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Flüchtlingspolitik in Schweden: Ist es vorbei mit der skandinavischen Großzügigkeit?

14.10.2016  — Bernd Parusel.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Lange habe Schweden damit geprahlt, in der Flüchtlingspolitik Klassenbester zu sein; jetzt versuche man absichtlich, am schlechtesten dazustehen.

Mit dieser drastischen Einschätzung kommentierte die Zeitung Svenska Dagbladet letzten November ein umfassendes Maßnahmenpaket, das die Regierung in Stockholm kurz zuvor bekannt gegeben hatte und mit dem die bisher geltenden Standards der Asylpolitik in Schweden deutlich abgesenkt werden sollen. Schweden solle als Zufluchtsland weniger attraktiv werden; der Zuzug neuer Asylbewerber solle kräftig sinken, hieß es. Unter anderem ist vorgesehen, dass Schutzberechtigte statt unbefristeten künftig nur noch befristete Aufenthaltserlaubnisse erhalten. Flüchtlinge sollen ein Aufenthaltsrecht für drei Jahre bekommen, subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr. Auch soll der Familiennachzug erschwert werden und bei subsidiär Schutzberechtigten ganz wegfallen. Daneben führt Schweden seit Ende 2015 stichprobenartige Kontrollen an den Grenzen zu Dänemark und Deutschland durch, etwa an der Öresundbrücke und den Fährterminals in Südschweden. Bahn-, Fähr- und Busunternehmen dürfen seit Januar niemanden mehr nach Schweden transportieren, der keinen Identitätsnachweis vorweisen kann.

Seit der Ankündigung dieser Maßnahmen und insbesondere seit Inkrafttreten der Identitätskontrollen durch Transportunternehmen noch vor der Einreise nach Schweden ist die Zahl der Asylbewerber drastisch gesunken. Während im Herbst 2015 in manchen Wochen bis zu 10.000 Asylbewerber pro Woche nach Schweden kamen, waren es Anfang März 2016 nur noch rund 500. Ein weiterer Trend ist, dass immer mehr Asylbewerber Schweden wieder verlassen, noch bevor über ihre Anträge entschieden wird. Im Januar waren 34 Prozent aller Asylentscheidungen „formelle Erledigungen“ – dies bedeutet, dass Asylbewerber ihre Anträge zurücknahmen oder einfach nicht mehr auffindbar waren. Offenbar sahen sich viele nach ihrer Ankunft mit einer anderen Realität konfrontiert, als sie erwartet hatten.

Schweden hat sich also in sehr kurzer Zeit von einem der wichtigsten Zufluchtsländer der EU, das geradezu eine Sogwirkung auf Neuzuwanderer entfaltete, in ein ausgesprochen restriktives Land verwandelt. 2015 gehörte es zu den EU-Ländern, die gemessen an ihrer Bevölkerungsgröße die meisten Asylbewerber aufnahmen. Schweden hat rund 9,8 Millionen Einwohner und zählte 163.000 Asylanträge, das sind 16.016 Anträge pro eine Million Einwohner. Neben den vielen Schutzsuchenden kommen viele Migranten auch als Familienangehörige bereits in Schweden ansässiger Personen ins Land, als Arbeitskräfte im Rahmen des liberalen schwedischen Systems für Erwerbsmigration, als internationale Studenten, Au-pairs, oder auch als selbständige Unternehmer. Aktuell sind 16,5 Prozent aller Einwohner Schwedens außerhalb des Landes geboren. Vor 15 Jahren waren es nur rund 11 Prozent.

Was die Integration der Schutzberechtigten und anderer Neuzuwanderer angeht, wurde Schweden international lange als besonders progressiv und vorbildlich wahrgenommen. Dazu trägt bei, dass Asylbewerber im Normalfall unmittelbaren Arbeitsmarktzugang haben, während sie anderswo erst nach einer mehrmonatigen Sperrfrist und nach einer Vorrangprüfung durch die Arbeitsagenturen arbeiten dürfen. Auch sind die Standards der Unterbringung und Versorgung relativ gut, sowohl während des Asylverfahrens, als auch danach. Wer Verwandte oder Freunde in Schweden hat, darf bei ihnen wohnen und muss nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft warten. Die Anerkennungsquoten gehören seit Jahren zu den höchsten in Europa, und wer bleiben darf hat einen Anspruch auf Wohnungsvermittlung und einen individuellen „Integrationsplan“, der zwei Jahre lang läuft und unter anderem Sprachkurse, Berufspraktika und Beratung zur Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsqualifikationen beinhaltet. Während dieser Zeit wird eine Integrationsbeihilfe ausgezahlt und je nach Bedarf auch Wohngeld.

Aufgrund der umfassenden Zuwanderung der letzten Jahre hat Schweden jedoch auch zahlreiche Probleme. Während es in den größeren Städten schon lange einen Wohnungsmangel gibt, ist dies inzwischen auch in kleineren Kommunen im Hinterland ein drängendes Problem. Die Absorptionskraft des Arbeitsmarktes lässt ebenfalls zu wünschen übrig, viele Flüchtlinge brauchen jahrelang, bis sie einen ersten Job finden. Auch sind staatliche und kommunale Behörden überlastet, für individuelle Beratung bleibt zu wenig Zeit.

Während die Regierung die Asylpolitik drastisch verschärft hat, arbeitet sie gleichzeitig mit Hochdruck an einer besseren Integrationspolitik. Der Wohnungsbau soll angekurbelt werden und bei der Arbeitsvermittlung werden nun so genannte „Schnellspuren“ etabliert, über die Asylbewerber und Flüchtlinge einfacher und mit gezielter Beratung in Mangelberufe vermittelt werden. Bisher gibt es Schnellspuren für Köche, Gesundheits- und Pflegekräfte sowie Metzger/Schlachter. Mehr sollen folgen.

International setzt sich Schweden dafür ein, die unkontrollierte und meist irreguläre Zuwanderung von Schutzsuchenden zukünftig besser zu organisieren zu können und für die Betroffenen weniger riskant und gefährlich zu machen. Die EU-Staaten sollen Migranten mehr „legale Zuwanderungswege“ eröffnen, fordert die Regierung, beispielsweise in Form legaler Arbeitsmigration, durch Neuansiedlungsprogramme (Resettlement) oder humanitäre Visa. Kürzlich wurde eine Politikerin der grünen Partei Miljöpartiet, die zusammen mit der sozialdemokratischen Partei die Regierung bildet, damit beauftragt, konkrete Vorschläge dazu zu entwickeln. Aus einer menschenrechtlichen Perspektive ist dies einer der wenige Lichtblicke in einer Zeit, in der das als liberal und weltoffene bekannte Schweden angesichts der Herausforderungen der Flüchtlingskrise zunehmend einigelt.

 

Der Autor

Dr. phil. Bernd Parusel ist Politikwissenschaftler und Experte für den nationalen Kontaktpunkt Schweden im Europäischen Migrationsnetzwerk (EMN).

 

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