Das "Gendern" in der Schule – Ein Verwaltungsgericht klärt die Rechtslage

21.06.2023  — Von Dr. Sabine Berghahn. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH

Dr. Sabine Berghahn: »Das "Gendern" in der Schule – Ein Verwaltungsgericht klärt die Rechtslage« (In: Rechtshandbuch für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, hrsg. von Dr. Sabine BerghahnUlrike Schultz, Auflage 86, Hamburg: Verlag Dashöfer 2023, Abschn. 2.2.3)

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Das sprachliche „Gendern“ erregt die Gemüter und stellt einen gesellschaftspolitischen Streitgegenstand dar, kein Wunder also, dass auch mit den Mitteln des Rechts gekämpft wird!

Der Fall: Ein Vater will das „Gendern“ in den Schulen seiner Kinder verbieten

Ein Vater zweier Kinder versuchte mit einem Eilantrag am Berliner Verwaltungsgericht, den Schulen und Lehrkräften zu verbieten, seinen und anderen Kindern die Spielarten des sprachlichen „Gendering“, d. h. der geschlechterneutralen, genderinklusiven oder geschlechtergerechten Bezeichnung von Personen und Gruppen, beizubringen. Dabei stellte sich Überraschendes heraus.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Volltext: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE230044506; Pressemitteilung Nr. 17/2023: https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1308576.php, 03. April 2023. Das vom Antragsteller unterstellte Entweder-Oder gibt es nach Ansicht der Kammer nämlich nicht. Obwohl nach den Richtlinien der Kultusminister-Konferenz (KMK) das „generische Maskulinum“ verwendet und gelehrt werden muss, weil zugunsten der männlichen Form nach herkömmlicher Sprach- und Schreibkonvention unterstellt wird, dass sie bei gemischten Gruppen außer den männlichen Personen auch andere Geschlechter (und Geschlechtsidentitäten) „mitmeint“, dürfen die Lehrkräfte – zumindest in den meisten Bundesländern wie Berlin – dennoch das Wissen über geschlechterneutrale bzw. -inklusive Sprache und Rechtsschreibung vermitteln und einüben (s. u.).

Es bestehen nämlich gerade aus wissenschaftlicher Sicht Zweifel, dass das generische Maskulinum tatsächlich in der gesellschaftlichen Realität durchgehend geschlechterübergreifend wahrgenommen wird; vielmehr deutet vieles darauf hin, dass die männlichen Ausdrücke in vielen Fällen auch vorrangig oder ausschließlich auf männliche Individuen bezogen werden, insbesondere dann, wenn es sich z. B. um beruflich Tätige, um klassischen Männerdomänen oder sozial höhergestellte Personen handelt.Z. B. Luise Pusch: Das Deutsche als Männersprache. Frankfurt a. M. 1984.

Der Vater wandte sich gegen die Verwendung einer genderneutralen Sprache an den Gymnasien seiner Kinder sowie gegen die aus seiner Sicht dort einseitig dargestellte Identitätspolitik und Critical Race-Theory. Nach diesbezüglicher Korrespondenz zwischen ihm und den beiden Schulen erhob der Antragsteller im Sommer 2022 eine „Beschwerde“ bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, die er mit einer E-Mail noch ergänzte. Die Senatsverwaltung nahm ihm gegenüber Stellung, worauf er am 6. Februar 2023 das Verwaltungsgericht Berlin anrief und einen Antrag zum vorläufigen Rechtsschutz stellte.

Das Gericht fasste die Rechtspositionen des Vaters in der Entscheidung wie folgt zusammen:

„Er sieht sich in seinem Elternrecht verletzt. Er ist der Auffassung, dass in den Schulen seiner Kinder die amtlichen Regelungen der deutschen Rechtschreibung zu beachten seien, die mit der Verwendung einer genderneutralen Sprach- und Sprechweise nicht zu vereinbaren seien. Daher dürfe eine genderneutrale Sprach- und Sprechweise weder in Lehrmaterialien und Arbeitsblättern noch in der Kommunikation gegenüber Eltern und Schülern erfolgen. Wenn die Schulverwaltung dies ermöglichen wolle, sei ein formelles Gesetz erforderlich, da es sich hierbei um einen wesentlichen Vorgang handele. Die Verwendung von genderneutraler Sprache in Unterrichtsmaterialien verstoße fortlaufend gegen die Vorgaben des Schulgesetzes. In diesem Zusammenhang rügt der Antragsteller des Weiteren, dass es am X-Gymnasium aus seiner Sicht im Unterricht insgesamt zu einer einseitigen Darstellung zum Umgang mit einer genderneutralen Sprache, der Identitätspolitik sowie zur Bewertung von rassistischem Verhalten komme. Hierzu beschreibt er einzelne Unterrichtsinhalte näher. Die Sache sei zudem eilbedürftig, weil seine Kinder hierdurch „indoktriniert“ würden. Sie seien fortlaufend einem Anpassungsdruck unterworfen.“VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 2–3. Vgl. auch LTO vom 27. März 2023: Berliner Vater scheitert vorm VG: Eilantrag gegen das Gendern an Schulen erfolglos. Sowie: Ronen Steinke: Eins mit Sternchen. Zieht ein Vater gegen vermeintlichen Zwang zur Gendersprache am Gymnasium seines Sohnes vor Gericht. Das Urteil überrascht. In: Süddeutsche Zeitung vom1./2. April 2023, S. 15.

