Handelsrecht: Urlaubsrückstellungen

20.07.2017  — Arno Scherfer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Experte Arno Scherfer erklärt, was handelsrechtlich bei der Rückstellung von Urlaub zu beachten ist.

↯ Hinweis – aktuellere Artikel verfügbar

Die Inhalte dieses Fachartikels entsprechen nicht mehr der neuesten Rechtslage. Eine aktuelle Version dieses Artikels finden Sie hier:


Bevor es zum Ansatz und zur Bewertung von Urlaubsrückstellungen kommt, sind zunächst die arbeitsrechtlichen, tarifrechtlichen und einzelvertragsrechtlichen Bestimmungen für die Entstehung von Urlaubsansprüchen zu berücksichtigen. Eine Auswirkung auf die Bilanzierung von Urlaubsrückstellungen haben Ansprüche auf Gewährung von Urlaub oder auf eine Abgeltung von nicht genommenen Überstunden im Regelfall erst dann, wenn der Urlaub oder die Gewährung von Freizeit zur Abgeltung von Überstunden aus betrieblichen Gründen – insbesondere bei ausscheidenden Mitarbeitern – nicht gewährt werden konnte oder bei nicht ausscheidenden Mitarbeitern ins neue Jahr übertragen werden musste.

Gesetzliche Grundlagen

Zu beachten ist, dass z.B. aus den folgenden Gesetzen Verpflichtungen zur Bildung von Urlaubsrückstellungen entstehen können:

  • gesetzliche Ansprüche nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG);

  • gesetzliche Ansprüche des Arbeitnehmers nach dem Pflegezeitgesetz (PflegeZG);

  • gesetzliche Ansprüche nach dem Arbeitsplatzschutzgesetz (ArbPlSchG);

  • gesetzliche Ansprüche nach § 17 Abs. 1 BEEG (Bundeselterngeld- und Elternteilzeitgesetz).

In diesem Beitrag werden die Regeln des Pflegezeitgesetzes, des Arbeitsplatzschutzgesetzes sowie des Bundeselterngeld- und Elternteilzeitgesetzes vernachlässigt.

Nach den grundsätzlichen Regeln der §§ 1 und 3 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) erwirbt ein Arbeitnehmer erst nach einer sechsmonatigen Betriebszugehörigkeit das Recht auf Gewährung des vollen Jahresurlaubs von mindestens 24 Werktagen (§ 4 BUrlG). Zu den Werktagen rechnen alle Kalendertage, die nicht Sonntage oder gesetzliche Feiertage sind.

Eine Auswirkung auf die Bilanz haben Urlaubsansprüche nach der gesetzlichen Regelung also nur, wenn das Arbeitsverhältnis schon mindestens seit sechs Monaten bestanden hat. So entsteht z.B. bei einem Arbeitsbeginn am 15. Mai eines Jahres ein Urlaubsanspruch erst am 16. November des gleichen Jahres. Bei einem Arbeitsbeginn z.B. am 1. Oktober entsteht der Urlaubsanspruch erst am 1. April des Folgejahres.

Zu beachten ist bei der gesetzlichen Regelung, dass ein vom vorigen Arbeitgeber bereits gewährter Urlaub auf den Urlaubsanspruch gegenüber dem neuen Arbeitgeber anzurechnen ist. Der bisherige Arbeitgeber ist zum Ausstellen einer Bescheinigung verpflichtet, aus der die für das laufende Kalenderjahr bereits gewährten und abgegoltenen Urlaubstage ersichtlich sind (§ 6 Abs. 2 BUrlG). Die gesetzliche Wartezeit von sechs Monaten bezieht sich nicht auf jedes Kalenderjahr, sondern ist monatsgenau auch unterjährig zu ermitteln.

Während der sechsmonatigen Wartezeit mindern Krankheitstage die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub nicht. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr durch Krankheit und andere gesetzlich anerkannten Gründe an keinem Tag eine Arbeitsleistung erbracht hat. Auch in diesen Fällen kann er den vollen Urlaubsanspruch geltend machen.

