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Guter Geschmack ist eigentlich Gewöhnung und Toleranz

14.12.2015  — Martina Morf-Koller.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Die meisten Menschen haben in ihrem Leben schon die Erfahrung gemacht, dass sie ein Nahrungsmittel zunächst nicht mochten, später jedoch schon − prominente Beispiele sind etwa Wein, Kaffee oder auch Spinat. Dr. Martina Morf-Koller erläutert die Hintergründe dieses Phänomens.

Liebe Leserin, lieber Leser,

nun, da bald wieder überraschend plötzlich Weihnachten stattfindet, fand auch mein alljährliches Advents-Kaffee-Treffen mit den Mädels von der Uni statt. Diesmal bei Steffi und natürlich „all inclusive“, also mit Finn und Lena. Es gab selbstgemachten Stollen, den Lena vehement mit den Worten „Oh nee, das ist nichts für meine Fadenpapillen“ ablehnte. „Papa mag das auch nicht, das liegt in der Familie.“ Allseits fragende Blicke. Dazu muss man wissen, dass die altkluge Lena zwar vom Bett bis zur Zimmertür zu vergessen scheint, was Muttern ihr aufträgt, aber erstaunliche Sachen aus ihren Hirnwindungen abrufen kann, wenn es darum geht, sich wichtig zu machen. Lassen Sie es mich mit Finns Worten verständlich ausdrücken: „Ich mag da nicht drauf herumkauen.“ Also meine Fadenpapillen, die sich zusammen mit Wall-, Blätter- oder Pilzpapillen meinen Mundraum teilen, hatten jedenfalls nichts gegen Selbstgebackenes einzuwenden.

Meine Oma pflegte bei Widerworten gegen aufgetischte Speisen gern zu sagen: „Schmeckt nicht, gibt´s nicht. Man muss es nur oft genug probieren!“ Und Sie werden es nicht glauben, die Wissenschaft gibt ihr Recht. Was ist überhaupt Geschmack? Wenn Sie es poetisch wollen, nennen wir es gustatorische Wahrnehmung, welche ein subjektiv erlebtes Empfinden des Schmeckens darstellt. Soll heißen: In unserer Mundhöhle wird durch die Kombination aus Geschmacks- und Geruchsinn, zusammen mit der Beurteilung mechanischer Eigenschaften und der Temperaturempfindung ein Gesamtpaket geschnürt, welches dann erst über Botenstoffe, dann mit Nervenzellsignalen Richtung Gehirn weitergeleitet wird. Dort wird die Information ausgewertet, mit bereits Vorhandenem verglichen, emotional eingefärbt, vielleicht noch mit einem Blick auf das Essen verknüpft und Ruckzuck haben wir den Geschmack. Ganz schön kompliziert.

Urzeitlich betrachtet, gehört der Geschmack zu den sogenannten Nah-Sinnen und war mal überlebenswichtig. Er diente dazu, möglichst schnell herauszufinden, ob Nahrung essbar oder giftig war. Deshalb befinden sich im gesamten Mundraum, insbesondere aber auf der Zunge, Papillen mit Geschmacksknospen. In ihnen liegen Zellen, welche auf fünf Grundqualitäten reagieren: süß, sauer, salzig, bitter und umami (würzig). Um es möglichst komplex und kompliziert zu machen, reagieren einige Zelle auf mehrere Grundqualitäten und haben so ihr eigenes spezielles Geschmacksmuster mit fester Rangordnung. Andere Zellen wiederum sind spezialisiert auf nur einen Reiz und vermitteln dadurch die Stärke des Reizes (z. B. sehr sauer oder schwach salzig). Damit unser Urmensch jetzt aber nicht schön auf seinem Testobjekt herumkaut, es runterschluckt und anschließend vom Gehirn gemeldet bekommt 'Pech, war ungenießbar', werden einige Infos vom Rückenmark unter Umgehung der bewussten Wahrnehmung direkt zu Hirnteilen weitergeleitet, die unser Überleben sichern. Und hurtig spuckt der Urahn das Zeug aus, ohne es hinuntergeschluckt zu haben. Funktioniert noch heute bei besonders bitteren Geschmacksempfindungen, faulig Schmeckendem − oder bei Finn, wenn Steffi etwas Neues kocht.

