Frauenhandel weltweit und in Deutschland – eine Literaturstudie

30.11.2023  — Von Dr. oec. Juliane Roloff. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH

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Dr. oec. Juliane Roloff: »Frauenhandel weltweit und in Deutschland – eine Literaturstudie« (In: Rechtshandbuch für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, hrsg. von Dr. Sabine BerghahnUlrike Schultz, Auflage 88, Hamburg: Verlag Dashöfer 2023, Abschn. 2.6.2)

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„Als Frauenhandel bezeichnet man das Anwerben, Entführen oder Verschleppen von Frauen aus ihren Heimatländern, um diese zumeist im Ausland mit Hilfe von Gewalt, Bedrohung oder Drogen für sexuelle Handlungen größtenteils als Handelsgut zu missbrauchen. Hierzu zählt Zwangsprostitution, Zwangsverheiratungen mit finanziellem Hintergrund, der Handel mit Frauen als Arbeitskräfte und seit neuester Zeit auch der Handel mit Organen“ (Women and Life on Earth: Überblick Frauenhandel (wloe.org)).

„Der Begriff Frauenhandel ist heute im Unterschied zum Begriff des Menschenhandels eher ein politischer denn ein rechtlicher Begriff, entspricht aber der bis vor einigen Jahren gültigen rechtlichen Definition von Krimineller Menschenhandel in den meisten europäischen Ländern, die erst in den späten 1990er Jahren bzw. Anfang der 2000er Jahre über den Menschenhandel zum Zweck der Prostitution hinaus zu einer allgemeineren, alle Menschen betreffenden Definition erweitert wurde“ (Frauenhandel – Wikipedia).

Dieser Beitrag widmet sich dem Frauenhandel,In diesem Zusammenhang sei noch auf einen früheren Beitrag von Locher, Schreiber hingewiesen. der, wie später noch erläutert wird, aktuell auch als moderner Sklavenhandel bezeichnet wird.

Allgemeine statistische Angaben zu Menschen-/Frauenhandel in Deutschland

In der Summe der Jahre 2017 bis 2021„Im Jahr 2017 wurde der neue Schlüssel „239000 Menschenhandel“ eingeführt… Eine Vergleichbarkeit mit den Vorjahren ist demzufolge nicht möglich“ (BKA, 2018, S. 8). wurden in Deutschland insgesamt 2.640 Fälle von Menschenhandel/AusbeutungIm Folgenden steht Menschenhandel auch immer im Kontext mit Ausbeutung. in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ausgewiesen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass, „nach wie vor im Bereich Menschenhandel und Ausbeutung von einem hohen Dunkelfeld ausgegangen werden (muss). Da es sich überwiegend um Kontrollkriminalität handelt, können unterschiedliche Kontrollintensitäten erheblichen Einfluss auf die Fallzahlen nehmen“. (BKA, 2022, S. 26). Oder: „Anders in früheren Jahrhunderten sind gegenwärtige Formen der Sklaverei illegal und laufen weitgehend im Dunkeln ab. Und anders als damals sind Sklaven in der Regel keine teure Investition mehr, sondern zumeist ‚preiswert‘ und leicht ersetzbar. Schließlich verschwimmt häufig die Grenze zwischen Sklaverei und ‚freien‘, aber ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen. Auf dieser Grundlage ist es schwierig, verlässliche quantitative Angaben über Sklaverei im 21. Jahrhundert zu finden“ (Eckert, 2021, S. 9).

Allgemein wird Menschenhandel definiert als „Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung“ (Palermo-Protokoll, Artikel 3 lit. a, 2005Hierbei handelt es sich um ein „Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität“ https://www.servicestelle-gegen-zwangsarbeit.de/arbeitshilfen/palermo-protokoll/ https://office-human-rights.de/palermo-protokoll/).

In der Polizeilichen Kriminalstatistik wird untergliedert in:

  • Menschenhandel – § 232 StGB

  • Zwangsprostitution – § 232a StGB

  • Zwangsarbeit – § 232b StGB

  • Ausbeutung der Arbeitskraft – § 233 StGB

  • Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung – § 233a StGB.

47,3 Prozent aller o. a. Fälle des Menschenhandels entfielen auf den direkten Menschenhandel, dem folgt mit 41,3 Prozent die Zwangsprostitution und mit 7,1 Prozent die Ausbeutung der Arbeitskraft. Mit nur einem Prozent ist die Zwangsarbeit nahezu bedeutungslos. (vgl. Abbildung 1).

Abb. 1: Unterkategorien des Menschenhandels, 2017 bis 2021 (in Prozent1))

1) je 100 aller Fälle des Menschenhandels

Datenquelle: PKS 2017 – 2021; J. Roloff

Folgende Übersicht zeigt eine weitere Untergliederung der einzelnen Unterkategorien des Menschenhandels.

