Erneute Verkürzung der Restschuldbefreiung geplant

08.09.2020  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Bremer Inkasso GmbH.

Unternehmerisch tätige Personen müssen Zugang zu einem Verfahren haben, das es ihnen ermöglicht, sich innerhalb von drei Jahren zu entschulden. So schreibt es die EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz vor. Nun soll das Restschuldbefreiungsverfahren erneut verkürzt werden.

Die o. g. Richtlinie muss bis zum 17. Juli 2021 in nationales, also deutsches Recht umgesetzt sein. Am 1. Juli 2020 wurde nun von der Bundesregierung ein Gesetzesentwurf der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz beschlossen, der die weitere Verkürzung der Wohlverhaltensperiode und damit des Restschuldbefreiungsverfahrens zum Inhalt hat. Damit werden die Vorgaben der Richtlinie umgesetzt. Dazu kommentiert Bernd Drumann, Geschäftsführer der BREMER INKASSO GmbH.

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„Die Umsetzung der EU-Richtlinie ist das eine, der vorliegende Gesetzesentwurf aber geht ja noch weiter. Einmal mehr handelt es sich hier um den Entwurf eines Gesetzes, der das Wohl der Schuldner, nicht aber das der Gläubiger im Auge hat. Auch wenn die Umsetzung der Richtlinie gerade jetzt für redliche Schuldner, die z. B. durch Corona unverschuldet in finanzielle Not geraten sind, zur rechten Zeit kommt, so bleiben aber die Gläubiger unberücksichtigt, die, nebenbei bemerkt, ebenfalls dem Pandemiegeschehen nicht ausweichen konnten. Als die EU-Richtlinie ‚aus der Taufe gehoben‘ wurde, war von Corona jedoch noch nichts zu ahnen. Auch daraus ist für mich erneut eine sehr einseitige ‚Bewertung‘ von Schulden abzuleiten. Schulden scheinen unzumutbar zu belasten, offene Forderungen anscheinend nicht. Schuldner sollen schneller die Möglichkeit erhalten, wieder aktiv am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Geschehen teilhaben zu können. Und das zu Lasten der Gläubiger. Das halte ich für ein völlig falsches Signal an die Gesellschaft und ist für mich mehr als bedenklich.

Restschuldbefreiung – was ist das?

Was Restschuldbefreiung bedeutet, ergibt sich aus dem Wort selbst. Sie steht in Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren. Die Befreiung von der Restschuld bedeutet, dass das Insolvenzgericht eine gewisse Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Schuldner vom Rest der Schulden befreit, die dieser bis zu diesem Zeitpunkt nicht hat tilgen können. Anders als die Richtlinie vorsieht, soll die Restschuldbefreiung (nach drei Jahren, s. o.) aber nicht nur für unternehmerisch tätige Personen gelten, sondern auch für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Was ist unter einer Wohlverhaltensperiode zu verstehen?

Auch hier kann man die Antwort aus dem Wort herleiten. Es geht um ein richtiges und gutes Verhalten im Sinne gewisser Vorgaben des Insolvenzrechts und das für eine gewisse Dauer. Die Wohlverhaltensperiode bezeichnet den Zeitraum zwischen der Eröffnung des formellen Insolvenzverfahrens und der endgültigen Restschuldbefreiung durch das Insolvenzgericht. Gemäß der EU-Richtlinie soll so eine Periode höchstens drei Jahre währen.

Was sind die Vorgaben für besagtes Wohlverhalten?

Schuldner*innen haben z. B. zu arbeiten oder sich um eine Arbeit zu bemühen, alles oberhalb der Pfändungsgrenze vom Nettoeinkommen – für Selbstständige gelten Sonderregelungen – an einen bestellten Treuhänder abzuführen (der das Geld wiederum an die Gläubiger verteilt), sie haben eine Mitwirkungspflicht und anderes. Bislang kann Restschuldbefreiung nach drei Jahren nur erlangt werden, wenn in dieser Zeit mindestens 35 % der Forderungen beglichen werden, sonst dauert es fünf bzw. sechs Jahre; diese Mindestquote als Voraussetzung einer frühen Restschuldbefreiung soll aufgrund der EU-Vorgaben entfallen. Eine bittere Pille für die Gläubiger. Eine andere Neuerung ist allerdings erfreulich: Bislang durften Schuldner zwischen dem Ende des Insolvenzverfahrens und dem Ablauf der Wohlverhaltensperiode erhaltene Schenkungen und z. B. Lottogewinne für sich behalten; in Zukunft sollen sie 50 % von Schenkungen (so wie schon bisher bei Erbschaften) und alle Lottogewinne ihren Gläubigern zur Verfügung stellen müssen. Außerdem soll eine Versagung, also Ablehnung der Restschuldbefreiung auch dann in Betracht kommen, wenn der Schuldner während der Wohlverhaltensperiode unangemessene neue Schulden eingeht und damit die Interessen seiner Gläubiger wenigstens grob fahrlässig beeinträchtigt.

