09.10.2019 — Jasmin Dahler. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Um diese Frage zu klären, müssen wir wie so oft bei Redewendungen die Bibel aufschlagen, denn sie bezieht sich auf ein Ritual des Volkes Israel.
Jährlich am Jom Kippur, dem Versöhnungstag im Judentum, machte der Hohepriester die gesellschaftlichen Sünden der israelitischen Nation öffentlich. Dabei legte er symbolisch seine Hände auf einen durchs Los ermittelten Ziegenbock. Die Menschen konnten an diesem Tag ganz offen ihre Sünden vor dem Bock gestehen, wodurch ihm die Sünden auferlegt wurden. Der Hohepriester schickte das Tier dann in die Wüste. Um eine Rückkehr des Ziegenbocks für Asasel zu verhindern, wurde das Tier oft eine Klippe hinuntergestoßen. Ein weiterer Bock wurde an diesem Tag im Übrigen direkt als Opfer für Jahwe (Gott Israels) dargebracht. Ähnliche Rituale gab es bereits im antiken Griechenland.
Wer aufmerksam gelesen hat, wird über den Namen Asasel gestolpert sein. Das Tier wurde also nicht einfach nur mit den Sünden des Volkes in die Wüste verbannt, sondern zu Asasel geschickt. Asasel oder auch Azazel (nicht zu verwechseln mit Azrael, dem Engel des Todes und auch, vielleicht populärer, dem Kater bei den Schlümpfen) ist der Name eines Wüstendämons. Die Mythologie, die sich mittlerweile um diese Gestalt gewoben hat, stellt Asasel als einen gefallenen Engel dar, der den Menschen den Gebrauch von Waffen, die Herstellung von Schmuck, die Kunst des Schminkens und die Herstellung von Spiegeln zeigte. Ein echter Verführer also. Außerdem gilt er als erster Bannerträger der Höllenlegion und damit dem Teufel als besonders nahe. Insbesondere, da Asasel als Gegenspieler Jahwes gilt, kann das Ritual am Jom Kippur symbolisch als Rücksendung der Sünden an den Teufel gesehen werden.
Den Ausdruck Sündenbock gab es damals natürlich noch nicht, aber es legt den Grundstein der Redewendung. Bewegen wir uns einige Jahrzehnte in der Geschichte vorwärts ins Mittelalter: Zu dieser Zeit war es ganz normal, dass Tiere für Straftaten vor Gericht verurteilt wurden. Diese Prozesse liefen genau wie der Prozess gegen einen Menschen ab. So wurde ein Schwein wegen Kindstötung, ein Wolf wegen Mordes, Heuschrecken für die Zerstörung von Eigentum oder ein Bock für menschliches Fehlverhalten verantwortlich gemacht. Solche Prozesse gab es tatsächlich noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts.
Der deutsche Begriff Sündenbock kam durch die Bibelübersetzung Martin Luthers zustande. Wenn wir nun jemanden zu einem Sündenbock machen, beschuldigen wir jemanden zu Unrecht, genau wie den Bock, der für die Sünden anderer sterben (oder zumindest in die Wüste wandern) musste. Der Sündenbock ist somit so etwas wie der Buhmann, der für alles Schlechte verantwortlich gemacht werden kann. Und: "Jemanden in die Wüste schicken" stammt als Redewendung auch vom jährlichen Jom Kippur.
Bild: Pixabay (Pexels, Pexels Lizenz)
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