Übersicht: Einzelkategorien von Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsarbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft und Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung

Menschenhandel § 232 StGB

  • Handel zum Zweck der Ausbeutung bei Ausübung der Prostitution, der Vornahme sexueller Handlungen

  • Handel zum Zweck der Ausbeutung durch eine Beschäftigung

  • Handel zum Zweck der Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei

  • Handel zum Zweck der Ausbeutung bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen

  • Handel zum Zweck des Haltens einer Person in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft o. ä.

  • Handel zum Zweck der rechtswidrigen Organentnahme

Zwangsprostitution § 232a StGB

  • Veranlassen zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu sexuellen Handlungen, durch die eine Person ausgebeutet wird

  • Entgeltliche Inanspruchnahme sexueller Handlungen eines Menschenhandelsopfers unter Ausnutzung der Zwangslage oder Hilflosigkeit

Zwangsarbeit § 232b StGB

  • Veranlassen zur Aufnahme einer ausbeuterischen Beschäftigung

  • Veranlassen sich in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft o. ä. zu begeben

  • Veranlassen zur Aufnahme oder Fortsetzung der Bettelei, durch die die Person ausgebeutet wird

Ausbeutung der Arbeitskraft § 233 StGB

  • Ausbeutung durch eine Beschäftigung

  • Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei

  • Ausbeutung bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen

  • Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung § 233a StGB

  • Ausbeutung bei Ausübung der Prostitution

  • Ausbeutung durch eine Beschäftigung

  • Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei

  • Ausbeutung bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen

Datenquelle: BKA-Fälle-2021, Tabelle1, Schlüssel 239100 bis 239540

Die Tatverdächtigen beim Delikt Menschenhandel waren überwiegend männlich, d. h. ihr Anteil an allen Tatverdächtigen betrug im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 77,9 Prozent. Hinzu kommt, dass die Mehrheit (68,8 Prozent) Nichtdeutsche waren.

Auf den Menschenhandel insgesamt bezogen waren Frauen vor allem seine Opfer. Abbildung 2 zeigt etwas genauer, wie hoch der Frauenanteil bei den o. a. Unterkategorien des Menschenhandels ist.

Abb. 2: Frauen-/Männeranteil in den Unterkategorien des Menschenhandels, 2017 bis 2021 (in Prozent)

Datenquelle: PKS 2017 – 2021; J. Roloff

Am höchsten liegt der Frauenanteil bei „Zwangsprostitution“ mit 89,2 Prozent. Auch bei „Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung“ (76,9 Prozent) „Menschenhandel“ (76,3 Prozent) sind Frauen überwiegend die Opfer. Demgegenüber sind bei „Zwangsarbeit“ mit einem Anteil von 84 Prozent und „Ausbeutung der Arbeitskraft“ 84,9 Prozent überwiegend Männer die Leidtragenden (vgl. Abbildung 2).

Frauenhandel in der Geschichte

Frauenhandel überwiegend zum Zweck der sexuellen Ausbeutung aber auch zum Zweck der Ausbeutung durch eine Beschäftigung ist durchaus kein modernes Phänomen. Beispielsweise waren im 11. und 12. Jahrhundert Frauen „vor allem zur Prostitution und häuslichen Diensten bestimmt – die häufig die Unterwerfung unter die Sinneslust des Herrn einschlossen“ (L´Hermite-Leclercq, S. 245, 1997).

Aber bereits viele Jahrhunderte zuvor, in den homerischen und darauffolgenden Epochen fand weiblicher Sklavenhandel vorwiegend für sexuelle und häusliche Dienste statt. Dafür sollen einige wenige Beispiele dienen sollen.

Im römischen Reich waren Sklavinnen in vielen Fällen (neben der Hausarbeit) die Konkubinen des Hausherrn.

„Im östlichen Europa stellte Sklaverei während des Früh- und Hochmittelalters ein verbreitetes Phänomen dar … Sklavinnen und Sklaven arbeiteten in der Landwirtschaft oder im Haushalt, Frauen und Kinder mussten überdies ihren Herren sexuell zu Diensten sein“ (Eckert, 2021, S. 32).Die folgenden Beispiele werden ebenfalls aus Eckert, 2021 zitiert.

„In den italienischen Städten (des 13. Jahrhunderts – J.R.) partizipierten zahlreiche Berufsgruppen am Geschäft mit Sklaven oder waren Sklavenbesitzer … Dabei gab es eine deutliche Vorliebe für Sklavinnen, was sich zum einen durch die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen erklärt, aber ebenso darin begründet war, dass im spätmittelalterlichen Südwesteuropa Haussklaverei dominierte, Frauen sich für die vielfältigen Aufgaben im Haushalt ebenso gut eigneten wie Männer und in der Regel weniger häufig als diese flüchteten“ (ebenda, S. 33).

Die große Mehrheit der überwiegend weiblichen Sklaven, die aus dem subsaharischen Afrika zwangsweise durch die Sahara transportiert wurden, „kam als Bedienstete zu wohlhabenden städtischen Familien in den arabischsprechenden Ländern des mediterranen Afrika (Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten), wo sie im Haushalt eingesetzt und nicht selten zu Konkubinen des Hausherrn wurden“ (ebenda, S. 37/38).

