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Entschädigung und Schadenersatz (Kommentar von Udo Cremer)

15.05.2018  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Udo Cremer kommentiert das BFH-Urteil zu Beurteilungn von Entschädigungen für entgangene Einnahmen, Abfindungen und Schadensersatz bei Auflösung oder Beendigung eines Arbeitsverhältnisses.

  1. Verpflichtet sich der Arbeitgeber vertraglich, im Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mehrere Zahlungen an den Arbeitnehmer zu leisten, ist eine einheitliche Entschädigung nur anzunehmen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür festgestellt sind, dass sämtliche Teilzahlungen "als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen" i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gewährt worden sind.
  2. Ist neben einer Entschädigung für entgangene Einnahmen, die sich ihrer Höhe nach im Rahmen des Üblichen bewegt, eine weitere Zahlung vereinbart, die bei zusammenfassender Betrachtung den Rahmen des Üblichen in besonderem Maße überschreiten würde, spricht dies indiziell dafür, dass es sich insoweit nicht um eine Entschädigung für entgangene Einnahmen handelt. Von einer Überschreitung in besonderem Maß ist auszugehen, wenn durch die zweite Teilzahlung die Höhe der Gesamtzahlung verdoppelt wird.

Der Kläger war als Geschäftsführer des A-Vereins tätig. Der Verein führt Selbstkontrollen in der Industrie durch. Am ... wurde der Kläger auf dem Heimweg zu seinem Wohnhaus Opfer eines Überfalls. Er erlitt lebensgefährliche Verletzungen am Kopf, musste in der Folge drei Mal operiert werden und ist seitdem schwerbehindert. Der Täter nahm den Autoschlüssel, die Geldbörse und das Mobiltelefon des Klägers an sich und flüchtete mit dessen Dienstwagen. Er wurde gefasst und wegen der Tat vom Amtsgericht zu einer Jugendhaftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Kläger versuchte zunächst, für die Folgen des Überfalls Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu erhalten (Arbeitsunfall). Das Sozialgericht gab der Klage statt. Das Landessozialgericht (LSG) hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Es führte zur Begründung u.a. aus, für einen vorsätzlichen Überfall bestehe grundsätzlich kein Versicherungsschutz. Etwas anderes gelte nur bei einem Angriff aus betriebsbezogenen Motiven. Daran fehle es. Der Täter habe im Strafverfahren wie bei seiner Vernehmung als Zeuge vor dem LSG angegeben, er habe nicht von vornherein geplant, gerade den Kläger zu überfallen. Er hätte auch jeden anderen überfallen können. Die Idee für den Überfall sei ihm spontan gekommen, um an ein Auto zu gelangen. Das LSG hat den Antrag des Klägers abgelehnt, den Anstaltspsychologen als Zeugen zu vernehmen. Selbst wenn der Täter im Rahmen des Resozialisierungsprogramms, wie vom Kläger behauptet, geäußert hätte, dem Kläger aufgelauert zu haben, ergebe sich daraus kein betriebsbezogenes Tatmotiv.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG zurückgewiesen. Der Kläger habe sich im Zeitpunkt des Überfalls nicht auf einem Betriebsweg befunden. Der Fußweg von seinem PKW zu seinem Privathaus habe auch nicht unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung gestanden. Nach bisheriger Rechtsprechung des BSG komme es deshalb (entgegen der Ansicht des LSG) nicht darauf an, ob der Täter sein Opfer aus "betrieblichen Motiven" überfallen habe. Am 1.2.2012 führte der Kläger in der Justizvollzugsanstalt X ein Gespräch mit dem Täter und fertigte über dessen Inhalt ein Gedächtnisprotokoll an. Bei dem Gespräch war der Sozialarbeiter Z anwesend. An diesen verschickte der Kläger das von ihm gefertigte Gedächtnisprotokoll am 3.2.2012 mit der Bitte um inhaltliche Bestätigung. Z bestätigte dem Kläger per E-Mail vom selben Tag, dass er dem Protokoll in allen Punkten zustimme. Nach dem Gedächtnisprotokoll hat der Täter in dem Gespräch mitgeteilt, für einen Auftraggeber tätig geworden zu sein, den er nicht nennen werde, der ihm den Ort und die genaue Zeit für den Überfall auf einem Zettel mitgeteilt habe. Er hätte dem Kläger einen Denkzettel verpassen, ihn aber nicht töten sollen. Als er gehört habe, wie der Kopf des Klägers "mit einem lauten Knacken" auf den Boden geschlagen war und sah, wie sich sofort eine Blutlache bildete, habe er fluchtartig den Tatort verlassen. Vor dem LSG habe er gelogen, weil er befürchtet habe, andernfalls mit weiteren Forderungen belastet zu werden. Aus dem Gespräch zog der Kläger den Schluss, dass es sich bei dem Überfall auf ihn um eine Auftragstat gehandelt habe, wobei der Auftraggeber aus seiner Sicht nur aus dem beruflichen Umfeld kommen könne.

