführervertrag eine Weihnachtsgratifikation zu, behielt sich insoweit aber das Recht zum Widerruf vor. Nachdem die (Allein-)Gesellschafter-Geschäftsführerin am 4.10.2002 beschlossen hatte, für das Streitjahr 2002 keine Weihnachtsgratifikation zu gewähren, wurde diese auch nicht ausgezahlt. Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung nahm das ursprünglich zuständige Finanzamt die Klägerin mit Haftungsbescheid für Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer neben weiteren, hier nicht streitigen Gründen auch hinsichtlich der auf die Weihnachtsgratifikation entfallenden Lohnsteuer in Anspruch, die von der Klägerin nicht einbehalten worden war. Nach insoweit erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage statt. Die Klägerin sei hinsichtlich der Weihnachtsgratifikation nicht zum Lohnsteuerabzug verpflichtet gewesen. Denn der Gesellschafter-Geschäftsführerin sei kein Arbeitslohn zugeflossen.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA den streitbefangenen Haftungsbescheid vom 9.12.2004 (geändert am 24.2.2005) am 9.8.2012 unter gleichzeitigem Erlass eines neuen Haftungsbescheids nach § 130 Abs. 1 AO zurückgenommen, da das Auswahlermessen in dem ursprünglichen Haftungsbescheid nicht hinreichend dokumentiert worden sei.
Die Revision ist unbegründet (BFH-Urteil vom 15. Mai 2013 VI R 28/12). Die Revision führt zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung, denn Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war noch der Haftungsbescheid vom 9.12.2004, der am 24.2.2005 geändert wurde. Da das FA diesen ursprünglichen Haftungsbescheid während des Revisionsverfahrens in vollem Umfang zurückgenommen und durch den Haftungsbescheid vom 9.8.2012 ersetzt hat, ist dieser zum Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Soweit dem Urteil eines FG ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde liegt, kann es keinen Bestand haben. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden unverändert die Grundlage für die Entscheidung des erkennenden Senats. Die Revision ist gleichwohl als unbegründet zurückzuweisen. Denn das Urteil der Vorinstanz ist im Ergebnis zu bestätigen. Die Klage ist begründet, da das FA das ihm eingeräumte Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt hat. Der Arbeitgeber haftet dafür, dass die von seinen Arbeitnehmern geschuldete Lohnsteuer einbehalten und an das FA abgeführt wird. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind er und die Arbeitnehmer Gesamtschuldner. Das FA kann die Steuerschuld oder die Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen.

Der streitbefangene Haftungsbescheid verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten, als das FA seiner Pflicht zur Ausübung des eingeräumten Ermessens nicht nachgekommen ist. Denn es war sich jedenfalls hinsichtlich des Auswahlermessens dieser Pflicht bei Erlass des ursprünglichen Haftungsbescheids vom 9.12.2004 überhaupt nicht bewusst. Es hat sich in diesem Haftungsbescheid lediglich auf die Feststellung beschränkt, dass die Klägerin Lohnsteuer in unzutreffender Höhe einbehalten und abgeführt habe und ihre Inanspruchnahme, insbesondere mangels entschuldbaren Rechtsirrtums, nicht unbillig sei. Auch in dem Änderungsbescheid vom 24.2.2005 und der Einspruchsentscheidung fehlen entsprechende Ermessenserwägungen.

Der Fehler, dass eine gebotene Ermessensausübung unterblieben ist, ist auch in der Folgezeit nicht geheilt worden. Nach § 102 Satz 2 FGO kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen. Im Streitfall hat das FA im Klageverfahren aber keine Ermessenserwägungen nachgeschoben. Denn es hat erstmals während des Revisionsverfahrens solche Ermessenserwägungen angestellt. Im Umkehrschluss aus § 102 Satz 2 FGO können diese im Revisionsverfahren jedoch unabhängig davon nicht mehr berücksichtigt werden, dass eine Ergänzung im Sinne dieser Vorschrift zumindest ansatzweise zuvor angestellte Ermessenserwägungen vorausgesetzt hätte. Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der Gesellschafterbeschluss über die Nichtauszahlung der Weihnachtsgratifikation einen Zufluss von Arbeitslohn bewirkt, kommt es angesichts dessen nicht mehr an.


Der Autor:

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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