„Die Mehrheit der europäischen Sklaven in Nordafrika diente den herrschenden Fürsten und musste harte körperliche Arbeit leisten … Frauen landeten zuweilen im Harem“ (ebenda, S. 41/42).

Es ließen sich noch viele weitere Beispiele für die Frau als Opfer ausbeuterischer, darunter sexueller Gewalt nennen, doch es steht generell fest, „dass sich die ‚sehr alte Schlange Sklaverei‘Zeuske, 2018 – J.R. zwar immer wieder gehäutet hat, aber nicht totzukriegen ist, mithin über weite Strecken der Weltgeschichte als Normalfall, nicht als Ausnahme erscheint und bis heute präsent ist“ (ebenda, S. 9).

Allgemein lässt sich feststellen: „Sklavenhandel einst war Menschenhandel, und Menschenhandel heute ist Sklavenhandel. Geändert haben sich die Mittel und Methoden und gewandelt die Absatzmärkte. Menschenhändler des 21. Jahrhunderts sind global tätig … Kriminelle Organisationen nutzen für ihre Geschäfte die neueste Technik, so wie auch in den Jahrhunderten zuvor die Sklavenhändler den Fortschritt nutzten. Heute sind es offene Grenzen und Handys und das Internet, einst waren es Kanonen und Segelschiffe. Damals wie heute wurden Hilfsmittel eingesetzt zu dem gleichen Zweck: reich zu werden durch Ausbeutung des Menschen“„Die Gewinne aus dem Menschenhandel werden von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) auf bis zu 32 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt. Das Geschäft mit der Handelsware Mensch gilt als drittwichtigste kriminelle Einkommensquelle nach dem Drogen- und Waffenhandel“ (Handelsware Mensch: Menschenhandel im 21. Jahrhundert – Digital for Good | RESET.ORG). (Jürgs, 2016, S. 19).

Menschenhandel global – heute

Folgende Daten sind das Ergebnis des heutigen Menschen- darunter Frauenhandels:

  • „Im Jahr 2021 lebten 49,6 Millionen Menschen in moderner Sklaverei, davon 27,6 Millionen in Zwangsarbeit und 22 Millionen in Zwangsheirat.

  • Von den 27,6 Millionen Zwangsarbeitern werden 17,3 Millionen in der Privatwirtschaft ausgebeutet; 6,3 Millionen in erzwungener kommerzieller sexueller Ausbeutung und 3,9 Millionen in staatlich auferlegter Zwangsarbeit.

  • Frauen und Mädchen machen 4,9 Millionen der Opfer kommerzieller sexueller Ausbeutung und 6 Millionen Zwangsarbeiter in anderen Wirtschaftssektoren aus“ (Global Estimates of Modern Slavery, 2022).

Diese globalen Schätzungen der modernen Sklaverei weisen zudem darauf hin, dass „fast vier von fünf Personen, die kommerziell sexuell ausgebeutet werden, Frauen oder Mädchen (sind)“. So ergeben Hochrechnungen des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC),United Nations Office on Drugs and Crime. UNODC „ist weltweit führend in der Bekämpfung illegaler Drogen und internationaler Kriminalität und außerdem für die Umsetzung des Leitprogramms der Vereinten Nationen zur Terrorismusbekämpfung verantwortlich. UNODC wurde 1997 gegründet und beschäftigt weltweit rund 500 Mitarbeiter“ (Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (unov.org). dass zwischen 55 und 60 Prozent aller Opfer des weltweiten Menschenhandels noch nicht volljährige Mädchen und junge Frauen sind.

Für das Jahr 2018 heißt es hierzu im UNODC-Weltbericht 2020 über Menschenhandel (Global Report on Trafficking in Persons):Dieser Bericht „ist der fünfte seiner Art, der von der Generalversammlung im Rahmen des Globalen Aktionsplans der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Menschenhandels 2010 in Auftrag gegeben wurde. Er deckt 148 Länder ab und bietet einen Überblick über Muster und Ströme des Menschenhandels auf globaler, regionaler und nationaler Ebene, der hauptsächlich auf Fällen von Menschenhandel basiert, die zwischen 2016 und 2019 aufgedeckt wurden“ (GLOTiP_2020_15jan_web.pdf (unodc.org), S. 4). „Im Jahr 2018 kamen auf 10 weltweit entdeckte Opfer etwa fünf erwachsene Frauen und zwei Mädchen. Etwa ein Drittel der insgesamt entdeckten Opfer waren Kinder, sowohl Mädchen als auch Jungen, während 20 Prozent erwachsene Männer waren“ (ebenda, S. 31).

Abb. 3: Einsatzgebiete der Opfer des Menschen-, darunter Frauenhandels, 20181)

* Untersucht wurden 106 Länder, in denen das Alter. Geschlecht und Form der Ausbeutung der Opfer ermittelt werden konnte.

