McKinsey: Deutschland braucht mehr Tech-Champions, um Wachstum zu beschleunigen

27.11.2023  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: McKinsey & Company.

Nur 18% der DAX-gelisteten Unternehmen sind Tech-Champions – Quote in USA fast doppelt so hoch - Tech-Champions tragen überproportional zum Wirtschaftswachstum bei – und investieren dreimal so viel in Forschung und Entwicklung wie andere Unternehmen - Engerer Schulterschluss von Unternehmen, Investoren, Forschungslandschaft und Politik notwendig

Deutschland steht vor der großen Herausforderung, den erreichten Wohlstand auch für die Zukunft zu sichern. Ein Schlüssel dafür ist ein hoher Anteil an Tech-Champions – Unternehmen, die durch ihre Disruptions- und Innovationskraft überproportional zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum beitragen. Allerdings bringt Deutschland zu wenige dieser Unternehmen hervor: Mit nur 18% liegt der Anteil der Tech-Champions in den DAX-Indizes nur halb so hoch wie im amerikanischen S&P 500 (33%). Dies zeigt sich auch an der Performance der Leitindizes: Der DAX wuchs mit 3% pro Jahr seit 2015 deutlich langsamer als der S&P 500 mit 10%. Noch signifikanter ist der Unterschied beim Anteil der Tech-Champions an den 40 größten Unternehmen nach Marktkapitalisierung: Hier kommt Deutschland auf sechs Tech-Champions, während in den USA die Hälfte der Unternehmen in diese Kategorie fallen und auch eine signifikant höhere Marktkapitalisierung erreichen. Dies geht aus der Studie „Tech-Champions made in Germany“ hervor, die die Unternehmensberatung McKinsey & Company heute veröffentlicht hat.

Mehr Gründungen können 500 Mrd. Euro an zusätzlichen Wert schaffen

„Tech-Champions sind die Wachstumsmotoren unserer Wirtschaft von morgen“, sagt Harald Bauer, Senior Partner im Frankfurter Büro von McKinsey und Co-Autor der Studie. „Sie wachsen nicht nur schneller als andere Unternehmen, sondern forschen und entwickeln viel intensiver. Damit tragen sie überproportional zum Wirtschaftswachstum bei.“ Während die Technologieunternehmen im DAX rund 12% ihres Umsatzes für Forschung und Entwicklung ausgeben, liegt dieser Wert bei anderen DAX-Unternehmen bei nur 4%. Allerdings schaffen es anderen Länder, diese F&E-Ausgaben noch besser ins Wachstum umzumünzen: In den USA wachsen die Umsätze der Tech-Champions mit 16% pro Jahr, während es in Deutschland nur 7% sind.

Ein weiteres Studienergebnis: Bereits ein Anstieg der Gründungsaktivität um 50% bis 2030 kann bis zu 500 Mrd. EUR an zusätzlichem Wert für die deutsche Wirtschaft generieren und über 200.000 Arbeitsplätze neu schaffen.

Ein Schlüssel, um zukünftig mehr Tech-Champions hervorzubringen, ist es, die Voraussetzungen zu verbessern: Unternehmen müssen die technologischen Innovationen nicht nur erarbeiten, sondern sie auch vor Wettbewerbern schützen können. Dafür braucht es einen Schulterschluss zwischen Wirtschaft, Forschung, Förderinstrumenten, Investoren und Entrepreneuren und der Politik, um eine starke Innovationskultur zu schaffen und tragfähige Ökosysteme zu errichten. — Harald Bauer

In der Grundlagenforschung ist Deutschland bei vielen Zukunftstechnologien weltweit führend – die gesamtwirtschaftlichen F&E-Ausgaben sind mit knapp 3,2% des Bruttoinlandsprodukts höher als in den USA (3,1%). „Was deutschen Unternehmen noch zu selten gelingt, ist die Kommerzialisierung und Skalierung“, so Bauer. Die Kluft verstärkt sich bei den angemeldeten Patenten, bei den Börsengängen und der Zahl der so genannten Unicorns.

