24.10.2019 — Moira Frank. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Gleich der § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) legt fest: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“ Das ist klar und nachvollziehbar und doch häufig Gegenstand von Arbeitsrechtsstreits. Seit 2018 wird besonders häufig über das Geschlecht gestritten, denn inzwischen gibt es zusätzlich zu „männlich“ und „weiblich“ eine dritte Variante, nämlich „divers“.
Wo bislang das generische Maskulin mit einer Klarstellung (z. B. „Maler gesucht (m/w)“ oder auch „Maler/Malerin gesucht“) reichte, dass Frauen mitgemeint seien, ist jetzt mehr Fingerspitzengefühl gefragt. 2019 kommt niemand mehr umher, sich zumindest kurz Gedanken über Geschlecht zu machen – und das ist eine gute Sache! In einem Land, in dem Frauen erst seit 1977 auch unabhängig ihrer Haushaltspflichten zur Erwerbstätigkeit berechtigt sind, vergessen wir gern, dass wir gerade erst dabei sind, aus verstaubten Strukturen aufzubrechen.
Heute ist undenkbar, dass Frauen das Hosentragen verboten war oder Väter, die sich um ihre Kinder kümmerten, als verrückt galten. Jetzt brechen wir täglich und selbstverständlich aus Geschlechterrollen aus, die vor 50 Jahren als in Stein gemeißelt galten. Und das gilt langsam auch für das Geschlecht selbst. Inter- und auch Transgeschlechtlichkeit sind keine Krankheiten mehr, sondern natürliche Varianten der Geschlechtsentwicklung. Das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht gilt nicht mehr selbstverständlich „lebenslang“. Das ist für viele Menschen eine riesige Erleichterung und Befreiung – und ein Entgegenkommen mit der Option „divers“ gleichzeitig eine ganz kleine und ganz große Sache.
Seit 2017 ist diese sogenannte „dritte Option“ auch im Gesetz verankert. Damit ist es höchste Zeit, dass sich auch die Personalabteilungen mit dem Thema beschäftigen, die das bislang noch nicht getan haben, denn der Geschlechtsmarker wirkt natürlich auch ins Arbeitsleben hinein.
Im Oktober 2017 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass neben den Geschlechtseinträgen „männlich“ und „weiblich“, die sich auf offiziellen Dokumenten finden, eine dritte Variante wählbar sein muss. Seit Ende 2018 ist ein entsprechender Eintrag im Personenstandsregister möglich. Seitdem hat sich die Bezeichnung „divers“ durchgesetzt.
Nach Gerichtswillen bezieht sich dieser Beschluss ausschließlich auf intersexuelle Menschen, also Menschen, die genetisch, anatomisch oder hormonell nicht eindeutig einem binären Geschlecht zugeschrieben werden können. Der Eintrag kann bereits auf der Geburtsurkunde gewählt werden. Für eine nachträgliche Änderung des Personenstands ist ein medizinischer Nachweis einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“ nötig. Auf dem Standesamt kann die betroffene Person dann zwischen „weiblich“, „männlich“ und „divers“ wählen, sich aber auch entscheiden, den Geschlechtseintrag freizulassen. Außerdem kann der Vorname direkt mitgeändert werden.
Dass die dritte Option nur für intersexuelle Menschen gelten soll, hängt vor allem damit zusammen, dass sich die Gesetzgebung seit Jahren weigert, das antiquierte und seit vielen Jahren von Betroffenen heftig kritisierte Transsexuellengesetz (TSG) zu reformieren oder ganz abzuschaffen. Für transgeschlechtliche Menschen, also Menschen, deren bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmt, ist die Änderung des Personenstands übers Amtsgericht erheblich schwieriger und teurer.
Dabei liegt nach Ansicht von Inter- und Trans-Verbänden auch bei transgeschlechtlichen und nichtbinären Menschen (Personen, die nicht im medizinischen Sinne intersexuell sind, sich aber trotzdem außerhalb von „männlich“ und „weiblich“ verordnen) eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vor. In der Praxis sieht es so aus, dass viele trans Menschen diese vage Formulierung nutzten, um mit einer ärztlichen Bescheinigung ihren Personenstand ändern zu lassen. Das stößt bei den Gesetzgeber*innen zwar auf wenig Begeisterung, doch bislang gibt es keine Verschärfung der Rechtsentscheidung – vermutlich, weil Klagen gegen das TSG in naher Zukunft Erfolg haben könnten.
Übrigens: Viele intersexuelle Menschen sind männlich oder weiblich – und auch Menschen, die nicht intersexuell sind, verordnen sich außerhalb des binären Geschlechtersystems. Auch sie profitieren von geschlechtsneutraler Ansprache, die sie in ihrer Lebensrealität respektiert.
Schon vor dem Urteil von 2017 mussten Stellenausschreibungen so formuliert sein, dass alle Geschlechter zur Bewerbung eingeladen sind. Genau genommen hat sich hier nichts geändert – nur dass „alle Geschlechter“ eben nicht mehr nur Mann und Frau sind, sondern es noch weitergeht, z. B. mit intersexuellen oder nichtbinären Personen.