Datenquelle: Global Report on Trafficking in Persons, S. 33

Die übergroße Mehrheit der 2018 entdeckten weiblichen Opfer des Menschenhandels, d. h. 77 Prozent war für sexuelle Ausbeutung und 14 Prozent für Zwangsarbeit vorgesehen. Demgegenüber wurden 17 Prozent der männlichen Opfer zum Zwecke sexueller Ausbeutung, 67 Prozent zum Zweck der Zwangsarbeit und ein Prozent zum Zweck der Organentnahme gekauft (vgl. Abbildung 3). Bei den für 2018 erfassten Kinderopfer des Menschenhandels bestehen ähnliche Unterschiede in den Bedingungen der Ausbeutung und des Geschlechts: Während Jungen hauptsächlich (66 Prozent) zum Zweck der Zwangsarbeit gehandelt werden, werden Mädchen größtenteils (72 Prozent) Opfer sexueller Ausbeutung. Es wird also deutlich, dass Menschenhandel bis heute ein nach den Geschlechtern differenzierter ist.

„In Sachen Frauenhandel ist Europa dreigeteilt: erstens gibt es die so genannten Lieferländer, das sind Russland, die Ukraine und Rumänien; zweitens die Transitländer, wie das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens und Albanien; drittens schließlich die Zielländer. Zu diesen zählen beispielsweise Italien, Deutschland und Frankreich“ (Loncle, Women and Life on Earth: Überblick Frauenhandel (wloe.org)

Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks, d. h. mit der Öffnung der Grenzen zu osteuropäischen Ländern hat der Frauenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung/Zwangsprostitution sehr stark zugenommen.

Betrachtet man die Herkunftsländer der Opfer des Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung in Deutschland, so waren im Jahr 2021 (von insgesamt 417 entdeckten) 387 bzw. 92,8 Prozent weiblich und davon 95 Deutsche, 70 Bulgaren, und an dritter Stelle folgten Rumänen. Die entsprechend strukturelle Verteilung der Opfer zeigt Abbildung 4.

Abb. 4: Häufigste Opfernationalitäten1) des Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung in Deutschland, 2021

1) Es werden nur die sechs häufigsten Opfernationalitäten ausgewiesen

Datenquelle: BKA, Bundeslagebild Menschenhandel 2021

Eine Erklärung hierfür, dass primär deutsche Opfer ermittelt werden, gibt das BKA in seinem Bundeslagebild 2021: „Deutsche Opfer sind in der Regel besser über ihre Rechte informiert, haben möglicherweise mehr Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden und sind oft gesellschaftlich besser integriert als ausländische Opfer. Daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie den ausbeuterischen Charakter ihrer Tätigkeit bei der Polizei anzeigen, generell höher als bei ausländischen Opfern, unter denen Staatsangehörige aus Osteuropa und Asien dominieren“ (ebenda, S. 8).

Die Opfer des Frauenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung kommen zumeist aus ärmlichen Verhältnissen und träumen von einem besseren Leben. Dazu heißt es u. a. bei Völschow, Janßen, Gahleitner (2021): „Das Risiko, Opfer von Menschenhandel zu werden, erhöht sich nachweisbar für Personen mit geringem Bildungs- oder Lebensstandard. Als ursächlich gelten hier die Zunahme sozioökonomischer Ungleichheiten und die schlechte wirtschaftliche und politische Lage in vielen Ländern. Die Option einer MigrationGenerell besteht ein enger Zusammenhang zwischen Menschenhandel und Migration – nähere Ausführungen siehe hierzu: Menschenhandel und Migration | menschenhandel heute. wird von Betroffenen oft als einziger Ausweg gesehen, um der Benachteiligung hinsichtlich Ressourcen und Chancen in ihrem jeweiligen Herkunftsland zu entgehen.“

Gerade das ist der „Angriffspunkt“ von Kriminellen bzw. Banden. Die Frauen/Mädchen werden auf unterschiedlichste Weise angeworben. In einer Befragung von Opfern sexueller Ausbeutung durch das BKA wurde bei rund jedem 5. Opfer die „Loverboy-Methode angewandt: „Gut aussehende, freundliche, fürsorgliche und sichtbaren Erfolg – Autos, Geld, Kleidung – zur Schau stellende junge Männer gaukeln ihren ausgespähten Opfern die große Liebe inklusive gemeinsamer Zukunft in einem Pull-LandD. h. in einem reichen Land, in dem der Wunsch nach einem besseren Leben, Sicherheit, Bildungschancen und Arbeitsplätze in Erfüllung zu gehen verspricht. Push-Länder, aus denen zumeist die Ofer stammen, sind hingegen Länder, in denen „neben u. a. Armut, auch ein fehlender oder mangelnder Zugang zu Bildung, Arbeit und Justiz, politische Instabilität, Krieg und Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen, Gender-Ungleichheiten“ vorherrschen (weiter dazu Netzwerk gegen Menschenhandel e. V. – Menschenhan13,2 Prozent del (netzwerkgm.de). vor. Verliebte Mädchen, die darauf hereinfallen, sind verloren. Direkt nach ihrer Ankunft in der Zukunft … werden sie von ihren sanftmütigen Liebhabern in die Gewalt spezieller Bodyguards übergeben und von denen so lange vergewaltigt, bis jedweder Widerstand gebrochen ist“ (Jürgs, 2016, S. 67).