Der Antragsgegner, das Land Berlin bzw. deren Bildungssenatsverwaltung, hielt seinen Antrag für unzulässig, denn

„der Antrag [sei] zu weit gefasst und darüber hinaus deswegen unzulässig, weil die Schulaufsicht nur im Innenverhältnis gegenüber Lehrkräften tätig werden könne. Die maßgebliche Vorschrift im Berliner Schulgesetz vermittle dementsprechend keine Rechtsposition nach außen. Überdies sei der Antrag auch unbegründet, denn es fehle sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem Anordnungsgrund.“ Außerdem nutzten die Schulen das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 14.

Zu den Annahmen und Vorwürfen des Vaters nahm die Senatsverwaltung hinsichtlich des „Genderns“ Stellung und teilte Folgendes mit:

„Die Bildungsstandards zur Sprachvermittlung würden eingehalten. Die von dem Antragsteller gerügte angebliche systematische Verwendung genderneutraler Sprache finde gar nicht statt, diese werde nur von einer Minderheit der Lehrkräfte genutzt. Jedenfalls sei die Verwendung genderneutraler Sprache im Unterricht und im Schulgeschehen rechtmäßig. Dies unterfalle dem gestalterischen Rahmen und pädagogischen Gestaltungsspielraum der Lehr- und Erzieherkräfte. Der sog. Beutelsbacher Konsens werde beachtet“ (Hervorheb. d. Autorin).VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 14.

Der Beutelsbacher Konsens fasst anerkannte fachliche Prinzipien der politischen Bildung zusammen. Er besagt: Erstens ein Überwältigungsverbot (Indoktrinationsverbot) der Schüler (und Schülerinnen), zweitens: Was kontrovers in Wissenschaft und Politik ist, muss im Unterricht auch so dargestellt werden, drittens: Der Schüler (und die Schülerin) muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine/ihre eigene Interessenlage selbständig zu analysieren (in Klammer: Hinzufügung durch die Autorin).Vgl. https://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/auftrag/51310/beutelsbacher-konsens/ z.a. 02. April 2023.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts: Abweisung des Antrags, das Gendern in Sprache und Schreibweise an den Schulen zu verbieten bzw. zu unterbinden

Das Verwaltungsgericht hielt zwar den Eilantrag für zulässig, erachtete seinen Antrag jedoch nicht für begründet und wies ihn ab, u. a. weil keine Eile geboten sei. Wegen des vorläufigen Charakters seines Rechtsschutzantrags könne er nicht das erreichen, was erst mit dem Hauptsacheverfahren zu erreichen wäre, zumal seinen Kindern keine irreversiblen Nachteile drohten. Aber auch materiell-rechtlich scheitere sein Antrag, weil das von ihm gerügte Verhalten der Schule(n) und der Lehrkräfte sein Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) nach summarischer Prüfung nicht verletze:

„Das dem Antragsteller als sorgeberechtigtem Elternteil zustehende Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG beinhaltet zwar u. a. dessen Recht, die Sprachkompetenz seiner Kinder zu fördern, ihnen die Kenntnis der Rechtschreibregeln zu vermitteln und sie zu schriftlicher Kommunikation mit Eltern und Dritten zu befähigen (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998 – 1 BvR 1640/97 –, juris Rn. 135). Diese Verantwortung als Elternteil für den Gesamtplan der Erziehung seiner Kinder steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zum staatlichen Erziehungsauftrag in der Schule (vgl. Art. 7 Abs. 1 GG), der in seinem Bereich dem elterlichen Erziehungsrecht gleichgeordnet ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Oktober 1979 – 1 BvR 647/70 –, juris Rn. 41). Daraus folgt die Befugnis der staatlichen Schulaufsicht, Stoff, Methoden und Mittel des Unterrichts näher zu bestimmen, durch die die angestrebten Unterrichts- und Erziehungsziele verwirklicht werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Mai 1988 – BVerwG 7 C 89/86 –, juris Rn. 7).

Gemessen an diesen Grundsätzen kann die Kammer nicht erkennen, dass das vom Antragsteller gerügte Verhalten der betreffenden Schulen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen rechtswidrigen Zustand darstellt, der ihn in seinen elterlichen Rechten verletzt. Dies betrifft sowohl die Verwendung genderneutraler (Schrift-)Sprache in Lehrmaterialien und Arbeitsblättern im Unterricht sowie schriftlicher und elektronischer Kommunikation innerhalb der Schule und nach außen gerichtet, insbesondere in Elternbriefen und E-Mails an die Schüler- und Elternschaft und an Schulgremien mit Schüler- oder Elternbeteiligung, als auch die Verwendung einer genderneutralen Sprache schulischen Personals im mündlichen Ausdruck, etwa durch die Verwendung von Sprechpausen und/oder die Nutzung des Partizip Präsens aktiv (im Folgenden zusammengefasst unter „Gendern in der Schule“). Der Antragsteller kann dementsprechend keine Abwehr der von ihm geltend gemachten Beeinträchtigung durch ,Gendern in der Schule‘ verlangen (Hervorheb. d. Autorin).VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 23–24.

