Finance Face Rodica Grube - Mit Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit

Rodica Grube mag kein Fernsehen. „Fernsehen ist für mich Langeweile pur.“ Statt dessen verbringt die 44-jährige ihre Freizeit mit Lernen für ihr Promotionsstudium – nach ihrem Arbeitstag als Kreditanalystin. Den Job innerhalb einer französischen Großbank in Hamburg hat sie erst zu Jahresbeginn aufgenommen. Er ist damit die jüngste Herausforderung, der sich die Finance-Fachfrau stellt. Was treibt sie an? „Ich habe 2013 meinen MBA abgeschlossen und schon im Studium festgestellt, dass es noch so viele spannende Aufgabengebiete gibt. Da habe ich mir gedacht: Wenn nicht jetzt noch etwas Neues beginnen, wann dann?“ Gesagt, getan: Rodica Grube sucht sich nach 20 Jahren leitender Positionen in Buchhaltung und Controlling eine neue berufliche Herausforderung. Das Thema Kreditrisikoanalyse hat sie schon während des MBA-Studiums interessiert, so schaut sie sich nach einer passenden Aufgabe um – mit Erfolg. Diese Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch Grubes Leben.

Plötzlich erwachsen

Dass die energische Rumänin ihr Leben mit Risikobeurteilungen, Bonitäts- und Objektanalysen oder Ratings verbringen würde, ist ihr nicht in die Wiege gelegt worden. Die Tochter eines deutschstämmigen Elektrikers und einer Schweißerin ist die mittlere von drei Schwestern. „Aber obwohl ich in Rumänien geboren wurde und meine Familie dort lebte, war ich immer die Tochter des Deutschen“, erinnert sich Grube. Als sie gerade 15 Jahre alt ist, erkrankt ihr Vater an Leukämie. Rodica Grube übernimmt die Verantwortung für die Familie, kümmert sich um Mutter und Schwestern. Die medizinische Versorgung in Rumänien in den 80er Jahren ist eine Katastrophe, der Teenager schreibt Bittbriefe, versucht für den Vater Medikamente aus Deutschland und Österreich zu besorgen.

Traumberuf Ärztin

Ihr Kindheitstraum, Ärztin zu werden, platzt mit der Erkrankung des Vaters. Es sind kaum finanzielle Mittel da. Rodica Grube heiratet jung, um die Familie finanziell zu entlasten, wie sie sagt. Und beendet, gegen den Widerstand ihres Ehemannes, ihr Abitur an der Abendschule. Mathematik und Naturwissenschaften sind ihre Lieblingsfächer. Im Unterricht wird, so erzählt Grube, viel Wert auf praktische Erfahrungen gelegt. „Wir waren wochenweise im Labor und haben Analysen durchgeführt.“ Die fundierte Ausbildung in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern kommt ihr später in Finance und Controlling zugute. Nach dem Abitur arbeitet sie als Lagerverwalterin und als Erzieherin in einem Kinderheim.

Wissen ist ihr Antrieb

Mehr können, mehr wissen wollen, das sei ihr Antrieb bis heute. Als ihr Vater mit 49 Jahren stirbt, wird auch ihre junge Ehe geschieden. Rodica Grube entschließt sich, ins Herkunftsland ihres Vaters zu gehen und kommt im November 1991 nach Hamburg. Ihre Deutschkenntnisse hat sie aus der Schule. „Aber ich musste sehr schnell erkennen, dass diese kaum für den Alltag reichen, geschweige denn für Schule und Ausbildung.“ Nicht nur Deutschkenntnisse muss sich Rodica Grube aneignen, das komplette Leben ist anders. Duzt oder siezt man die Kollegen? Wie ist der Flurfunk zu verstehen? Wie ziehe ich mich korrekt an? „Oft bin ich beispielsweise viel zu aufgestylt im Büro erschienen, weil sich Frauen in Rumänien auch im Alltag sehr zurecht machen“, erinnert sich Grube. Jede Information musste sie sich mühsam erkämpfen, „damals gab es so etwas wie zentrale Anlaufstellen zur Aus- und Weiterbildung noch nicht in dem Maße wie heute.“ Sie beginnt eine Umschulung zur Groß- und Außenhandelskauffrau. Über Wasser hält sie sich mit Jobs als Büglerin für Jil Sander und später als Assistentin der Geschäftsleitung im Modezentrum Hamburg.

Eine Frage der Einstellung und Organisation

Doch die eine Ausbildung reicht ihr nicht, sie schließt ein Studium an der damals kleinsten Hamburger Universität, der HWP Hochschule für Wirtschaft und Politik an. Wieder in einem für sie gänzlich neuen Bereich: Bei der Union Deutsche Lebensmittelwerke in Hamburg arbeitet sie als Werkstudentin in der Abteilung IT/Organisation, lernt beispielsweise Lotus Notes Datenbanken sowie Controlling-Dateien zu programmieren. Noch während des Studiums heiratet Rodica Grube und bekommt eine Tochter. Wie hat sie es geschafft, Familie, Ausbildung und später Karriere unter einen Hut zu bekommen? „Letztlich ist es eine Frage der Organisation und Einstellung“, sagt Grube. Auf ihren Mann hätte sie sich dabei sehr verlassen können, er habe stets ihren Weg unterstützt und sich auch hauptsächlich um die Tochter gekümmert.

„Man muss lieben, was man macht“

Rodica Grube ist immer in Bewegung, Innehalten liegt ihr nicht. Wie hält sie das Tempo durch? „Zufriedenheit ist das Wichtigste. Man muss lieben, was man macht“, sagt Grube. Nach ihrem Studium folgen verschiedene leitende Positionen im Rechnungswesen und Controlling. Mehr Mitarbeiter, höhere Stufen in der Karriereleiter, ein weiteres Aufbaustudium – der nebenberuflich abgeschlossene MBA – doch der Wissensdurst bleibt ungestillt. „Romane sind mir schnell langweilig, auf meinem Nachttisch liegen Bücher über Credit Risk Management oder die Immobilienkrise“, schmunzelt Grube über sich selbst. Diese Themen werden sie voraussichtlich die nächsten vier Jahre begleiten, dann will sie ihre Promotion über die Immobilienkrise in Spanien fertig haben. Auf Englisch. „Ich hätte auf jeden Fall meinen Weg gemacht – ob in Rumänien oder hier in Deutschland“, ist sich Rodica Grube sicher.