Als zweithäufigste Methode der Anwerbung wird „Täuschung“ angewandt (vgl. Abbildung 5). Das traf für 16,1 Prozent der Opfer zu. Sie gaben an, „dass sie vom Täter durch Täuschung überhaupt erst zur Prostitutionsausübung veranlasst worden zu sein. In solchen Fällen wird den Opfern meist vorgegeben, dass sie völlig andere Tätigkeiten, wie z. B. im Hotelgewerbe oder der Gastronomie, ausüben könnten“ (Bundeslagebericht 2021, S. 9).

Zur dritthäufigsten Anwerbemethode „im Einverständnis“ des Opfers heißt es im o. a. Bundeslagebericht: „15,8 Prozent der Opfer waren zunächst mit der Aufnahme der Prostitutionsausübung einverstanden. Nach polizeilicher Erfahrung werden solche Opfer häufig aber vorab über die genauen Umstände ihrer späteren Tätigkeit, wie z. B. Art und Ausmaß der Prostitutionsausübung, getäuscht“ (ebenda, S. 9).

Sowohl Loverboys als auch professionelle Anwerber nutzen u. a. das Internet (13,2 Prozent). „In Push-Ländern tauchen Loverboys zunächst nur online und in Chats aus dem digitalen Dunkelfeld auf. Sie verabreden sich für ein Treffen in der realen Welt. Sobald ihre Opfer angebissen haben und ihren Liebesschwüren glauben, werden sie zu einem Ausflug in die Großstadt … überredet. Dort werden sie bereits erwartet …“ (Jürgs, 2016, S. 67/68). Hinsichtlich der professionellen Anwerbung (12 Prozent) heißt es weiter bei Jürgs (S. 69): „Auffallend schönen Mädchen wird mit märchenhaften Geschichten von Gleichaltrigen, abrufbar im Internet … eine Karriere als Model im Westen vorgegaukelt. Wie viele junge Frauen aus ihren naiven Träumen in die Wirklichkeit eines Bordellbetriebs gefallen sind, zur Prostitution gezwungen wurden, weiß niemand.“

Abb. 5: Verteilung der Methoden1) zur Anwerbung von Opfern im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Deutschland, 2021 (in Prozent2))

1) Mehrfachnennungen sind möglich, da häufig mehrere Methoden zugleich angewandt werden.

2) je 100 der vom BKA befragten Opfer

Datenquelle: BKA, Bundeslagebild 2021

Zu den drei letzten in Abbildung 6 aufgeführten Anwerbemethoden stellt das Bundeslagebild fest: „Das familiäre Umfeld spielte bei 11,3 Prozent der Opfer eine entscheidende Rolle bei der Aufnahme der Prostitution. So wurden die Opfer bspw. von Angehörigen dazu bewegt, sich zu prostituieren. Bei 7,4 Prozent der Opfer erfolgte die Zuführung zur Prostitution mittels physischer, bei 8,2 Prozent mittels psychischer Gewalt. Erfahrungsgemäß wird Gewalt jedoch weit häufiger verwendet, um Opfer in der Ausbeutung zu halten, statt potenzielle Opfer zur Aufnahme der Prostitution zu drängen“ (ebenda, S. 10).

Kampf gegen Menschenhandel

Bereits seit langem wird in Deutschland und weltweit gegen den kriminellen Menschenhandel gekämpft. An dieser Stelle werden einige heute geltende gesetzliche Regelungen, Maßnahmen/Aktionen vorgestellt.

  • Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR)

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris (Resolution 217 A der Generalversammlung) von Vertreten mit unterschiedlichem und kulturellem Hintergrund aus allen Regionen der Welt verfasst und als gemeinsamer Leistungsstandard für alle Völker und Nationen verkündet. Sie legt zum ersten Mal grundlegende Menschenrechte fest, die universell geschützt werden müssen. Die AEMR ist weithin anerkannt als Inspiration und Wegbereiter für die Annahme von mehr als siebzig Menschenrechtsverträgen, die heute dauerhaft auf globaler und regionaler Ebene angewendet werden. Bezogen auf Menschenhandel heißt es dort in Artikel 4: „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen Formen verboten“ (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte | Vereinte Nationen).

  • Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

Dieses Ergebnisdokument des Gipfeltreffens der Vereinten Nationen wurde am 25. September 2015 verabschiedet. In ihrer Präambel heißt es: „Diese Agenda ist ein Aktionsplan für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand. Sie will außerdem den universellen Frieden in größerer Freiheit festigen. Wir sind uns dessen bewusst, dass die Beseitigung der Armut in allen ihren Formen und Dimensionen, einschließlich der extremen Armut, die größte globale Herausforderung und eine unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist“ (ar70001.pdf (un.org), S. 1/38). In der Zielsetzung 8.7 der Agenda wird u. a. gefordert: „Sofortige und wirksame Maßnahmen ergreifen, um Zwangsarbeit abzuschaffen, moderne Sklaverei und Menschenhandel zu beenden“ (ebenda, S. 21/38)

  • Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates

Dort heißt es u. a.: „Menschenhandel ist eine schwere Straftat, die häufig im Rahmen der organisierten Kriminalität begangen wird und bei der es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Grundrechte handelt, der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich verboten ist. Die Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels ist für die Union und die Mitgliedstaaten ein vorrangiges Ziel“. Und weiter: „Diese Richtlinie trägt dem Umstand Rechnung, dass Menschenhandel ein geschlechterspezifisches Phänomen ist und dass Frauen und Männer von Menschenhändlern oft zu unterschiedlichen Zwecken gehandelt werden. Aus diesem Grund sollten auch die Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen, sofern angebracht, geschlechterspezifisch angelegt sein. Die Schub- und Sogfaktoren können je nach den betroffenen Sektoren unterschiedlich sein, wie zum Beispiel beim Menschenhandel zur Ausbeutung in der Sexindustrie oder zur Ausbeutung der Arbeitskraft zum Beispiel in der Bauindustrie, im Agrarsektor oder im häuslichen Bereich“ (Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (europa.eu)).

  • „Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregisters sowie des Achten Buches Sozialgesetzbuch“

In Deutschland trat dieses Gesetz, in dem die Regelungen des Menschenhandels umfassend reformiert worden sind, am 14. Oktober 2016 in Kraft. „Durch die Novellierung, die zu einem Großteil auf Betreiben des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zustande gekommen ist, sollte – mit einiger Verspätung – die (o. a. – J. R.) „Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels“ in innerstaatliches Recht umgesetzt werden“ (Bartsch, Labarta Greven, Schierholt et. al., 2021, S. 11).

Durch dieses Gesetz wurde § 232 StGB Menschenhandel – wie folgt – gefasst:

„Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wenn

  1. diese Person ausgebeutet werden soll

    1. bei der Ausübung der Prostitution oder bei der Vornahme sexueller Handlungen an oder vor dem Täter oder einer dritten Person oder bei der Duldung sexueller Handlungen an sich selbst durch den Täter oder eine dritte Person,

    2. durch eine Beschäftigung,

    3. bei der Ausübung der Bettelei oder

    4. bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen durch diese Person,

  2. diese Person in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft oder in Verhältnissen, die dem entsprechen oder ähneln, gehalten werden soll oder

  3. dieser Person rechtswidrig ein Organ entnommen werden soll“.

Für den Kampf gegen Menschenhandel besteht

  • eine Unabhängige Berichterstattungsstelle zu Menschenhandel

Diese wurde von der Bundesregierung Deutschland am Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) im November 2922 eingerichtet. Ihr obliegt es, „durch das Sammeln und Auswerten von Daten dazu beizutragen, dass internationale Vorgaben effektiver umgesetzt werden“. Zudem soll sie „die bestehenden Maßnahmen gegen Menschenhandel in Deutschland evaluieren und Handlungsempfehlungen erstellen“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2022).

  • der Welttag gegen Menschenhandel

Der Welttag gegen Menschenhandel wird seit 2014 jährlich am 30. Juni von den Vereinten Nationen ausgerufen. Er soll ein Zeichen gegen Ausbeutung setzen „und nimmt auch die Menschen in den Blick, die im Zuge globaler Migrationsbewegungen Opfer von Menschenhandel werden. Die institutionellen Mechanismen zur Erfassung der komplexen Straftaten verdichten sich zunehmend“ (Dolinsek, 2017).

  • Gemeinsam gegen Menschenhandel e. V.

Im Jahr 2010 ist dieses Netzwerk als eigenständiger Verein gegründet worden. Es ist ein offenes Bündnis von Organisationen und Initiativen, die sich gegen Menschenhandel einsetzen, mit folgenden Schwerpunkten:

  • „Es will durch kostenfreie Informationsmaterialien und Veranstaltungen auf den Skandal des Menschenhandels, insbesondere in der Form der Zwangsprostitution, in Deutschland aufmerksam machen.

  • (Sein) Anliegen ist es, dass Männer und Frauen davor geschützt werden, Opfer von Menschenhandel zu werden, sowohl in Deutschland, als auch in Herkunftsländern“.

  • Es nimmt auf den Gesetzgebungsprozess Einfluss. „Wir informieren Abgeordnete über den Skandal Menschenhandel in Deutschland, kommen mit ihnen ins Gespräch und versuchen durch verschiedene Aktionen, eine bessere Gesetzeslage für die Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung sowie eine bessere Strafverfolgung von Menschenhändlern herbeizuführen“.