Sofern der Antragsteller bestreite, dass sich die Lehrkräfte an die vorgegebenen Regeln hielten, sei dies zu pauschal, so dass er derartiges nicht als wahrscheinlich dargestellt habe. Im Übrigen widerspreche die von den Schulleitungen „freigestellte Verwendung genderneutraler Sprache bei gleichzeitiger Beachtung der Regeln der deutschen Rechtschreibung im Lehr- und Lernprozess […] überdies nicht den rechtlichen Vorgaben“ (Hervorheb. d. die Autorin).VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 27–28.

Im schönsten Bürokratendeutsch erläutert das Gericht die Rechtslage in Bezug auf geschlechterneutrale bzw. geschlechtergerechte Schreib- und Redeweise:

„(1) Nach der Ausführungsvorschrift über die amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung – AV Rechtschreibung – (vgl. ABl. 2006, S. 3098), die für alle Schulen des Landes Berlin galt (vgl. Nr. 1), war die am 2. März 2006 von der Kultusministerkonferenz der Länder beschlossene amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung vom Schuljahr 2006/2007 an verbindliche Grundlage des Unterrichts an allen Schulen (vgl. Nr. 2. Abs. 1). Dies gilt nach dem Außerkrafttreten der Regelung am 31. Juli 2011 (vgl. Nr. 3 Abs. 1) über § 10 Abs. 1 SchulG [Berlin] fort. Danach wird der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule auf der Grundlage von Rahmenlehrplänen erfüllt (Satz 1). Die Rahmenlehrpläne für Unterricht und Erziehung bestimmen die Grundprinzipien des Lernens sowie die verbindlichen allgemeinen und fachlichen Kompetenzen und Qualifikationsziele (Satz 2). […]

Danach hat nach dem Willen des Gesetzgebers der von der Kultusministerkonferenz eingeleitete Weg zu einer Standardorientierung der Schule seine Konsequenzen für die Rahmenpläne (vgl. Abg.-Drs. 15/1842, Begründung S. 15). Der hier maßgebliche Rahmenlehrplan Teil C Deutsch Jahrgangsstufen 1 – 10 nimmt vor diesem Hintergrund auch an diversen Stellen auf die Rechtschreibregeln Bezug (vgl. S. 5, 20, 21, 37). Nach dem besagten Beschluss der Kultusministerkonferenz der Länder vom 2. März 2006 ist den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung zu folgen.Nachzulesen unter: https://www.kmk.org/aktuelles/artikelansicht/kultusministerkonferenz-stimmt-empfehlungen-des-rats-fuer-deutsche-rechtschreibung-zu.html. Z.a. 05. April 2023.

Dieser hat zuletzt die Aufnahme von Asterisk (,Gender-Stern‘), Unterstrich (,Gender-Gap‘), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung nicht empfohlen. Hier verweist das Gericht auf die Pressemitteilung des Rates für deutsche Rechtschreibung vom 26. März 2021, sowie Anlage 1 vom 26. März 2021 und Anlage 2 vom 28. Juni 2021 unter https://www.rechtschreibrat.com/geschlechtergerechteschreibung-empfehlungen-vom-26-03-2021/ z.a. 05. April 2023.

Unabhängig davon, dass es sich bei dem Rahmenlehrplan um eine Verwaltungsvorschrift (vgl. § 11 Abs. 3 SchulG) und mithin grundsätzlich erst einmal um ein Verwaltungsinternum handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. März 1999 – 2 BvF 1/94 –, juris Rn. 38; Lohsein Birnbaum, Bildungsrecht in der Corona-Krise, 2021, § 2 Rn. 89), legt diese Vorgabe den Lehrkräften die Verpflichtung auf, entsprechend den geltenden Rechtschreibregeln zu unterrichten.

Einen Verstoß hiergegen legt weder der Antragsteller dar, noch ist ein solcher an den beiden Schulen sonst ersichtlich. Nicht ausreichend ist insbesondere die nicht glaubhaft gemachte Behauptung des Antragstellers, dass etwa die Deutschlehrerin seines Sohnes am X-Gymnasium das normgerechte Schreiben nicht lehren würde und die Genderschreibweise von ihr nicht als falsch angestrichen werde. Dieser Darstellung tritt die entsprechende Lehrkraft in ihrer Stellungnahme vom 22. Februar 2023 entgegen. Darin erklärt sie nicht nur, dass aus ihrer Entscheidung, sogenannte gendergerechte Sprache zu verwenden, keine Erwartungshaltung oder gar Verpflichtung folge, sondern auch, dass sie darüber aufkläre, dass bislang nur die Verwendung der binären Form des generischen Maskulinums nach dem amtlichen Regelwerk korrekt und jede Abweichung hiervon als orthographischer Fehler zu bezeichnen sei. Hieran zu zweifeln besteht kein Anlass“ (Hervorheb. d. Autorin).VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 29–31.

