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Neues zum Schutz von Urlaubsansprüchen im Krankheitsfall

07.04.2010  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: none.

Seit der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2009 entschieden hat, dass der gesetzliche Mindesturlaub nicht verfallen darf, wenn der Arbeitnehmer diesen wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht nutzen kann, ist eine ganze Reihe neuer und bislang unbeantworteter Fragen aufgekommen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte nun zu entscheiden, ob der gesetzliche Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer verfällt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt ist.

I. Einleitung

Bis zu der Entscheidung des EuGH vom 20. Januar 2009 (Az: C-350/06 und C-520/06) entsprach es ständiger Rechtsprechung des BAG, dass der Urlaubsanspruch mit Ablauf des Urlaubsjahres vorbehaltlich einer abweichenden tariflichen oder individualvertraglichen Regelung ersatzlos verfällt, wenn der Arbeitnehmer während des Urlaubsjahres und eines etwaigen Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt ist und seinen Urlaubsanspruch aus diesem Grunde nicht realisieren kann. Endete das Arbeitsverhältnis, ohne dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangt hatte, kam ein Anspruch auf Abgeltung der noch offenen Urlaubsansprüche nach der früheren Rechtsprechung des BAG ebenfalls nicht in Betracht.

Der EuGH hat entschieden, dass diese Vorgehensweise mit europäischen Vorgaben nicht vereinbar ist. Hierüber haben wir bereits in unserem Newsletter 5/09 berichtet. Im Anschluss an diese Entscheidung hat sich ein Meinungsstreit darüber entwickelt, ob individuelle Urlaubsansprüche, die über den europarechtlich garantierten Mindesturlaubsanspruch von 4 Wochen pro Jahr hinausgehen, das vom EuGH festgelegte Schicksal dieses Mindesturlaubsanspruchs teilen oder ob diese nach wie vor auch dann ersatzlos verfallen dürfen, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nutzen.

Nachdem sich das BAG erstmals in einer Entscheidung vom 24. März 2009 (AZ: 9 AZR 983/07) mit dieser neuen Rechtsprechung des EuGH auseinandersetzen konnte und die Rechtsprechung des EuGH im Wege einer europarechtskonformen Auslegung von § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG für den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von 4 Wochen übernommen hat, musste sich das BAG in dem aktuellen Urteil vom 23. März 2010 (AZ: 9 AZR 128/09) mit der Frage befassen, ob die vom EuGH aufgestellten Grundsätze auch für den gesetzlichen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer gemäß § 125 Abs. 1 SGB IX gelten.

II. Sachverhalt

Dem Fall lag die Klage eines zwischenzeitlich ausgeschiedenen Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung zu Grunde. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer war seit dem Jahr 1971 im Außendienst für die beklagte Arbeitgeberin tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Anwendung. Der Kläger war von Anfang September 2004 bis über den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses am 30. September 2005 hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses forderte der Kläger von seiner ehemaligen Arbeitgeberin unter anderem Abgeltung des gesetzlichen Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Arbeitnehmer und des tariflichen Mehrurlaubs für die Jahre 2004 und 2005. Die Arbeitgeberin lehnte die Urlaubsabgeltung ab, da der Arbeitnehmer seine Arbeitsfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht wiedererlangt hatte.

III. Die Entscheidung

Das BAG ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der gesetzliche Zusatzurlaub für Schwerbehinderte das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs teilt. Der Anspruch auf den gesetzlichen Zusatzurlaub für Schwerbehinderte verfällt daher mit Ablauf des Urlaubszeitraums bzw. eines etwaigen Übertragungszeitraums nicht, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt keine Möglichkeit hatte, seinen Urlaubsanspruch zu realisieren. Endet das Arbeitsverhältnis unmittelbar im Anschluss an die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, so ist der Anspruch auf den gesetzlichen Zusatzurlaub für Schwerbehinderte ebenso wie der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub abzugelten.

Etwas anderes gilt nach der Entscheidung des BAG allerdings für die tariflichen Mehrurlaubsansprüche. Enthält der maßgebliche Tarifvertrag eine Regelung, wonach der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende tarifliche Urlaubsanspruch erlischt, wenn der Urlaubsanspruch wegen Krankheit des Arbeitnehmers nicht erfüllt werden kann, geht dieser Teil des Urlaubsanspruchs am Ende des tariflich vorgesehenen Zeitraums tatsächlich unter.

IV. Praxishinweise

Nach der jüngsten Entscheidung des BAG steht fest, dass der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen und ein etwaiger gesetzlicher Urlaubsanspruch für Schwerbehinderte gemäß § 125 Abs. 1 SGB IX im Umfang von fünf Tagen nicht mit Ablauf des Urlaubszeitraums bzw. eines etwaigen Übertragungszeitraumes erlöschen, wenn der Arbeitnehmer bis zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt war. Endet das Arbeitsverhältnis unmittelbar im Anschluss an die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, ist der noch nicht genommene Teil des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs und des Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte abzugelten. Darüber hinaus gewährte tarifliche Urlaubsansprüche müssen das Schicksal der gesetzlichen Urlaubsansprüche nicht automatisch teilen, sofern die tarifliche Regelung ausdrücklich etwas anderes vorsieht. Das gleiche dürfte wohl auch für übergesetzliche Urlaubsansprüche gelten, die auf arbeitsvertraglicher Grundlage gewährt werden. Abzuwarten bleibt, welche inhaltlichen Anforderungen das BAG an eine derartige anderweitige Vereinbarung stellt. Denn fehlt es an einer solchen Vereinbarung oder ist diese nicht hinreichend präzise, so wird auch der übergesetzlich gewährte Urlaubsanspruch im Zweifel das Schicksal des gesetzlichen Urlaubsanspruchs teilen mit der Folge, dass er bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht verfällt.

In jedem Falle gilt jedoch ein wesentlicher Grundsatz des deutschen Urlaubsrechts nach wie vor: Eine Abgeltung von Urlaubsansprüchen im laufenden Arbeitsverhältnis ist unwirksam und muss daher in jedem Falle unterbleiben. Die Abgeltung von Urlaubsansprüchen kommt – wenn überhaupt und nach sorgfältiger Prüfung – erst dann in Betracht, wenn ein Arbeitsverhältnis wirksam beendet wurde. Bis dahin sind die nach der neuen Rechtsprechung nicht mehr verfallbaren Urlaubsansprüche weiter zu übertragen und – erlangt der Arbeitnehmer seine Arbeitsfähigkeit wieder – in Natur zu gewähren.

Quelle: Axel Bertram, Taylor Wessing München
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