Wobei wir wieder beim Spruch meiner Oma sind. Kann man guten Geschmack lernen? − In uns lebt immer noch ein Urinstinkt, der über den Geschmack gesunde und nahrhafte Lebensmittel zu erkennen sucht, gemischt mit der Skepsis vor unbekannten Nahrungsbestandteilen. Gewohntes und Abgespeichertes bedeuten Sicherheit. Um die Geschmacksempfindlichkeit zu sensibilisieren, muss man das Angebot erweitern. Am einfachsten funktioniert dies durch bereits bekannte Speisen, bei denen man etwas Neues zum Probieren hinzufügt, welches aber nicht den Hauptbestandteil bildet. Man kann ausprobieren und wird trotzdem satt. Durch Assoziation mit gelernten Geschmackseindrücken verknüpft sich das neue Geschmacksmuster mit einer positiven Emotion. Vielleicht mag man das Ungewohnte zunächst nicht so gern, wenn man aber immer wieder einen Löffel probiert, wird man es irgendwann mögen. Das wird als 'Toleranz durch Gewöhnung' bezeichnet.

Wer seinen Geschmack schulen möchte, der isoliere einzelne Essenzen und probiere sie. Am leichtesten kann man dies mit den fünf Grundqualitäten ausprobieren. In etwas Wasser jeweils wenig Zucker, Salz, Essig oder Zitrone, Artischockensaft und Sojasauce auflösen. Ganz bewusst ein wenig davon im Mund kreisen lassen und fühlen, wo man es am ehesten schmeckt und wie es denn genau schmeckt. Wenn wir davon ausgehen, dass jede Geschmacksknospe und ihre 10-50 Sinneszellen in der Lage sind zehn verschiedene Intensitäten aus fünf Rezeptortypen wahrzunehmen, dann wären wir bei einer Million Sinneseindrücken. Das erlaubt unglaublich detaillierte Analysen. Damit lässt sich doch prima testen, wenn man es denn zulässt. Schnuppern Sie ausgiebig an ihrem Essen, überlegen Sie, ob sich nicht einzelne Zutaten durch andere ersetzen ließen, die einen ähnlichen Geruch haben. Probieren Sie ungewöhnliche Kombinationen wie z. B. Schokolade mit Salz oder Chili, Mango mit Cayennepfeffer, kandierte Zwiebeln. Im Gehirn ist genug Platz für alles.

Neuerdings hat man sogar einen Rezeptor für bestimmte lebenswichtige Fettsäuren dingfest gemacht, also eigentlich hatten wir den wohl schon immer, aber jetzt ist er aus seinem Versteck gekommen. Wie heißt es so schön: Fett ist ein Geschmacksträger. Damit kann man hervorragend seine Vorliebe für deftige Hausmannskost begründen, besonders im Winter, wenn es kalt ist.

Vielleicht noch ein Hinweis zum Schluss: Rauchen und zu viel Alkohol verändern die Struktur der Geschmacksknospen und schädigen ihre Oberflächenstruktur. Blutgefäße, welche die Papillen versorgen, verkümmern mit der Zeit. Dadurch werden Rezeptoren ausgedünnt und die Sensibilität lässt nach.

Ich wünsche Ihnen allen ein geschmacklich vielfältiges Weihnachtserlebnis!

Ihre Martina Morf-Koller

 

Die Autorin

Dr. Martina Morf-Koller lebt mit Mann und Kind in Hamburg-Bergedorf und arbeitet dort als Heilpraktikerin in eigener Praxis. Sie hat sich auf Beschwerden und Schmerzen des Bewegungssystems spezialisiert. Dabei behandelt sie Muskeln, Gelenke, Wirbelsäule und fasziale Netzwerke manuell und vermittelt alltagsbezogene ökonomische Bewegungsformen um die Körperstruktur nachhaltig zu verbessern. In klientenzentrierter Gesprächstherapie entwickelt sie mit Patienten individuelle Strategien zur Stressbewältigung. Als Ernährungsberaterin liebt sie es außerdem Wissenswertes zum Thema „gesunde Ernährung“ humorvoll aufzubereiten und praxistauglich ihren Patienten näherzubringen. Ernährungsberatung soll auf jeden Fall Genuss, Lebensfreude und auch Spaß vermitteln, denn sonst kommt das Wissen nicht an.



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