Im Klartext heißt dies, dass die Regeln der Kultusministerkonferenz die geschlechterneutrale bzw. geschlechtergerechte Abweichung von den Rechtschreibregeln (des Dudens nach neuer Rechtschreibung) sogar verbieten. Gleichwohl ist es den Berliner Lehrkräften freigestellt, über das „Gendern“ in der Schrift- und mündlichen Sprache zu informieren und es – in bestimmten Grenzen – auch selbst zu praktizieren.

Anders als etwa in Sachsen (vgl. Rundschreiben des Staatsministeriums für Kultus vom 25. August 2021) gebe es in Berlin kein Rundschreiben der Bildungssenatsverwaltung, „wonach eine normgerechte Umsetzung einer geschlechtergerechten Schreibweise nur durch geschlechtsbezogene Paarformen, geschlechtsneutrale Formulierungen, Passivformen und Umschreibungen umgesetzt werden soll, nicht jedoch durch die Verwendung von Sonderzeichen)“.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 33. Bezüglich der Unterrichtsmedien fährt das Verwaltungsgericht fort wie folgt:

„Das gerügte „Gendern in der Schule“ stelle auch keinen Verstoß gegen die Auswahlregeln für Lehrbücher und Unterrichtsmedien (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 SchulG) dar, wie der Antragsteller meint. „Danach dürfen Schulbücher, digitale Bildungsmedien und andere Unterrichtsmedien, die dazu bestimmt sind, von Schülerinnen und Schülern über einen längeren Zeitraum überwiegend im Unterricht und bei der häuslichen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts verwendet zu werden, an einer Schule nur eingeführt werden, wenn sie unter anderem mit den Zielen, Inhalten und Standards der Rahmenlehrpläne für Unterricht und Erziehung vereinbar sind (Nr. 2). […] Über die Auswahl und den Einsatz entscheidet jede Lehrkraft im Rahmen der Beschlüsse der in diesem Gesetz dafür vorgesehenen Gremien selbständig; in Zweifelsfällen entscheidet die Schulleiterin oder der Schulleiter“ (Hervorheb. d. Autorin).VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 34.

Im Klartext heißt das, dass die Behauptungen des Vaters zur Praxis an den beiden Schulen, wo Gendern geradezu vorherrsche, nicht zutreffen. Aber auch die Rechtsregeln sind im Allgemeinen an deutschen staatlichen Schulen anders als oft behauptet. Es gilt für die Rechtschreibregeln nach den KMK-Vorschriften das generische Maskulinum als Norm, d. h. die männliche Form für die Personengruppe meint im Zweifel auch das weibliche und neuerdings das diverse Geschlecht mit. Allenfalls könne die binäre Darstellung der männlichen und weiblichen Formen, also z. B. „Männer und Frauen“, „Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen“, „Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen“, gewählt werden. Verkürzte Formen mit Sonderzeichen wie dem Gender-Sternchen, Unterstrichen, Doppelpunkten, dem großen Binnen-I und weiteren Formen der geschlechtsneutralen und geschlechterinklusiven Darstellung der mitgemeinten Personen sollen nicht benutzt werden. Insbesondere sollen nach den KMK-Regeln, die auf Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung beruhen, keine Sonderzeichen verwendet werden. (Welche Folgen ein Verstoß gegen derartige Regeln für die Schüler oder Schülerinnen im Einzelnen hat oder haben kann, wurde nicht behandelt, hängt ohnehin vom Zweck der pädagogisch-didaktischen Übung ab.)

Das generische Maskulinum muss gelehrt werden, genderneutrale bzw. gendergerechte Sprache und Schreibweise sind aber nicht verboten

