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Zum Rechnungsmerkmal "vollständige Anschrift" bei der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug (Kommentar von Udo Cremer)

26.02.2019  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Das Recht auf Vorsteuerabzug stellt bestimmte Anforderungen an eine Rechnung. Ein häufiger Grund für Unklarheiten: die Anschrift des Leistenden – § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG. Welcher Zeitpunkt für die Prüfung der vollständigen Anschrift ausschlaggebend ist und bei wem die Feststellungslast liegt, lesen Sie in diesem Kommentar von Udo Cremer.

  1. Für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug ist erforderlich, dass der Leistungsempfänger eine Rechnung besitzt, in der eine Anschrift des Leistenden genannt ist, unter der jener postalisch erreichbar ist.
  2. Für die Prüfung des Rechnungsmerkmals "vollständige Anschrift" ist der Zeitpunkt der Rechnungsausstellung maßgeblich.
  3. Die Feststellungslast für die postalische Erreichbarkeit zu diesem Zeitpunkt trifft den den Vorsteuerabzug begehrenden Leistungsempfänger.

Der Kläger betrieb eine Gebäudereinigung und ein Internetcafé. In seiner Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2007 (Streitjahr) vom 18. Februar 2009 erklärte er Vorsteuerbeträge in Höhe von 38.994,60 EUR. Aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung gelangte das FA u.a. zu dem Ergebnis, dass Vorsteuern hinsichtlich der Rechnungen zweier Unternehmen wegen falscher Rechnungsangaben bzw. fehlender Unternehmereigenschaft in Höhe von 11.923,79 EUR nicht abzugsfähig seien. Dabei handelte es sich um Vorsteuerbeträge, die in Rechnungen des Unternehmers A-Service vom 31. Januar 2007 bis 31. März 2007 (4.122,80 EUR) sowie des Unternehmers F-Service vom 31. Mai 2007 bis 30. November 2007 (7.800,99 EUR) enthalten waren. Auf den streitgegenständlichen Rechnungen der A-Service lautete die angegebene Adresse T-Straße, X, auf denen von F-Service U-Straße, Y. In einem Änderungsbescheid zur Umsatzsteuer 2007 vom 7. Juli 2009 erkannte das FA u.a. die Vorsteuern aus diesen Rechnungen nicht an. Die Festsetzung erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO).

Aufgrund eines Änderungsantrags des Klägers erging am 3. November 2009 ein weiterer Umsatzsteuer-Änderungsbescheid 2007. Dagegen wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch. Er begehrte die Berücksichtigung der in den genannten Rechnungen von A-Service und F-Service enthaltenen Vorsteuerbeträge. Diese würden sich auf dem Kläger in Rechnung gestellte Leistungen beziehen. Der Kläger habe vor Auftragsvergabe von beiden Unternehmern Bescheinigungen in Steuersachen, Gewerbeanmeldungen, Bescheinigungen über Umsatzsteuer-Identifikationsnummern (USt-IdNr.) etc. angefordert, um jeweils von einer Unternehmereigenschaft ausgehen zu können. Außerdem sei der Gutglaubensschutz zu beachten. Das FA wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 8. Juli 2010 als unbegründet zurück.

Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass der Leistungsempfänger nicht im Besitz einer nach §§ 14, 14a UStG ausgestellten Rechnung sei. Das FG Köln wies die Klage mit seinem in EFG 2014, 1442 veröffentlichten Urteil vom 12. März 2014 4 K 2374/10 ab. Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (BFH-Urteil vom 5.12.2018, XI R 22/14).

Das FG hat den Abzug der aus den Rechnungen der Unternehmer A-Service und F-Service geltend gemachten Vorsteuerbeträge mit der Begründung versagt, dass die fraglichen Rechnungen nicht die nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG erforderliche zutreffende vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers enthielten. Die Feststellungen des FG lassen allerdings keine abschließende Beurteilung zu der Frage zu, ob die Rechnungsaussteller unter der von ihnen in ihren Rechnungen angegebenen Anschrift postalisch erreichbar gewesen waren. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen.

Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG muss eine Rechnung die Angabe des vollständigen Namens und der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers enthalten. Nach der Rechtsprechung des BFH sind § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetzt, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt wird, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, aus, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um im Streitfall zu entscheiden, ob der Kläger ein Recht zum Abzug der aus den Rechnungen der Unternehmer A-Service und F-Service geltend gemachten Vorsteuerbeträge hat.

Das FG hat vor Ergehen des EuGH-Urteils Geissel und Butin (EU:C:2017:867, UR 2017, 970) zu Recht keine Feststellungen zur postalischen Erreichbarkeit im Zeitpunkt der Rechnungserstellung getroffen. Es liegen insoweit trotz der Ausführungen des FG auf Seite 12 des Urteils, das Fehlen einer ordnungsgemäßen Anschrift habe sich als unstreitig herausgestellt, keine für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen vor. Während der Prozessbevollmächtigte im Revisionsverfahren wie auch schon im Klageverfahren vorträgt, dass der leistende Unternehmer A-Service wie auch der Unternehmer F-Service (zumindest zeitweise) postalisch erreichbar gewesen seien, trägt das FA vor, dass die postalischen Anschriften der Unternehmer im Streitzeitraum objektiv falsch gewesen seien. Insoweit habe das FG festgestellt, dass dort weder eine Betriebsstätte noch die Wohnung der Rechnungsaussteller vorhanden gewesen sei.

Das FG hat daher zu ermitteln, ob die Rechnungsaussteller A-Service und F-Service unter den angegebenen Adressen jedenfalls erreichbar waren. Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der Rechnungsausstellung. Der EuGH hat Art. 226 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in der Weise teleologisch ausgelegt, dass die Angaben, die eine Rechnung enthalten muss, es den Steuerverwaltungen ermöglichen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und gegebenenfalls das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren. Die Angaben sollen es ermöglichen, eine Verbindung zwischen einer bestimmten wirtschaftlichen Transaktion und einem konkreten Wirtschaftsteilnehmer, dem Rechnungsaussteller, herzustellen. Diese Kontrollmöglichkeit besteht für das FA erst mit der Erstellung der Rechnung sowie deren Kenntnisnahme und nicht im Zeitpunkt der Leistungserbringung.

Lässt sich eine Erreichbarkeit zu diesem Zeitpunkt nicht ermitteln, trifft die Feststellungslast den Leistungsempfänger. Der Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend macht, hat die Darlegungs- und Feststellungslast für alle Tatsachen, die den Vorsteuerabzug begründen. Sollten die Unternehmer A-Service und F-Service in diesem Sinne erreichbar gewesen sein, so fehlen Feststellungen des FG zur Frage, ob ansonsten die weiteren materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt sind. Insoweit hatte das FG (von seinem Standpunkt zutreffend) keine Feststellungen getroffen.

Der Autor:

Udo Cremer

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuer­beraterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxis­orientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblatt­sammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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