Die während des Arbeitsverhältnisses erworbenen Urlaubsansprüche dürfen grundsätzlich nicht durch Geldzahlungen abgegolten werden. Abweichend von diesem Grundsatz dürfen Geldzahlungen an den Arbeitnehmer geleistet werden, wenn der Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht rechtzeitig geltend gemacht werden konnte. Wenn Urlaubstage für das abgelaufene Jahr – wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – nicht genommen werden konnten, sind sie durch Geldzahlungen auszugleichen (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Verboten ist grundsätzlich eine Einbeziehung des Ausgleichs für Urlaubsansprüche durch Aufstockung der laufenden monatlichen Löhne und Gehälter.

Keinen vollen Urlaubsanspruch, sondern nur einen Anspruch auf Teilurlaub hat ein Arbeitnehmer in folgenden Fällen:

  • das Arbeitsverhältnis wird vor Erfüllung der Wartezeit von sechs Monaten wieder beendet;

  • das Arbeitsverhältnis wurde erst nach dem 1. Juli (z.B. am 1. Oktober) begonnen. Nach der 1/12-Regel besteht bis zum Bilanzstichtag nur ein Teilanspruch für die Monate Oktober bis Dezember.

Ferner ist zu beachten:

  • Arbeitsstunden mit einer Arbeitsleistung von mindestens einem halben Tag sind auf volle Urlaubstage aufzurunden (§ 5 Abs. 2 BUrl G);

  • Arbeitsstunden mit einer Arbeitsleistung von weniger als einem halben Tag sind nicht aufzurunden, sondern stundengenau zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 2 BUrlG).

Tarifliche Grundlagen

Tarifliche Regelungen sind vorrangig vor den gesetzlichen Regelungen, wenn der Arbeitnehmer – gegenüber den gesetzlichen Regelungen – nicht benachteiligt wird.

Einzelvertragliche Grundlagen

Vorrangig vor den gesetzlichen und tariflichen Regelungen sind Regelungen in Einzelverträgen. Für den Ansatz und für die Bewertung sind die Urlaubsansprüche aus diesen Einzelverträgen zugrunde zu legen, soweit die einzelvertraglich geregelten Ansprüche nicht gegen die Mindestansprüche aus den gesetzlichen Regelungen verstoßen.

1 Anwendungsbereich

Urlaubsrückstellungen sind von allen bilanzierungspflichtigen Kaufleuten unter den o.g. Voraussetzungen zu bilden.

2 Ansatz dem Grunde nach

In einem Jahresabschluss sind neben sämtlichen Vermögensgegenständen auch sämtliche Schulden, Abgrenzungsposten, Aufwendungen und Erträge auszuweisen (§§ 246 Abs. 1 Satz 1 und § 247 Abs. 1 Satz 1 HGB). Urlaubsrückstellungen gehören zu den Schulden – genauer gesagt – zu den ungewissen Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 HGB) – und sind deshalb zwingend in der Handelsbilanz nach dem Bilanzgliederungsschema des § 266 HGB bei den sonstigen Rückstellungen auszuweisen. Den Urlaubsrückstellungen steht keine Arbeitsleistung gegenüber, da diese bereits im abgelaufenen Geschäftsjahr erbracht wurde. Bei abweichendem Geschäftsjahr erfolgt eine zeitanteilige Berechnung, BFH vom 8. Juli 1992, BStBl II, S. 506.

3 Ansatz der Höhe nach

Bei der handelsrechtlichen Bewertung aller Rückstellungen sind die Regeln des § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB zu beachten. Die Bewertung hat in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags zu erfolgen. Urlaubsrückstellungen haben die Besonderheit, dass sie innerhalb der nächsten zwölf Monate zu erfüllen sind. Deswegen braucht nicht zum Erfüllungsbetrag hochgerechnet werden, außer es kommt zu Entgeltänderungen oder es werden Sondervergütungen wie beispielsweise umsatzabhängige Tantiemen vereinbart. Zu berücksichtigen sind auch anteilige Gemeinkosten, vgl. IDW WPg 1992, S. 330. Es entfällt wegen Nichtüberschreitung der Zwölf-Monats-Grenze eine Abzinsung.