Das Gericht betont, es könne den Berliner Rahmenlehrplänen „kein Verbot entnommen werden, Unterrichtsmedien genderneutral zu formulieren“.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 35. Das Gericht verwendet den Ausdruck „genderneutrale“ Sprache; dabei meint es geschlechterinklusive Formulierungen und Schreibweisen wie z. B. Schüler*innen, Lehrer:innen, Schulleiter_innen oder PädagogInnen, mit denen sowohl weibliche wie männliche und – je nach Definition – auch diverseAls „divers“ werden seit der BVerfG-Entscheidung vom 10. Oktober 2017 „intersexuelle“ Menschen bezeichnet, die „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ aufweisen. Das bedeutet, dass sie sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen bzw. geschlechtliche Merkmale solcher Art aufweisen. Bislang unterscheidet das Recht nämlich zwischen der gefühlten Geschlechtsidentität und der physisch-biologischen nachweisbaren Konstitution. Gemäß § 45b Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) bedarf es einer ärztlichen Erklärung, um darzulegen, dass ein Fall von „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt, damit die Einstufung als „divers“ beim Standesamt amtlich anerkannt wird. Ein Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung befindet sich im Gesetzgebungsverfahren. Es erfasst Prozesse der geschlechtlichen Transition, möglicherweise wird dadurch auch die Feststellung von Trans Personen und intersexuellen (diversen) Personen vereinheitlicht. Personen(gruppen) bezeichnet werden können. Geschlechtsneutral im strengen Sinne sind eigentlich nur Partizipien wie z. B. Studierende, Sporttreibende usw., weil hier die vergeschlechtlichten Formen nicht erkennbar sind. Aber auch solche Partizip-Ausdrücke sollen gemäß KMK und dem Rat für deutsche Rechtsschreibung vermieden werden. Wegen solcher feiner Unterschiede bezeichnen feministische Akteurinnen und Autorinnen die geschlechtersensible Sprach- und Schreibweise meist als „geschlechtergerechte“ Ausdrucksweise, weil sie sichtbar macht, dass außer Männern/Jungen auch Frauen/Mädchen und Personen mit „diverser“ Geschlechtsidentität dazugehören. Die Kammer verwendet meist den englischen Begriff „Gender“, was das soziale Geschlecht und die Geschlechtsidentität bezeichnet, während das deutsche Wort „Geschlecht“ auch das biologische Geschlecht anspricht, was im Englischen mit dem Wort „sex“ bezeichnet wird. Allerdings verschwimmen heutzutage die Bedeutungen im Alltagsgebrauch, so dass Gender und Geschlecht – besonders in Zusammensetzungen – im Deutschen häufig gleichbedeutend verwendet werden.

Die Kammer fährt fort: Sie könne im summarischen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht erkennen, dass die beiden Schulen den „demnach bestehenden Spielraum bei der Gestaltung von Unterrichtsmaterialien überschreiten“.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 36. Zudem bewertete das Gericht die Behauptungen des Vaters, wonach eine bestimmte Lehrkraft jene geschlechtergerechte oder gender-neutrale Schreibweise und sprachliche Darstellung als einzig richtige dargestellt habe und somit einen Anpassungsdruck bei den Schülern und Schülerinnen erzeugt habe, als nicht plausibel bzw. nicht ausreichend bewiesen, denn die beschuldigte Lehrkraft habe dies laut Darstellung der Schule bestritten.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 31.

Für die Kommunikation der Schulen mit Eltern und Schülerschaft in Schriftsprache und mündlicher Ansprache habe der Antragsteller ebenfalls keinen Anspruch auf Unterlassen der genderneutralen Sprache. Die Amtssprache sei deutsch. Diese Regel finde auch in der Schule Anwendung. Die Verwendung von Sonderzeichen in amtlichen Mitteilungen der beiden Schulen verstoße nicht dagegen, denn die erforderliche Verständlichkeit sei hinreichend gewahrt. Das gelte auch für „künstliche Produkte der Genderlinguistik wie Binnen-I oder Genderstern“.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 38–40. Hierzu führt das Gericht auch andere Rechtsprechung an und stellt damit den aktuellen status quo dar. Der Sprachgebrauch sei mittlerweile „allgemeinkundig“. Es seien in jüngerer Zeit auch manche fachlichen Ausdrücke wie z. B. „Zwitter“ durch neutralere Begriffe wie „Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ eingebürgert worden. Die Rechtsprechung ziehe neben dem Duden die Einschätzung der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) heran; bezüglich der Variante mit dem Genderstern komme es aber nicht darauf an, ob die GfdS dieser Entwicklung kritisch gegenüberstehe.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 41.

Bei der Frage nach dem üblichen Sprachgebrauch komme es auch nicht darauf an, was der Antragsteller von genderneutraler Sprache halte oder wie er die Mehrheitsverhältnisse bei der Einschätzung durch die deutsche Bevölkerung beurteile:

„Auch der Vortrag des Antragstellers, dass die deutsche Bevölkerung mehrheitlich die Verwendung von genderneutraler Sprache ablehne, ändert nichts daran, dass amtliche Mitteilungen bei Verwendung der vom Antragsteller gerügten Sonderzeichen hinreichend verständlich bleiben. Angesichts der Tatsache, dass genderneutrale Sprache zunehmend Eingang in die Öffentlichkeit findet und über diese nicht nur umfangreich fachspezifisch (vgl. Lembke, Geschlechtergerechte Amtssprache. Juli/Dezember 2021, S. 94; Mangold, Verfassungsblog vom 13. März 2018; Gössl/Dannecker/Schulz, NZFam 2020, 145; Bachmann, NJW 2018, 1648; Friehe in Stern/Sodann/Möstl, Staatsrecht 2. Aufl., 2022, § 7 Rn. 29; Sybold, DÖV 2020, 997, 979; Ulrich, DVBl. 2022, 69), sondern auch im politischen Raum diskutiert wird, geht der erhobene Einwand, dass die Bedeutung von Begrifflichkeiten wie „Lehrer*in“ nicht verständlich im Sinne des § 23 Abs. 1 VwVfG sei, mittlerweile erkennbar ins Leere (vgl. Schlingloff, ZJS 2021, 727, 728)“ (Hervorheb. d. Autorin).VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 42.