Die aktuell herausfordernden makroökonomischen Trends bergen sowohl Chancen als auch Risiken: Zwar gibt es hierzulande insgesamt weniger Start-up-Gründungen (2022 minus 18% im Vergleich zu 2021) und auch weniger Börsengänge; allerdings ist der Gesamtfinanizerungsvolumen für deutsche Start-ups stabil und weist seit 2017 ein Wachstum von 33% pro Jahr auf. Die Frühphasenfinanzierung war 2022 in Deutschland mit 1,4 Mrd. US-Dollar auf dem zweithöchsten Niveau aller Zeiten. Einige Tech-Champions sind bereits in Deutschland entstanden oder bilden sich gerade heraus. „Grundlage dafür bieten die Erfolgsfaktoren des Standorts Deutschland: etablierte Tech-Hubs wie in Berlin und Potsdam, Sachsen oder München“, sagt Tobias Henz, Experte für Start-up-Ökosysteme und Partner im Münchner McKinsey-Büro.

Mittelstand kann zum Innovationstreiber werden

Der deutsche Mittelstand ist ein entscheidender Treiber für Innovation und Wachstum in der Wirtschaft. Allerdings geht die traditionell hohe Zahl der Innovationen, die aus dem Mittelstand kommen, seit 2002 jährlich um knapp 5% zurück. Auch dem Mittelstand fällt es zunehmend schwer, Innovationen aus der Grundlagenforschung zu kommerzialisieren. Die aktuellen makroökonomischen Disruptionen (z.B. Unterbrechungen der Halbleiterlieferungen) zwingen Unternehmen, zu reagieren und Prozesse zu digitalisieren. Gelingt dies, ist zu erwarten, dass der Mittelstand, aus dem einige der heutigen Tech-Champions in Deutschland hervorgegangen sind, seine Rolle als Innovationstreiber wieder forcieren und eine starke Basis für neue Tech-Champions bilden wird.

„Deutschland erfüllt zweifellos viele wichtige Voraussetzungen und verfügt über zentrale Erfolgsfaktoren, um in attraktiven Zukunftsfeldern stärker zu wachsen“, sagt Bauer. Folgende Bereiche werden in der Studie als besonders relevant identifiziert:

  • Stärkung und Ausbau regionaler Tech-Hubs: Ziel ist es, den Unternehmergeist in den Regionen zu fördern und ein Ökosystem zu schaffen, das Start-ups beim Skalieren optimal unterstützt
  • Forschungsförderung und Kommerzialisierung von Innovationen: Angewandte Forschung wird in Deutschland häufig nicht aktiv vermarktet und kommerzialisiert. Andere Länder sind hier erfolgreicher: durch Aktualisierung der rechtlichen Regelungen und Infrastruktur, Förderung von Innovation und Kommerzialisierung an Universitäten sowie Schaffung einer Kultur der Innovation und Risikobereitschaft.
  • Entbürokratisieren innovationsrelevanter Prozesse: Zeit- und kostenintensive bürokratische Prozesse, z.B. die aufwändige Gründung einer GmbH oder langwierige Genehmigungsverfahren, machen Deutschland für viele innovative Unternehmen unattraktiv. So dauert es in Deutschland fast achtmal länger, ein Unternehmen zu gründen als in Neuseeland. Um Innovationen in Deutschland wirksam zu fördern, ist daher eine spürbare Entbürokratisierung von Genehmigungsprozessen und -verfahren erfolgskritisch.
  • Stärkung der Attraktivität für Wagniskapitalgeber: Start-ups in Deutschland müssen im Durchschnitt mit deutlich weniger Wagniskapital auskommen als ihre Wettbewerber in anderen Ländern. Gründe für den Mangel an Wagniskapital im deutschen Start-up-Ökosystem sind vor allem die geringe Anzahl disruptiver Innovationen, die begrenzte Verfügbarkeit von Risikokapital in der Wachstumsphase, fehlende klare „Exit-Kanäle“, regulierungsbedingte Schwierigkeiten, die Kapitalsammelstellen wie Rentenversicherungen hinsichtlich der Bereitstellung von Risikokapital haben, sowie ein fragmentierter Markt mit vielen kleinen Investoren.
  • Förderung der Standortattraktivität für Tech-Talent: Die Belegschaften in Deutschlands Unternehmen werden sich in den kommenden Jahren stark verändern, weil zunehmend andere und neue Kompetenzen gefragt sind. Die Ausbildung von Tech-Talenten an deutschen Universitäten muss verbessert werden; die Umschulung von Beschäftigten, deren aktuelle Tätigkeiten und Dienstleistungen zunehmend weniger gefragt sind, ist auf den Weg zu bringen, um sie auf neue Technologien und Branchen vorzubereiten. Darüber hinaus ist es wichtig, die Akzeptanz ausländischer Fachkräfte zu erhöhen und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zu vereinfachen.
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