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EuGH: Widerrufsrecht bei Abos mit Testzeitraum

23.10.2023  — Rolf Becker.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Im Oktober 2023 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass einem Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Abo-Modell, welches sich nach einer Probefrist von 30 Tagen in ein kostenpflichtiges Abo umwandelt, nur einmal ein Widerrufsrecht zusteht. Rechtsanwalt Rolf Becker erläutert die Entscheidung.

Internetplattform mit Abo-Modell

Bei einer Internet-Lernplattformen für Schüler der Primar- und Sekundarstufe in Österreich, die von einer deutschen Gesellschaft betrieben wurde, konnte ein Verbraucher ein Abonnement schließen. Ein neuer Interessent konnte das Plattformangebot zunächst für 30 Tage kostenlos testen und während dieser Zeit jederzeit den auf das danach kostenpflichtige Abonnement gerichteten Vertrag fristlos kündigen. Erfolgte keine Kündigung, so wurde das Abonnement nach Ablauf dieser 30 Tage kostenpflichtig für eine bestimmte Laufzeit begründet. Das Abonnement verlängerte sich dann um einen bestimmten Zeitraum.

Wiederholendes Widerrufsrecht in jedem Abo-Abschnitt?

Eine solche Konstruktion mit Testzeiten und einem automatischen Übergang in den entgeltpflichtigen Vertrag findet sich in der Praxis häufig. Der Anbieter informierte auch über das Widerrufsrecht im Fernabsatz. Dabei gefiel es dem klagenden Verein für Konsumentenforschung, eine österreichische Verbraucherorganisation, nicht, dass dem Verbraucher nur ein einmaliges Widerrufsrecht zustehen sollte. Die Verbraucherschützer waren vielmehr der Ansicht, dass dem Verbraucher sein Widerrufsrecht (in Österreich „Rücktrittsrecht“) nicht nur bei Abschluss zu Beginn des 30-Tage-Testzeitraums zustehen sollte, sondern erneut bei Beginn des kostenpflichtigen Abonnements. Zudem sollte der Verbraucher ein weiteres Mal widerrufen können, wenn nach Ablauf des Ursprungszeitraums sich eine automatische Verlängerung anschließt. Dies ergebe sich aus Art. 9 der Richtlinie 2011/83 (sog. Verbraucherrechterichtlinie) und der österreichischen Umsetzung im Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz (FAGG). Der VKI macht Unterlassungsansprüche zur aus seiner Sicht falschen Widerrufsbelehrung geltend.

Oberster Gerichtshof Österreich bemüht EuGH

Der für die Praxis hoch relevante Rechtsstreit zog sich bis zum Obersten Gerichtshof in Österreich, nachdem das Handelsgericht Wien der Klage stattgegeben hatte und das Oberlandesgericht Wien diese Entscheidung wieder mit Urteil vom 18. März 2022 aufhob. Der Oberste Gerichtshof ersuchte den EuGH, der allein für die verbindliche Auslegung europäischen Rechts in der EU zuständig ist, um die Beantwortung der entsprechenden Fragen zur Auslegung im Rahmen eines sog. Vorabentscheidungsersuchens. Nach dem Wortlaut des § 11 FAGG könnten neben dem erstmaligen Vertragsabschluss auch die Verlängerung eines bestehenden, aber befristeten Vertragsverhältnisses oder die inhaltliche Änderung eines bestehenden Vertragsverhältnisses, wenn sie im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen vereinbart worden sind, dem FAGG unterliegen und damit zu einem Rücktrittsrecht des Verbrauchers hinsichtlich der vereinbarten Vertragsverlängerung oder Vertragsänderung führen.

Der EuGH stellt zunächst klar, dass sich die Angelegenheit noch nicht nach der Richtlinie 2019/2161 (sog. „Omnibus-Richtlinie“), die am 7. Januar 2020 in Kraft getreten ist, richtet. Diese war erst ab dem 28. Mai 2022 anzuwenden, während der zu entscheidende Fall davor spielte (Entscheidung erster Instanz 23. Juni 2021).

Widerrufsbelehrung und Preis von entscheidender Bedeutung

Der EuGH hob einmal mehr hervor, dass die aufgrund der Bedeutung des Widerrufsrechts für den Verbraucherschutz vorvertragliche Information über dieses Recht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung sei. Sie erlaube es ihm, die Entscheidung, ob er den Fernabsatzvertrag mit dem Unternehmer abschließen soll oder nicht, in Kenntnis der Sachlage zu treffen. Um von dieser Information vollumfänglich profitieren zu können, müsse der Verbraucher im Vorhinein die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts kennen. Ebenso entscheidend sei aber auch die Pflicht zur Angabe des Gesamtpreises nach Art. 6 der Richtlinie.