In den folgenden Abschnitten legt die Kammer dar, dass es nicht gegen die staatliche Neutralität verstoße, wenn den Lehrkräften freigestellt werde, genderneutrale Sprache zu verwenden. Dieses Gebot der Neutralität „ist Ausfluss des Elternrechtes und berücksichtigt das Verhältnis zum verfassungsrechtlich festgelegten Erziehungsauftrag der Schule (Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1GG)“.

Unzulässig ist daher jede einseitige Beeinflussung der Schülerinnen und Schüler (§ 4 Abs. 1 Satz 2 SchulG Berlin). Lehrkräfte müssen dafür sorgen – unbeschadet ihres Rechts, im Unterricht die eigene Meinung zu äußern – dass auch andere Auffassungen, die für den Unterrichtsgegenstand im Rahmen des Bildungsauftrags der Schule erheblich sind, zur Geltung kommen (Satz 1). Mit dem Neutralitätsgebot vertrage es sich daher nicht, Kinder bzw. Schüler und Schülerinnen im Hinblick auf gesellschaftspolitische grundlegende Kontroversen einseitig zu indoktrinieren. Der Staat habe sicherzustellen, dass in der Schule Rücksicht auf die plurale Gesellschaft genommen werde und

„jede einseitige Werbung politischer Art seitens der Lehrerschaft unterbunden wird (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1990 – BverwG 2 C 50/88 – juris Rn. 24). Hiergegen wird durch das ‚Gendern in der Schule‘ nicht verstoßen“.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 45.

Dass alle Lehrkräfte der beiden Schulen in der Verwendung von genderneutraler Sprache eine politische Meinungsäußerung getätigt hätten, sei – nach Ansicht des Gerichts – nicht zwingend zu erkennen und habe der Antragsteller nicht substantiiert dargelegt. Das könne man ohnehin nur bezogen „auf den konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der weiteren Begleitumstände (vgl. Grabenwarter in Dürig/Herzog/Scholz, 99. EL September 2022, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 55 m. w. N.)“ ermitteln.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 46. Selbst wenn die Verwendung genderneutraler Sprache eine Zuschreibung einer bestimmten politischen Richtung sein sollte, wären die genannten Grenzen noch nicht überschritten. Genderneutrale Sprache habe Eingang in die Öffentlichkeit gefunden, aber auch umgekehrt gebe es Widerstand gegen die Verwendung solcher Sprache, und folglich könne mittlerweile „auch durch die Nichtverwendung von genderneutraler Sprache ebenso eine politische Zuschreibung in Betracht kommen“.

„Vor diesem Hintergrund dürfte es den Lehrkräften bei lebensnaher Betrachtung zunehmend kaum möglich sein, ihren Sprachgebrauch so auszugestalten, dass er keine derartige politische Zuschreibung mehr zulässt. Darüber hinaus wird von einer Lehrkraft, die sich zur Erfüllung ihres pädagogischen Auftrags in gewissem Maße auch mit ihrer Persönlichkeit einbringen muss, eine vollständige politische Enthaltsamkeit im Unterricht nicht verlangt (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 24. Mai 1984 – DH 18/83 –, NJW 1985, 1661, 1661 m. w. N.; VG Freiburg, Urteil vom 13. Mai 2022 – DL 11 K 2735/21 – juris), was § 67 Abs. 3 SchulG ausdrücklich klarstelle“ (Hervorheb. d. Autorin).VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23Rn. 47.

Selbst wenn jedoch im Sinne des Antragstellers die Verwendung genderneutraler Sprache eine Zuschreibung einer bestimmten politischen Richtung ermöglichen sollte, wären die oben genannten Grenzen hierdurch nicht überschritten. Das heißt, auch Lehrer und Lehrerinnen dürfen ihre Meinung kundtun, wenn sie andere Meinungen zulassen, sich angemessen ausdrücken und Schülerinnen und Schüler nicht indoktrinieren. Von einer Lehrkraft werde sogar verlangt, dass sie ihre Persönlichkeit einbringt. Vollständige politische Enthaltsamkeit im Unterricht wird nicht verlangt. Beamte und Beamtinnen haben sich politischer Betätigung im Dienst regelmäßig zu enthalten, außerdienstlich hänge das erforderliche Maß der Zurückhaltung und Mäßigung davon ab, ob und inwieweit die politische Betätigung einen Bezug zur dienstlichen Stellung und zu den dienstlichen Aufgaben aufweist. Der Antragsteller hatte moniert, dass eine Lehrerein privat einen Twitter-Account betreibe, in dem sie sich für genderneutrale Sprache ausspreche. Dabei erläutert sie, dass Sprache ein Machtinstrument sei. Ihre Ausführungen würden durch ein Schild illustriert, auf dem „Lehrerzimmer“ steht. Das Gericht hält aber auch hier die Grenze für nicht überschritten, solange die Lehrerin nicht behaupte, eine höhere Autorität für ihre Aussagen in Anspruch nehmen zu können. Das sei hier nicht ersichtlich.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 49