Gibt es weitere Neuerungen im Gesetzesentwurf?

Der Gesetzesentwurf ist sehr umfangreich. Hier alle Neuerungen im Einzelnen zu benennen, sprengt den Rahmen. Als wichtig ist m. E. hervorzuheben, dass die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre für Insolvenzverfahren gelten soll, die ab dem 1. Oktober 2020 beantragt werden. Dass diese in Aussicht gestellte verkürzte Wohlverhaltensperiode schon jetzt zu verspätet gestellten Insolvenzanträgen führt, kann man nur mutmaßen, ist jedoch naheliegend. Uns liegen bereits Schreiben von Schuldnerberatungen vor, die ankündigen, ihre Kunden dahingehend beraten zu haben. Auch ist u. a. zu erwähnen, dass die Verkürzung des Restschuldverfahrens für Verbraucher*innen erst einmal bis zum 30. Juni 2025 befristet wird. Dieser Zeitraum soll als eine Art Testlauf gelten, in dem man die Auswirkungen auf das Zahlungs-, Antrags- und Wirtschaftsverhalten der Verbraucher*innen betrachten und bewerten möchte.

Warum geht der Gesetzesentwurf über die Vorgaben der Richtlinie hinaus?

Über die Gründe kann man nur spekulieren. Zum einen muss die EU-Richtlinie umgesetzt werden, zum anderen konnte bei ihrer Entstehung noch niemand etwas von der Pandemie ahnen. Da durch diese ungeahnt viele Unternehmen, aber auch Verbraucher*innen in finanzielle Not geraten sind und Schulden machen oder gar ganz aufgeben mussten, scheint es nur folgerichtig zu sein, die Umsetzung der Richtlinie zu nutzen, um die nationale Gesetzgebung den aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Für unverschuldet in Not geratene Unternehmer und Verbraucher*innen ist die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens sicher eine Hilfe, wieder positiv in die Zukunft schauen zu können, für alle anderen öffnet sie m. E. aber Tür und Tor und stellt fast eine Einladung zum Schuldenmachen dar. In dem vorgelegten Gesetzesentwurf ist m. E. weitestgehend nur ein weiterer Stolperstein auf dem Weg der Gläubiger hierzulande zu sehen, für erbrachte Lieferungen und Leistungen auch das ihnen rechtmäßig zustehende Geld zu bekommen. Dabei sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Gläubiger schon jetzt so ungünstig wie wohl nie zuvor in der Geschichte. Hier ist beispielsweise ein überbordendes Insolvenzanfechtungsrecht zu nennen, das Unternehmern auch trotz einer Schönheitskorrektur bei der Vorsatzanfechtung im Jahr 2017 keine Rechts- und Planungssicherheit gibt. Etliche Reformgesetze – unter anderem ein besonders ambitioniertes, das gerade regelrecht ‚durchgepeitscht‘ werden soll – bezwecken den Schutz von Schuldnern vor unseriösem Inkasso, wobei Inkasso aber per se mit unseriös in Verbindung gebracht zu werden scheint. Den Gläubigern ist damit nicht gedient – für sie wird damit der Zugang zu seriösen Inkassodienstleistungen erschwert und verteuert. Weiter wusste früher jeder, was es bedeutete, wenn jemand ‚den Finger gehoben hat‘ oder was ein Offenbarungseid oder selbst noch eine Eidesstattliche Erklärung war. Nun aber heißt es ‚Vermögensauskunft‘ und suggeriert genau das Gegenteil von dem, was es bedeutet, klingt aber wohl schöner und brandmarkt den Schuldner nicht über Gebühr. Kurzum: Einen Mehrwert für Gläubiger kann ich in der Erweiterung der Richtlinienvorgaben nicht erkennen. Im Gegenteil.

Was erhofft man sich von den Neuerungen bzw. was sind die Konsequenzen?

Laut der Bundesjustizministerin soll mit dem Gesetzesentwurf überschuldeten Unternehmen, selbständigen und Privatpersonen ein schnellerer Neuanfang ermöglicht werden. Damit, dass die Betroffenen schneller wieder aktiv am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben können, sollen wohl u. a. auch die Auswirkungen der Pandemie abgefedert und die Wirtschaft durch neue Kaufkraft so schnell wie möglich wieder gestärkt werden. Es stellt sich mir aber die Frage, was mit der Sicherung der Existenz der Gläubiger ist. Vor dem Gesetz sind alle gleich. Meines Erachtens ist eine wesentlich deutlichere Unterstützung derer, die rechtmäßige Forderungen aus erbrachten Lieferungen und Leistungen haben, die ihrer Arbeit nachgehen, ihr Unternehmen mit großer Kraftanstrengung, Vertrauens- und Leistungsvorschuss führen, von Seiten der Politik und der Gesetzgebung jetzt endlich und mehr denn je dringend angezeigt!

Bild: monicore (Pexels, Pexels Lizenz)

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