  • Der Verein unterstützt Maßnahmen, die den Opferschutz und die Opferentschädigung verbessern (Home – Gemeinsam gegen Menschenhandel e. V. (ggmh.de)).

Es soll zudem noch auf zwei Organisationen aufmerksam gemacht werden, die sich explizit dem Kampf gegen Frauenhandel widmen.

  • TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e. V.

Ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt ist seit Gründung im Jahr 1981 dieses weltweiten Vereins der Frauenhandels. „Wir setzen uns für Frauen ein, deren Notlage auf kriminelle Weise ausgenutzt wird: Frauen, die in die Prostitution oder ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gezwungen werden. Betroffene Migrantinnen fallen aus wirtschaftlicher Not und ohne alternative Migrationswege in ausbeuterische Hände. Aber Frauenhandel betrifft nicht nur Migrantinnen: rund ein Viertel der Betroffenen in Deutschland sind Deutsche. Die Betroffenen verlieren durch die aufgezwungenen Arbeits- und Lebensbedingungen, die oft von extremer Gewalt geprägt sind, jede Möglichkeit, über ihr Leben selbst zu bestimmen. Frauenhandel ist moderne Sklaverei eine schwere Menschenrechtsverletzung!“ (TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e. V. – Frauenhandel und Prostitution (frauenrechte.de)

  • Aktionsbündnis gegen Frauenhandel

Dieses Aktionsbündnis hat sich im Jahr 2000 gegründet. Der Anlass hierfür war der „sprunghafte Anstieg des Handels mit Frauen aus Osteuropa seit dem „Fall des Eisernen Vorhangs“ und dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in den Jahren 1989 bis 1991“. Das Aktionsbündnis ist vornehmlich ein Zusammenschluss von kirchlichen Gruppen im bayerischen Raum.

Seine Ziele sind insbesondere:

  • „Frauenhandel zum Thema machen – im kirchlichen wie im nichtkirchlichen Umfeld

  • die Öffentlichkeit informieren

  • der Politik parteiübergreifend helfen, dem Frauenhandel gemeinsam und wirksam entgegenzutreten

  • Fachleute aus Ost und West zur grenzüberschreitenden Begegnung und Zusammenarbeit anregen

  • mit vereinten Kräften Aktionen, Veranstaltungen, Kampagnen gegen den Frauenhandel durchführen“ (Frauenhandel Flyer.indd (gegen-frauenhandel.de)Weiter bzw. Näheres dazu siehe unter Aktionsbündnis gegen Frauenhandel (gegen-frauenhandel.de).

Dunkelfeld des Menschenhandels

Alle diese und alle übrigen, hier nicht genannten Gesetze/Aktionen/Netzwerke gegen Menschen- darunter insbesondere Frauenhandel haben bisher nur wenig wirksame Effekte erbracht. Der Kampf gegen den Menschenhandel wird, wie bereits eingangs erwähnt, durch ein sehr hohes Dunkelfeld erschwert.

Bleiben wir dabei abschließend bei Deutschland. Hier wird davon ausgegangen, dass mindestens 90 Prozent aller Menschenhandelsdelikte im Dunkelfeld verbleiben. Dieser Wert entbehrt nicht einer bestimmten Grundlage, ist nicht „völlig aus der Luft gegriffen“. Er stützt sich vor allem auf Erfahrungen von Hilfeeinrichtungen für Betroffene des Menschenhandels. Er basiert zudem „auf dem Umstand, dass zahlreiche Gründe, die nach Erkenntnissen der kriminologischen Forschung einer Anzeige durch das Opfer einer Straftat regelhaft entgegenstehen, auf Opfer des Menschenhandels zutreffen dürften“ (Bartsch, Labarta Greven, Schierholt et. al., 2021, S. 37).

Dass relativ wenige Straftaten zu einer Anzeige gebracht werden, hat mehrere Gründe. Allgemein gilt: „Sowohl das Wissen um die oftmals vorliegende Illegalität des Aufenthaltes und/oder der Beschäftigung als auch die hohe Schambesetztheit des Themas – insbesondere, wenn es um sexuelle Ausbeutung geht – hindern die Opfer daran, sich gegenüber der Polizei, Beratungsstellen und anderen Hilfe anbietenden Institutionen zu öffnen“ (Völschow, Janßen, Gahleitner, 2021).

Die Täter selbst haben einen erheblichen Anteil daran, dass ihre Opfer nicht zur Polizei und/oder Hilfsorganisation gehen. Im Hinblick auf die Opfer des Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung heißt es dazu im Bundeslagebild 2021: „Die Täterseite setzt die Opfer regelmäßig massiv unter Druck, um diese in der Ausbeutung zu halten. Neben der Anwendung physischer Gewalt wird z. B. damit gedroht, die Familien über die Prostitutionstätigkeit zu informieren oder Gewalt gegen die Angehörigen auszuüben“.