Letztlich lasse sich die Unterrichtsgestaltung nicht gegen den Einfluss abschotten, den die staatliche Bildungspolitik auf den Schulunterricht nimmt. Der Meinungsstreit gesellschaftlicher Gruppen beeinflusse legitimerweise auch die Unterrichtsgestaltung. Daraus könne kein Verfassungsverstoß gegen den Grundsatz staatlicher Neutralität und Toleranz abgeleitet werden. Eltern und Schüler bzw. Schülerinnen könnten nicht verlangen, dass die Schulverwaltung die Verwendung von Schulbüchern verhindert, die auf kontroversen und von den Betroffenen bekämpften bildungspolitischen Intentionen beruhen.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 50, dazu führt das Gericht BVerwG, Urteil vom 3. Mai 1988, BVerwG 7 89/86, juris Rn. 9 an. Im Weiteren setzt sich das Gericht mit Einschätzungen der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 13. Mai 2018, VI ZR 143/17) oder gegen das Wiener Ampelpärchen geltend gemachte angebliche Abwehrrechte sowie Ansichten des VGH München (Beschluss vom 20. Juli 2022, 11 ZB 21.1777 – juris Rn 24 f) gegen „Dauerzwangspropaganda in Bezug auf Gender-Ansichten“ auseinander und betont, dass der Antragsteller sich darauf nicht berufen könne, wenn er die Unterlassung jeglicher Behandlung oder Ausübung von genderneutrale Sprache in den beiden Schulen seiner Kinder verlangt. Entsprechendes gelte für seine Berufung auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags oder des Autors Papier (Gendern als verfassungsrechtliche Verpflichtung, 2022).VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 51–53.

Den Kindern des Antragstellers drohe nach all dem keine Indoktrination, ein gewisser Anpassungsdruck sei in der Schule nie zu vermeiden; es sei ihnen zuzumuten, sich mit Auffassungen und Wertvorstellungen einer pluralistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen, auch wenn diese ihren eigenen Überzeugungen widersprächen, der Antragsteller könne auch an Elternabenden teilnehmen und so auf die Gestaltung des Unterrichts, eventuell durch schulische Sonderveranstaltungen, Einfluss zu nehmen.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 64. Das Gericht geht sogar noch auf das Monitum des Antragstellers ein, der gegen eine Ethik-Lehrerin die Beschwerde vorgebracht hat, dass sie einen „Pronomenstuhlkreis“ zur Äußerung über eine bestimmte sexuelle Identität angeregt hätte, zudem habe sie zur „Dekonstruktion von Heteronormativität“ aufgefordert. Allerdings wusste er davon nur vom Hörensagen.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 66–68. Ebenfalls hatte der Antragsteller andere Themen des Ethikunterrichts kritisiert und ihnen doktrinäre Intentionen unterstellt im Zusammen mit Rassismus und der Frage, ob es auch Rassismus gegen Weiße gebe. Dabei stellte das Gericht klar, dass die Auseinandersetzung mit Thesen des Antirassismus und der Critical Race Theorie notwendig dazu gehöre, wenn die Schüler und Schülerinnen Grundlagen für ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Leben gewinnen und soziale Kompetenz, interkulturelle Dialogfähigkeit und ethische Urteilsfähigkeit erwerben sollten.VG Berlin vom 24. März 2023, Az. VG L3 24/23, Rn. 70.

Kommentar: Ein gutes Beispiel für sachliche Argumentation zum Spannungsfeld von Elternrecht und staatlichem Auftrag zur Vermittlung von Grundrechtsbildung und Konfliktaustragung in der Schule

Das Verwaltungsgericht Berlin hat sich viel Mühe gegeben, auf die Beschwerden des Antragstellers im Einzelnen einzugehen, auch wenn sein Antrag abgelehnt wurde. Der Vater zweier Kinder, die jeweils ein Gymnasium besuchen, ging davon aus, dass genderneutrale, d. h. geschlechterinklusive oder gendergerechte Sprache und Schreibweise eine lästige Plage seien, die den Lehrkräften durch die Regeln des Dudens, die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz und die schulaufsichtliche Obrigkeit verboten werden könnten. Er wollte also gegen die vermeintliche Anmaßung bestimmter Lehrkräfte, meist weiblichen Geschlechts, staatliche Autorität in Anspruch nehmen, um seine Kinder vor solchen geschlechtsegalitären Sprech- und Schreibregeln einzelner, aber wohl zunehmend mehrheitsfähiger Feministinnen im Staatsdienst zu bewahren. Sie sollten sich nicht damit auseinandersetzen müssen. Dazu mussten seine Kinder ihm offenbar Protokolle von Unterrichtsstunden liefern, auf die er sich dann stützen konnte bzw. wollte. Allerdings brachte diese Vorgehensweise nicht den erwarteten Erfolg. Dem Gericht genügten die Mitschriften, Tabellen und sonstigen Berichte über das Unterrichtsgeschehen nicht, die Lehrkräfte stellten die Ereignisse anders dar und bestritten die Vorwürfe. Zudem ging es hier um eine Eilentscheidung, mit der der Schule und den Lehrkräften der Gebrauch und das Unterrichten von geschlechterinklusiver Sprache und Schreibweise untersagt werden sollte, ohne dass eine ausführliche gerichtliche Auseinandersetzung mit umfänglicher Beweiserhebung stattgefunden hat. Das lässt sich mit einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel nicht erreichen.