Für die Bewertung von Urlaubsrückstellungen gibt es insbesondere die Methode der Individualberechnung und die Methode der Durchschnittsberechnung.

Praxis-Hinweis:

Bitte beachten Sie, dass es neben der Ansatzstetigkeit auch eine Bewertungsstetigkeit und Ausweisstetigkeit im Handelsbilanzrecht gibt. Die einmal ausgewählte Methode bei der Bewertung von Urlaubsrückstellungen muss für mehrere Folgejahre beibehalten werden.

Die Individualberechnung ist wesentlich komplizierter und zeitaufwändiger als die Durchschnittsberechnung. Da bei der Individualberechnung für jeden Mitarbeiter eine Einzelberechnung durchzuführen ist, verursacht sie einen relativ hohen Zeit- und Kostenaufwand. Deshalb wird aus Vereinfachungsgründen bei den meisten Unternehmen die einfachere Durchschnittsberechnung bevorzugt.

Bei der Individualberechnung ist für jeden einzelnen Arbeitnehmer aus den Daten des Lohnkontos zunächst das anteilige Weihnachtsgeld und u.U. das 13. Entgelt herauszurechnen und das verbleibende Jahresgehalt in ein Tagesgehalt umzurechnen. Zum verbleibenden Jahresgehalt sind noch die Arbeitgeberanteile und die anteiligen Kosten für Beiträge zur Berufsgenossenschaft hinzuzurechnen. Die hierdurch entstandene Bemessungsgrundlage ist durch 250 Arbeitstage zu teilen und mit der Anzahl der Resturlaubstage zu multiplizieren.

Beispiel zur Individualberechnung für die einzelnen Mitarbeiter:

Bruttojahresgehalt nach Abzug des Weihnachtsgeldes

45.000,00 Euro

+

21 Prozent Arbeitgeberanteil

9.450,00 Euro

+

Anteiliger Beitrag zur Berufsgenossenschaft

150,00 Euro

Bemessungsgrundlage

54.600,00 Euro

Geteilt durch 250 Arbeitstage ergibt als Tageswert pro Tag des Resturlaubs

218,40 Euro

Bei 20 Tagen Resturlaub sind für diesen Mitarbeiter zurückzustellen

4.368,00 Euro


Bei größeren Unternehmen wird die Durchschnittsberechnung angewandt. Sie darf aber nicht pauschal für das gesamte Unternehmen genutzt werden, sondern nur getrennt für einzelne Abteilungen oder Gruppen von Beschäftigten. So sind wie bei Anwendung der Individualberechnung zunächst die bei einigen Arbeitnehmern enthaltenen Weihnachtsgelder wieder herauszurechnen. Ebenso ist der Anteil der Arbeitgeberanteile zu korrigieren, wenn einzelne Arbeitnehmer die Beitragsbemessungsgrenze für die Sozialversicherung überschritten haben.

Es müssen bei der Durchschnittsberechnung einzelne Mitarbeitergruppen gebildet werden, weil z.B.

  • bei den Gehältern für die erste Gruppe (leitende Mitarbeiter) zusätzlich zu den Gehältern Weihnachtsgelder gezahlt wurden und die Gehälter außerdem über der Beitragsbemessungsgrenze zur Sozialversicherung lagen;

  • bei den Gehältern der zweiten Gruppe die Beitragsbemessungsgrenze zur Sozialversicherung nicht überschritten wurde, aber Weihnachtsgelder gezahlt wurden;

  • und bei Gehältern der dritten Gruppe die Beitragsbemessungsgrenze zur Sozialversicherung nicht überschritten wurde und keine Weihnachtsgelder gezahlt wurden.