Er machte deshalb gegen seinen Arbeitgeber Ansprüche auf Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden geltend, die er aus dem Überfall erlitten hatte und in Zukunft erleiden werde. Seine Forderungen stützte der Kläger auf § 670 BGB. Bei seiner beruflichen Tätigkeit sei er einem erhöhten Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden, ausgesetzt gewesen, welches sich in dem Überfall realisiert habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hafte der Arbeitgeber für diese Gefährdung auch ohne Verschulden. A lehnte eine entsprechende Haftung ab, verständigte sich jedoch mit dem Kläger auf die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsvertrags und Zahlung einer Abfindung. Am 6.6.2012 schlossen der Kläger und A einen "Aufhebungsvertrag und Vergleich" (Vergleich). Die Parteien verständigten sich u.a. darüber, das Arbeitsverhältnis des Klägers auf Betreiben von A zum 30.6.2012 zu beenden. Die aus der Pensionszusage zu zahlende Altersrente wurde einvernehmlich auf ... EUR beziffert. Der Beginn der Pensionszahlung wurde auf den für den Kläger geltenden gesetzlichen Renteneintritt festgelegt. A verpflichtete sich darüber hinaus, an den Kläger zwei Mal ... EUR zu zahlen. Nach dem Vergleich sollte zum einen eine Abfindung für die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses sowie für mögliche Verdienstausfälle und zum anderen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht Schadenersatz geleistet werden.

Dazu heißt es in der Präambel des Vertrags, A bestreite den Anspruch. Es sei nicht mit Sicherheit nachweisbar, dass der Überfall auf die dienstliche Tätigkeit zurückzuführen sei. Man sei aber bereit, sich über möglicherweise bestehende und in Zukunft entstehende Schadenersatzansprüche zu vergleichen, um einen langwierigen Rechtsstreit zu vermeiden und um beiderseitige Risiken zu begrenzen. A verpflichte sich deshalb "zum Ausgleich der möglicherweise aus dem Überfall ... entstandenen und in Zukunft entstehenden Ansprüche auf eine Mehrbedarfsrente und ein etwaiges Schmerzensgeld ... EUR" zu zahlen. A entrichtete auf den Abfindungs- und auf den Vergleichsbetrag die Lohnsteuer und zahlte die Nettobeträge im Streitjahr an den Kläger aus. In seiner Einkommensteuererklärung für 2012 beantragte der Kläger, den Vergleichsbetrag in Höhe von ... EUR für sonstigen Schadenersatz steuerfrei zu belassen. Das FA lehnte dies im Einkommensteuerbescheid vom 5.11.2013 ab. Insofern sei eine zusätzliche Abfindung gemäß §§ 19, 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu berücksichtigen. Eine Mehrbedarfsrente liege nicht vor. Der Kläger habe darauf keinen Anspruch; auch ein Anspruch aus § 670 BGB bestehe nicht. Dagegen erhob der Kläger Einspruch. Am 29.7.2014 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 2012 und berücksichtigte einen Verlustrücktrag aus dem Jahr 2013. Den Einspruch wies es als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 29.7.2014). Das FG hat die Klage abgewiesen. Bei den streitigen ... EUR handele es sich entgegen der Bezeichnung im Vertrag um eine Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.