Statt einer solchen Untersagung wurde ihm mit der Entscheidung nun erklärt, wie Grundrechte auch in der Schule wirksam sein können und nicht nur das Elternrecht, sondern auch die Meinungsfreiheit von Lehrerinnen und Lehrern – selbst unter der Mäßigungspflicht des Beamtenrechts – und die Gleichberechtigung von Schülerinnen und Schülern zum Zuge kommen. Gleichberechtigung hat nach feministischer Ansicht auch eine sprachliche Seite. Zudem versuchte das Verwaltungsgericht die Prinzipien des Umgangs mit den Schülerinnen und Schülern im Unterricht und die Prinzipien der fachlichen Gestaltung von Diskussionen kontroverser Themen im Unterricht zu erläutern. Hierbei spielt der erwähnte Beutelsbacher Konsens eine große Rolle. Wahrscheinlich war dem Antragsteller die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses zwischen Elternrecht und staatlichem Bildungsauftrag vorher nicht klar, womit der Vater sicherlich nicht allein steht. Und möglicherweise kennt er – wie vermutlich auch die meisten anderen Eltern – den „Beutelsbacher Konsens“ nicht, der den Lehrkräften deutlich macht, wie kontroverse Themen zu behandeln sind, ohne dass indoktriniert wird und die Lehrkraft eine höhere Autorität für sich in Anspruch nimmt.

Die These einer von dem Antragsteller kritisierten Lehrerin, dass Sprachgebrauch ein Machtinstrument sei, wurde und wird durch diese Entscheidung verdeutlicht und gleichzeitig dekonstruiert. Was daraus praktisch für den Vater und seine Kinder folgt, wissen wir nicht, im besten Fall ein Lernprozess.

Dass es heutzutage in Sachen der Geschlechtergleichberechtigung so viel Abwehr gegen einen inklusiven Sprachgebrauch gibt, verwundert, macht aber klar, welche Widerstände in der Gesellschaft vorhanden sind, Machtpositionen – seien sie groß oder klein – aufzugeben. Andererseits fallen manche allzu doktrinäre oder unverständliche Formen des gendergerechten Sprachgebrauchs ihrerseits negativ auf, die von den bisher vom generischen Maskulinum allenfalls Mitgemeinten mit wenig Rücksicht auf die Ästhetik und den Fluss der Sprache nun zur neuen Norm erhoben werden (sollen). Der gerichtliche Prozess macht aber auch darauf aufmerksam, dass gerichtliche Verfahren selten oder gar nicht dazu taugen, ideologische gesellschaftliche Konflikte befriedigend auszufechten. Schon das Problem, dass die erhobenen Anschuldigungen gegen einzelne Lehrkräfte – im Eilverfahren durch präsente Beweismittel, im Hauptsacheverfahren auch durch Zeugeneinvernahme – haarklein zu beweisen sind, würde das vertrauensbedürftige Verhältnis von Schüler*innen, Lehrkräften und Eltern erschüttern und sich zu einem Kleinkrieg von Lehrkräften, Eltern und Schulleitungen auswachsen. Letztlich hatte das Gericht kaum eine Alternative als den Antrag abzuweisen, denn es hätte den Lehrkräften und Schulleitungen nicht ernsthaft den Mund verbieten können, so dass sie keine genderinklusiven bzw. geschlechtergerechten Formulierungen mehr hätten benutzen dürfen. Das hätte fast sämtliche Rechte der Meinungsfreiheit und des Persönlichkeitsrechts der Lehrerinnen verletzt, zumal es hier nicht um einzelne Personen und ihre Lehrfreiheit im jeweiligen Fach ging, sondern um eine Gesamtheit von Personen und Vorgängen in den beiden Schulen. Es bleibt also vernünftigerweise nur der Weg andere Foren vom Elternabend bis zu wissenschaftlichen Vorträgen in der Schule sowie Podiumsdiskussionen im Fernsehen oder Radio oder Internet zu solchen gesellschaftlichen Streitthemen zu veranstalten. Nur klare Fälle von Indoktrination lassen sich mit klaren Beweisen vor Gericht bringen. Im Schulalltag ist es vor allem Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer selbst, ihren Sprachgebrauch verständlich zu machen und vielleicht auch – je nach Schüler(innen)publikum und dahinter stehenden Eltern – pragmatische Kompromisse und gefälligere Variationen zu finden.

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