Beispiel zur Durchschnittsberechnung für Mitarbeitergruppen

  • Erster Rechenschritt: Berechnung der rückständigen Urlaubstage

    Bei der ersten Gruppe (leitende Mitarbeiter) wurden noch 220 rückständige Urlaubstage errechnet.

    Bei der zweiten Gruppe (Arbeitnehmer, die Weihnachtsgelder erhalten hatten) wurden noch 200 rückständige Urlaubstage errechnet.

    Bei der dritten Gruppe (Arbeitnehmer, die kein Weihnachtsgeld erhalten hatten) wurden noch 130 rückständige Urlaubstage errechnet.

    Für alle drei Gruppen zusammen sind noch 550 (220 + 200 + 130) rückständige Urlaubstage ermittelt worden.

  • Zweiter Rechenschritt: Berechnung der durchschnittlichen Tageswerte

    Ausgehend von 250 Jahresarbeitstagen wurde für jede Gruppe der nach Abzug der Weihnachtsgelder (bei der ersten und zweiten Gruppe) und nach Einrechnung der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung (bei der zweiten Gruppe und dritten Gruppe) verbleibende durchschnittliche Tageswert ermittelt. Diese durchschnittlichen Tageswerte betrugen:

    Bei der ersten Gruppe

    240 Euro

    Bei der zweiten Gruppe

    170 Euro

    Bei der dritten Gruppe

    190 Euro

    Summe der Tageswerte

    600 Euro


  • Dritter Rechenschritt: Berechnung der Summe der noch zu bildenden Urlaubsrückstellung

    Durchschnittlicher Tageswert für alle drei Gruppen (600 Euro : 3)

    200 Euro

    Bei 550 Tagen Resturlaub somit sind zurückzustellen (550 Tage × 200 Euro)

    110.000 Euro


Urlaubsrückstellungen gehören zu den kurzfristig zu erfüllenden Verpflichtungen mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr und sind daher handelsrechtlich nicht abzuzinsen (§ 253 Abs. 2 HGB).

Steuerrechtlich erfolgt eine stichtagsbezogene Bewertung, die aktive latente Steuern zur Folge haben kann, siehe entsprechenden Beitrag → Latente Steuern.

Rückgriffsansprüche

Nach dem BFH-Urteil vom 8. Februar 1995, I R 72/94 sind bei der Bewertung einer Urlaubsrückstellung Rückgriffsansprüche bzw. Ausgleichsansprüche zu berücksichtigen, wenn nachgewiesen wird, dass sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer drohenden Inanspruchnahme stehen. Die Entstehung und der Zwang zur Erfüllung der Verbindlichkeit dürfen vom Rückgriffsschuldner nicht bestritten werden und seine Bonität darf nicht zweifelhaft sein.

Sonderfall abweichendes Wirtschaftsjahr

Bei abweichendem Wirtschaftsjahr kommt der Ausweis der Urlaubsrückstellung nur für den zeitanteilig vor dem Bilanzstichtag liegenden Teil des laufenden Kalenderjahres in Betracht. Auch ist bei abweichendem Wirtschaftsjahr zu beachten, dass bei Unternehmen mit einem nach dem 31. März liegenden Bilanzstichtag Urlaubsansprüche, die Arbeitnehmer aus dem Vorjahr mitbringen, nicht in die Urlaubsrückstellung einzubeziehen sind, da diese Ansprüche nach dem Bundesurlaubsgesetz am 31. März verfallen. Durch besondere Einzelvereinbarungen kann ein Verfall dieser Resturlaubstage jedoch verhindert werden.

4 Beispiel

Siehe H.3

5 Anhangangaben

Es gelten die allgemeinen Anhangangabepflichten der Rückstellungen, siehe Beitrag → Rückstellungen.

Stand: 03/2011
Quelle: Verlag Dashöfer GmbH
nach oben