Grundsatz nur ein Widerrufsrecht, aber vielleicht doch zweimal

Grundsätzlich steht dem Verbraucher dabei nur ein Widerrufsrecht zu, wenn er beim Abschluss eines Vertrags, der einen kostenlosen Zeitraum der Erbringung von Dienstleistungen vorsieht, vom Unternehmer klar, verständlich und ausdrücklich darüber informiert wird, dass diese Leistung nach dem kostenlosen Zeitraum kostenpflichtig wird, wenn der Vertrag vom Verbraucher während dieses Zeitraums nicht gekündigt oder widerrufen wird.

Das konnte man noch erwarten. Überraschend ist aber die Wendung, dass der EuGH dieses Ergebnis unter einen Vorbehalt stellt.

Erhält der Verbraucher nämlich keine solche klare Information zum Preis, dann rechtfertigt dies aus Sicht des EuGH ein erneutes Widerrufsrecht bei Beginn der kostenpflichtigen Phase.

„Dagegen wäre bei Fehlen einer transparenten Übermittlung einer solchen Information zum Zeitpunkt des Abschlusses des betreffenden Vertrags ...der Unterschied zwischen der tatsächlich erteilten Information über die Vertragsbedingungen einerseits und den Vertragsbedingungen nach einer kostenlosen Testphase ... andererseits so grundlegend, dass nach der kostenlosen Testphase ein neuerliches Widerrufsrecht im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 anerkannt werden müsste.“

Damit führt die Intransparenz bei der Erfüllung einer Informationspflicht zum Preis bei solchen Abonnements automatisch zu einem erneuten Widerrufsrecht. Das ist eine neue Rechtskonstruktion, die es bislang so noch nicht gab.

Anwendbarkeit auf aktuellen Rechtsstand

Die Rechtsregelungen haben sich nicht nur mit der Omnibusrichtlinie, sondern auch mit der Umsetzung der Digitale-Inhalte-Richtlinie (EU) 2019/770 (Umsetzung ab 01.01.2022) geändert.

So umfasst letztere z. B. auch Verträge, für die der Verbraucher als Gegenleistung nur personenbezogene Daten zur Verfügung stellt, ansonsten aber nicht zahlt.

Damit ist die Regulierung von Vertragsabschlüssen, die kostenfreie und entgeltpflichtige Verträge verknüpfen noch komplexer geworden. Die vom EuGH bemühten Fernabsatzregelungen selbst haben sich allerdings nicht geändert. Damit ist nicht auszuschließen, dass der EuGH auch künftig bei Abo-Verträgen seinen entsprechenden Fokus und die Rechtsfolge eines erneuten Widerrufsrechts beibehält.

Fazit

Der EuGH beschreitet mit der aktuellen Entscheidung im Fernabsatzrecht, genauer beim Widerrufsrecht, vermeintlich neue Wege. Danach führt nicht nur eine mangelnde Belehrung zu einer Fortdauer der Widerrufsmöglichkeit durch die Anordnung, dass die Widerrufsfrist dann nicht beginnt. Vielmehr kann die Verletzung einer bestimmten Informationspflicht ebenfalls dazu führen, dass dem Verbraucher (erneut) ein Widerrufsrecht zusteht, für welches dann mangels Belehrung die Frist noch läuft. Solche Auswirkungen gab es allerdings auch schon einmal in der Vergangenheit nach deutschem Recht. Zudem ist anerkannt, dass wesentliche Veränderungen eines Vertrages ein neues Widerrufsrecht veranlassen können (z.B. OLG Koblenz, Urteil vom 28.03.2012, Az. 9 U 1166/11).

Wer sich mit der Abo-Praxis viel beschäftigt der weiß, dass dort gerne der Aspekt der Kostenlosigkeit des vorgeschalteten Probezeitraums hervorgehoben wird. Oft wird auf ein risikoloses Testen abgehoben. Solche Hinweise können aber je nach Gestaltung die Information zum vergütungspflichtigen Abonnement, welches sich unweigerlich an den kostenlosen Zeitraum anschließt, ins Hintertreffen gelangen lassen. Die Anforderung einer transparenten Preisinformation kann sich hier als scharfes Schwert in der Hand der Verbraucherschützer erweisen. Es dürfte spannend sein, wie der Oberste Gerichtshof mit diesen Vorgaben jetzt den Fall entscheidet.

Bild: Mikhail Nilov (Pexels, Pexels Lizenz)

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