Kurz nach dem Entschluss des BVG hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes für deutsche Arbeitgeber*innen Handlungsempfehlungen veröffentlicht. Wir haben die drei Möglichkeiten kurz für Sie zusammengefasst, im Volltext finden Sie sie hier.
Übrigens: Auch das „x“ taucht immer häufiger in Stellenanzeigen auf. Es steht meist für „Geschlecht egal“ und ist ebenso denkbar wie das „d“. Wir empfehlen an dieser Stelle das „d“ für „divers“, da es am deutlichsten und nahsten am Gesetzentwurf selbst steht und inzwischen überall gut verstanden wird.
Gleich vorweg gesagt: Kaum Menschen, die intersexuell, nichtbinär oder transgeschlechtlich sind, sprechen das direkt bereits in ihrer Bewerbung oder im ersten Gespräch an. Noch immer ist das gesellschaftliche Stigma groß. Diskrepanzen zwischen dem Namen auf dem Papier und der äußeren Geschlechtsdarstellung werden oft negativ aufgefasst, bei anderen Personen ist nicht ersichtlich, dass sie trans oder inter sind. Und aus einem Namen allein lassen sich ohnehin nicht immer Geschlechter ablesen – Alex, Robin und Toni könnten jeweils männlich, weiblich oder divers sein.
Entsprechend ist es ein wenig trickreich, die richtige Ansprache zu finden. Eine gute Möglichkeit ist, auf „Herr“ oder „Frau“ zu verzichten und stattdessen den Namen auszuschreiben: „Guten Tag, Alex Scholz, mit Begeisterung haben wir Ihre Bewerbung gelesen …“ Auch ein Sternchen ist denkbar: „Sehr geehrte*r Alex Scholz, wir danken für Ihre Rückmeldung …“ Im Zweifelsfall dürfen Sie auch nachfragen: „Herr, Frau, neutral: Wie möchten Sie angesprochen werden?“
Das klingt alles kompliziert und nach Überempfindlichkeit, doch denken Sie daran, dass jede*r von uns gern beim richtigen Namen und Geschlecht genannt wird – und auch Menschen mit in Deutschland weniger geläufigen Namen oder Personen, die einen eindeutig männlichen oder seltener auch weiblichen Nachnamen tragen, sich oft ärgern, dass sie fälschlicherweise als „Frau“ oder „Herr“ angeredet werden.
Wir wollen alle respektiert und wertgeschätzt werden und nicht hinter unserem Rücken verspottet. Das gilt natürlich nicht nur in der Familie und im Freundeskreis, sondern auch am Arbeitsplatz. Bei einer aktuellen Umfrage belegt ein schlechtes Arbeitsklima den zweiten Platz der häufigsten Kündigungsgründe! Offenheit und Respekt gehören heute dazu, schließlich möchte niemand seine Religion, Sexualität oder Geschlechtsidentität verleugnen müssen. Doch diese Werte müssen ein fester und authentischer Bestandteil der Unternehmenskultur sein statt PR, um Bewerber*innen anzuziehen. Denn man merkt schnell, wenn von der außen angepriesenen Weltoffenheit im Büro nichts übrig bleibt – die Kündigung folgt.
Das eine Rezept für gutes Arbeitsklima gibt es natürlich nicht. Ein*e Gleichstellungsbeauftragte*r kann dafür sorgen, dass Angestellte sich an jemanden wenden können, der ihre Sorgen ernst nimmt. Gibt es einen Betriebsrat, so sollte er gerade in den sensiblen sozialen Themen, die über das Arbeitsrecht hinaus wirken, informiert und engagiert sein. Aber letztlich ist jede*r mit daran beteiligt, ein gutes Arbeitsklima für alle zu erschaffen. Es versteht sich von selbst, dass es nicht okay ist, wenn ein*e Mitarbeiter*in die transgeschlechtliche Kollegin nach ihrem Outing weiterhin „er“ und „Herr“ nennt. Die Kollegin hat ein Recht darauf, in ihrer Geschlechtsidentität respektiert zu werden, auch wenn das jemand anderem nicht passt. Es muss sich auch keine Frau „Fräulein“ nennen lassen, nur weil ein Mann das für akzeptabel hält. Betroffene von transphoben Sprüchen und anderen ablehnenden Verhalten müssen wissen, wo sie im Unternehmen mit ihren Problemen Gehör finden, und Mobbing deutlich unterbunden werden. Sichern Sie Ihre Unterstützung zu und fragen Sie unbedingt nach, wie Sie ganz konkret helfen können.
Viele Unternehmen begrüßen inzwischen entsprechende bundesweite Angebote zur Sensibilisierung der Mitarbeiter*innen. Dabei geht es nicht immer nur um Geschlecht, sondern auch um Religion, Hautfarbe, Behinderung und vieles mehr. Etwas dazuzulernen, eigene Erfahrungen zu hinterfragen und auf andere Menschen zuzugehen, reißt alte Mauern ab, schlägt Brücken und eröffnet ganz neue Perspektiven. Und ganz oft stellen wir fest: Das ist ja alles gar nicht so furchtbar kompliziert!
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