Die Revision ist begründet (BFH Urteil vom 9.1.2018, IX R 34/16). Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Nach § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind. Eine "Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen" setzt begrifflich voraus, dass ein Anspruch auf Einnahmen begründet war und weggefallen ist. Die Entschädigung muss den Zweck haben, die weggefallenen Einnahmen zu ersetzen. Sie muss auf einer neuen Rechtsgrundlage beruhen; Erfüllungsleistungen sind keine Entschädigung. Bei den Einnahmen, deren Ausfall ersetzt werden soll, muss es sich um steuerbare Einnahmen handeln; sie müssen (im Erfüllungsfall) einer Einkunftsart (§ 2 Abs. 2 EStG) unterfallen. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG schafft keine eigene Einkunftsart. Schadenersatz wegen der Verletzung anderer Rechtsgüter (Gesundheit) fällt ebenso wenig darunter, wie etwa Ansprüche auf Ausgleich eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs oder auf Zahlung eines Schmerzensgelds. Sind im Zusammenhang mit der Auflösung oder Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mehrere (auch unterschiedliche) Entschädigungsleistungen als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen vereinbart, sind diese grundsätzlich einheitlich zu beurteilen. Dieser Grundsatz entbindet das FG jedoch nicht von der Prüfung, ob jede einzelne Entschädigung "als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen" i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gewährt worden ist. Eine Leistung, für die aufgrund der Umstände nicht anzunehmen ist, dass sie eine Entschädigung für entgangene oder entgehende Leistungen darstellt, kann nicht aus Gründen der einheitlichen Beurteilung in den Besteuerungstatbestand hineingezogen werden. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat das FG nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. An die tatsächlichen Feststellungen und Schlussfolgerungen des FG ist der BFH grundsätzlich gebunden. Dazu gehört auch die Auslegung von Verträgen. Der BFH prüft insofern nur, ob sie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze oder die anerkannten Auslegungsregeln verstößt.

Ist das der Fall, entfällt die Bindungswirkung mit der Folge, dass der BFH die Auslegung ggf. selbst vornehmen darf. Diesen Maßstäben entspricht das angefochtene Urteil nicht. Das FG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die im Vergleich vom 6.6.2012 vereinbarten Leistungen seien einheitlich als Entschädigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu qualifizieren. Der Streitfall biete keine Veranlassung, vom Grundsatz der Einheitlichkeit abzuweichen. An den Wortlaut der Vereinbarung sei das Gericht steuerlich nicht gebunden. Unabhängig davon, ob ein Schadenersatzanspruch des Klägers bestanden habe, sei das Gericht davon überzeugt, dass die als sonstiger Schadenersatz bezeichnete Zahlung ebenfalls wirtschaftlich als Entschädigung für entgehende Einnahmen vereinbart worden sei. Dafür spreche vor allem der Inhalt des Schreibens der von A beauftragten Rechtsanwälte, in welchem der Anspruch des Klägers zurückgewiesen und eine Zahlung von insgesamt ... EUR in Aussicht gestellt worden sei. Eine Aufteilung sei lediglich zur "steuerrechtlichen Optimierung" angeboten worden. Für einen objektiven Dritten sei danach klar erkennbar, dass nicht auf etwaige Schadenersatzansprüche gezahlt worden sei. Das ergebe sich auch aus dem bekannten Verlauf der Vergleichsverhandlungen, insbesondere dem Antrag des Klägers auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft. Darin habe der Kläger selbst angegeben, von A Ersatz für die Verminderung seiner Arbeitskraft und der Behinderung bei der Arbeitssuche zu beanspruchen. Die vom Kläger gegen diese Würdigung erhobenen Einwände griffen nicht durch.

Soweit das FG den Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung als Argument dafür angeführt hat, dass für die in § 5 des Vergleichs vereinbarte Schadenersatzzahlung nichts anderes gelten könne als für die in § 3 des Vergleichs vereinbarte Abfindung, beruht dies auf einem Rechtsirrtum. Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 259, 272, BStBl II 2018, 86 ausgeführt hat, muss das FG nicht nur abstrakt für jede Teilzahlung ermitteln, ob sie die Voraussetzungen von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erfüllt. Es muss dabei auch berücksichtigen, in welchem Rahmen üblicherweise Abfindungen vereinbart werden. Hierzu muss es den letzten regulären Verdienst des Steuerpflichtigen, die reguläre Kündigungsfrist und das Aufhebungsdatum feststellen und beurteilen, in welchem Umfang eine Entschädigung für entgangene Einnahmen zu erwarten und auch gerichtlich durchsetzbar gewesen wäre. Wenn neben einer Entschädigung, die sich in diesem Rahmen hält, eine weitere Zahlung vereinbart ist, die bei zusammenfassender Betrachtung den Rahmen des Üblichen in besonderem Maße überschreiten würde, spricht dies indiziell dafür, dass es sich insoweit nicht um eine Entschädigung für entgangene Einnahmen handelt. Unter der Annahme, dass die erste Teilentschädigung von ... EUR den Rahmen des Abfindungsanspruchs im Großen und Ganzen einhält, würde eine doppelt so hohe Gesamtentschädigung den Rahmen des Üblichen in besonderem Maße überschreiten.

Der Autor:

Udo Cremer

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuer­beraterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxis­orientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblatt­sammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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