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Die beiden Gesichter des Gedächtnisabrufs: Erinnerungen helfen beim Erinnern

31.07.2015  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs).

Kramt man im Gedächtnis nach den Details einer erlebten Situation, zum Beispiel wenn man als Augenzeuge vor Gericht aussagen soll, hilft es, sich an zusätzliche Informationen zu erinnern.

Dieser positive Effekt des Erinnerns zeigt sich vor allem bei Personen mit einem guten Arbeitsgedächtnis, wie Psychologen der Universitäten Halle und Regensburg in einer in der Fachzeitschrift "Memory" veröffentlichten Studie zeigen.

Wenn Augenzeugen zu einem Verbrechen befragt werden, hängt die Verwertbarkeit der Informationen in starkem Maße davon ab, wie erfolgreich die Zeugen spezifische Details zu dem Ereignis aus ihrem Gedächtnis abrufen können. Eine verbreitete Technik bei der Befragung ist die, Fragen zum Kontext der erlebten Situation zu stellen. Man geht davon aus, dass sich das Gedächtnis selbst aktiviert und dass das Erinnern von angrenzenden Informationen dabei hilft, Zielinformationen abzurufen. Dieses Vorgehen hat allerdings nicht immer den erwünschten, positiven Effekt. In der Gedächtnisforschung wurde in vielen Studien auch ein negativer Effekt nachgewiesen. Das bedeutet, dass der bloße Akt des Erinnerns von Informationen es erschwert, andere Informationen abzurufen.

"Wir wollten untersuchen, unter welchen Umständen der positive, also sich selbst aktivierende, Effekt des Gedächtnisabrufs auftritt", sagt der Entwicklungs- und Kognitionspsychologe Alp Aslan, "und welche Rolle es dabei spielt, wie gut jemand neue Informationen aktiv aufnehmen, behalten und verarbeiten kann, also wie gut sein Arbeitsgedächtnis ist."

Gedächtnisexperiment mit Wörterlisten

Für ihr Experiment ließen die Forscher 144 junge Erwachsene zwei Listen mit je 15 Wörtern lernen. Zwischen den zwei Listen bekamen die Probanden eine Nebenaufgabe. Bei der Hälfte der Probanden wurde das Erinnern an die zuvor gelernten Begriffe erschwert. Sie sollten ihre Gedanken auf ein völlig anderes Thema richten (zum Beispiel indem sie von ihrem letzten Urlaub erzählten). Von dieser Manipulation ist bekannt, dass sie einen Wechsel des gedanklichen Kontexts hervorruft und so den Zugang zu den gelernten Begriffen erschwert.

Die andere Hälfte an Probanden erhielt eine neutrale Aufgabe: Sie zählten in dieser Zeit ausgehend von einer dreistelligen Zahl rückwärts. In der Testphase sollten die Probanden dann fünf vorher festgelegte Zielwörter aus der ersten Liste wiedergeben. Eine Hälfte der Probanden sollte die Zielwörter direkt wiedergeben. Dafür wurde ihnen eine Liste vorgelegt, in der die Anfangsbuchstaben des Zielwortes aufgelistet waren (zum Beispiel "N" = "Nadel"). Die andere Hälfte sollte zuerst die zehn anderen Wörter aus der ersten Liste wiedergeben, und danach die fünf Zielwörter. Um den Abruf der Nicht-Zielwörter zu vereinfachen, wurden sie mit ihrem Wortstamm vorgegeben (zum Beispiel "Kab" = "Kabine"). Zusätzlich wurde für jeden Probanden die Arbeitsgedächtniskapazität bestimmt.

Die beiden Gesichter des Gedächtnisabrufs

Bei den Probanden, die während der Nebenaufgabe rückwärts zählten, hatte der Gedächtnisabruf den oft gefundenen negativen Effekt auf die Erinnerung: Sie erinnerten sich besser an die fünf Zielwörter, wenn diese zuerst abgefragt wurden. Wurden sie zuerst nach den anderen Wörtern der Liste gefragt, konnten sie sich hinterher nicht mehr gut an die fünf Zielwörter erinnern. Personen, die ihre Gedanken während der Neben­aufgabe auf ein völlig anderes Thema richteten, konnten sich hingegen besser an die fünf Zielwörter erinnern, wenn sie zuvor die anderen Wörter der Liste erinnert hatten. Ihre Erinnerungsleistung war nicht so gut, wenn die Zielwörter direkt abgefragt wurden. "Hier trat die positive, selbst-aktivierende Eigenschaft des Gedächtnis­abrufs klar zutage", erläutert Alp Aslan. "Je mehr angrenzende Informationen die Personen aus dem Gedächtnis abriefen, umso mehr von den eigentlich schwer zugänglichen Wörtern fielen ihnen ein."

Nutzen für die Befragung von Augenzeugen

Der negative Effekt des Abrufs zeigte sich bei allen Probanden gleichermaßen. Der positive, das heißt sich selbst aktivierende, Effekt des Gedächtnisabrufs dagegen trat vor allem bei Personen mit einem leistungs­starken Arbeitsgedächtnis auf. "Personen, die gut aktuelle Informationen aufnehmen und verarbeiten können, profitieren also stärker vom positiven Effekt", sagt Karl-Heinz Bäuml, Professor für Entwicklungs- und Kognitions­psychologie. "Übertragen auf die Befragung von Augenzeugen bedeuten unsere Ergebnisse zweierlei. Noch am Tatort ist es ratsam, direkte Fragen zum Tathergang zu stellen, um an die noch frischen Informationen heranzukommen. Für eine spätere Befragung von Augenzeugen hingegen bietet es sich an, auch Fragen zum Kontext der Situation zu stellen, um den Abruf spezifischer Details zu erleichtern."

Entwicklung des positiven Effekts in der Kindheit

Eine frühere Studie der Forscher mit Kindern im Grundschulalter zeigt: bei Kindern in der zweiten Klasse zeigt sich nur der negative Effekt des Erinnerns. Erst ab einem höheren Alter (siebte Klasse), profitieren Kinder von der förderlichen Eigenschaft des Gedächtnisabrufs und können sich danach besser an schwer zugängliche Details erinnern. "Der fördernde Effekt des Gedächtnisabrufs entwickelt sich demnach in der gleichen Zeit, in der auch das Arbeitsgedächtnis heranreift", schlussfolgert Alp Aslan. "Beide Studien zeigen, dass das Arbeitsgedächtnis für den positiven Effekt des Erinnerns eine bedeutsame Rolle spielt."


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