Abbildung 6 zeigt im Einzelnen die Einwirkungsarten der Täter auf ihre Opfer. Die Ausnutzung der Hilflosigkeit der Opfer nimmt mit 141 FällenHier und im Folgenden bezogen auf 247 der im Jahr 2021 gemachten Aussagen von Opfern des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. eine primäre Stelle ein. Das ist lt. BKA insbesondere ein Ergebnis zweier im Jahr 2021 abgeschlossener Großverfahren der Bundespolizei mit zahlreichen chinesischen bzw. thailändischen Opfern. 126 der Opfer waren Drohungen und 113 Opfer physischer Gewalt seitens ihrer Täter ausgesetzt (Abbildung 6).

Abb. 6: Einwirkungsarten auf die Opfer1), 2021

1) Mehrfachnennungen möglich

Datenquelle: BKA, Bundeslagebild 2021

Schlussbemerkung

Die vorliegende Literaturstudie macht deutlich, dass dem Handel mit Menschen insbesondere Frauen zu Opfern fallen. Und dies ist kein Phänomen der heutigen Zeit, sondern dieser Prozess ist ein seit Jahrhunderten andauernder.

Gerade der Handel zum Zwecke sexueller Ausbeutung ist für kriminelle Organisationen ein äußerst lukratives Geschäft. Das heißt auch, dass, nur wenn in den Herkunftsländern (Push-Länder) die Armut wirksam bekämpft wird und den reichen Ländern (Pull-Länder) ebenbürtige Lebensbedingungen geschaffen werden, man davon ausgehen kann, dass weniger, wenn nicht sogar gar keine jungen Frauen und Mädchen mehr von Menschenhändlern für ihre ausbeuterischen Zwecke rekrutiert werden können – mit dem Effekt, dass deren Gewinne sinken.

Literatur

Amtsblatt der Europäischen Union: Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (europa.eu)

Bartsch, Tillmann; Labarta Greven, Nora; Schierholt, Johanna; Treskow, Laura; Küster, Robert; Deyerling, Lena; Zietlow, Bettina: Evaluierung der Strafvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels (§§ 232 bis 233a StGB), Forschungsbericht. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. Hannover 2021

Bundesgesetzblatt Jahrgang 2016 Teil I Nr. 48, ausgegeben am 14. Oktober 2016, Seite 2226: Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes sowie des Achten Buches Sozialgesetzbuch (BGBl. I 2016 S. 2226 – Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes sowie des Achten Buches… – dejure.org)

Bundeskriminalamt (Hrsg.): Menschenhandel und Ausbeutung 2021, Bundeslagebild. Wiesbaden, 2022 https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Menschenhandel/menschenhandel_node.html

Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik, Bundesrepublik Deutschland, Jahrbuch 2017, Band 1: Fälle, Aufklärung, Schaden. Wiesbaden 2018

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Bundesregierung verstärkt Kampf gegen Menschenhandel. Aktuelle Meldung vom 18. November 2022 (BMFSFJ – Bundesregierung verstärkt Kampf gegen Menschenhandel)

Dolinsek, Sonja: 30. Juli: Welttag gegen Menschenhandel. Bundeszentrale für politische Bildung, 2017 (30. Juli: Welttag gegen Menschenhandel | bpb.de)

Eckert, Andreas: Geschichte der Sklaverei – von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. C. H. Beck Wissen, Berlin 2021

Global Estimates of Modern Slavery: Forced Labour and Forced Marriage International, 2022 (wcms_854733.pdf (ilo.org)) bzw. (Globale Schätzungen der modernen Sklaverei: Zwangsarbeit und Zwangsheirat

Jürgs, Michael: Sklavenmarkt Europa. Das Milliardengeschäft mit der Ware Mensch. btb Verlag, München. 2016

L´Hermite-Leclercq, Paulette: Die feudale Ordnung (11. und 12. Jahrhundert) In: Duby, Georges; Perrot, Michelle: Geschichte der Frauen, Band 2, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt/Main, 1997

Locher, Birgit; Schreiber, Barbarita: Die Ware Mensch: Frauenhandel in Europa. In: Frauen verändern EUROPA verändert Frauen (Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Düsseldorf 2008

Loncle, Francois: Handelsplätze Europa, In: Women and Life on Earth: Überblick Frauenhandel (wloe.org)

UNODC: Global Report on Trafficking in Persons 2020, (Veröffentlichung der Vereinten Nationen, Best.-Nr. E.20.IV.3

Vereinte Nationen – Resolution der Generalversammlung, verabschiedet am 25. September 2015, 70/1. Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (ar70001.pdf (un.org))

Vereinte Nationen: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Universal Declaration of Human Rights | United Nations

Völschow, Yvette; Janßen, Wiebke; Gahleitner, Silke Brigitta: Menschenhandel – „Die Folgen sind für die Opfer dramatisch“. In: Forschung und Lehre, alles was die Wissenschaft belegt, 2021 (Menschenhandel: „Die Folgen sind für die Opfer dramatisch“ – Forschung & Lehre (forschung-und-lehre.de)

Zeuske, Michael: Sklaverei – Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute. Reclam Verlag, Ditzingen 2018

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