11.07.2024 — Samira Sieverdingbeck. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Männer beschützen das Land und die Familie, Frauen kümmern sich um Haushalt und Kinder – zum Glück sind diese Stereotype in weiten Teilen der Gesellschaft längst überholt. Im militärischen Kontext halten sie sich jedoch stärker. Das zeigt sich auch mit Blick auf die Geschichte der Wehrpflicht, die seit ihrer ersten Einführung nur für Männer galt.
Mit der Gründung des Kaiserreichs 1871 wurde die Wehrpflicht erstmalig festgeschrieben. Damals galt sie für Männer ab dem 20. Lebensjahr. Dies entsprach den damaligen gesellschaftlichen Normen, die Männer als die Beschützer und Verteidiger der Gemeinschaft sahen. Frauen wurden in die Rolle der Hüterinnen des Hauses und der Familie gedrängt und vom Militär ausgeschlossen.
Während des Ersten Weltkriegs wuchs die Kritik am „Waffendienst“. Pazifistische Ideen verbreiteten sich und führten zu Streiks in den letzten Kriegsmonaten und schlussendlich zur Novemberrevolution. Im Versailler Friedensvertrag wurde die deutsche Wehrpflicht wieder abgeschafft. Erst 1935 wurde sie im Zuge der Aufrüstung durch Adolf Hitler wieder eingeführt. Widerstand gegen den Waffendienst wurde schwer geahndet und endete nicht selten mit dem Tod.
Nach dem Krieg wurde das Militär stärker unter die Kontrolle der zivilen Gesellschaft bzw. der Politik gestellt, welche der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verpflichtet sind. In diesem Zuge wurde die Wehrpflicht im Grundgesetz verankert. Mit der Gründung der Bundeswehr 1955 wurde auch das Recht zur Verweigerung des Kriegsdienstes in das Grundgesetz aufgenommen. Der Wehrersatzdienst, auch als Zivildienst bekannt, erlangte über die Jahre ähnlich hohes Ansehen wie der Wehrdienst selbst. In der DDR hingegen gab es kein Recht zur Verweigerung, und wer den Wehrdienst nicht leisten wollte, hatte mit erheblichen Nachteilen zu rechnen.
Seit den 1990er Jahren wurde die Wehrpflicht zunehmend in Frage gestellt. Der Personalbedarf der Bundeswehr sank, sodass weniger Männer zum Wehrdienst herangezogen wurden. Dies gefährdete jedoch die Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes. Gleichzeitig benötigte die Bundeswehr vermehrt Spezialisten, was in der kurzen Ausbildungsdauer der Wehrpflicht nicht zu gewährleisten war. Auch die hohen Kosten für die Wehrpflicht fielen stark ins Gewicht. Eine Zeit lang wurde der Wehrdienst vor allem beibehalten, weil die Ersatzdienstleistenden eine wichtige, entlastende Rolle im Sozialsystem übernommen hatten. Seit dem 1. Juli 2011 ist die Wehrpflicht ausgesetzt.
Pistorius sprach von einem „Auswahlwehrdienst“. In Anlehnung an das schwedische Modell setzt er auf generelle Freiwilligkeit – im Bedarfsfall darf jedoch verpflichtet werden.
Der bisherige Vorschlag umfasst Folgendes:
Zunächst würden also nur die Personen in Betracht gezogen, die sich freiwillig melden. Die Bundeswehr würde dann entscheiden, wer zur Musterung eingeladen wird und wer schließlich den Grundwehrdienst absolviert.
Zu Grunde liege „eine neue Bedrohungssituation“. Innerhalb der nächsten fünf Jahre könne Russland militärisch dazu in der Lage sein, die NATO-Staaten sowie angrenzende Staaten anzugreifen.
Pistorius hofft durch die Wiedereinführung des Wehrdienstes jährlich 5.000 zusätzliche Soldaten und Soldatinnen zu gewinnen. Insgesamt benötigte die Bundeswehr 460.000 Soldatinnen und Soldaten. 200.000 von ihnen als Berufs- und Zeitsoldaten, den Rest als Reservistinnen und Reservisten. Sollten sich nicht genügend Menschen freiwillig melden, schließe Pistorius auch eine Verpflichtung nicht aus.
Erst seit 2001 stehen Frauen bei der Bundeswehr alle Bereiche offen – zuvor war ihnen nur die Laufbahn im Sanitäts- und Militärmusikdienst möglich. Der verpflichtende Wehrdienst gilt jedoch laut Grundgesetz nur für Männer. Artikel 12a Absatz 1 GG lautet wie folgt:
„Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“
Eine eindeutige Ungleichbehandlung. Oder? Zuletzt plädierte Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer dafür, bei einer Wiedereinführung der Wehrpflicht auch Frauen zu verpflichten. Wäre das ein Beitrag zur Gleichberechtigung?
In Deutschland befinden wir uns noch lange nicht in einer gleichgestellten Gesellschaft. Care-Arbeit wird immer noch größtenteils von Frauen geleistet, Frauen verdienen weniger und leiden häufiger an Altersarmut. Verpflichten wir sie jetzt zusätzlich zum Wehrdienst, nehmen wir ihnen damit Zeit, die sie ansonsten in ihre Erwerbsbiografie investieren könnten. So die Theorie.
Es klingt tatsächlich nach einer einfachen Maßnahme: Frauen sind strukturell benachteiligt, benachteiligen wir doch Männer an anderer Stelle, sodass schlussendlich alle etwas „gleicher“ benachteiligt sind.
Schlussendlich adressiert sie nicht die Ursachen der aktuellen Ungleichheit, sondern schafft neue. Potenziell würde diese Maßnahme sogar echter Gleichstellung im Wege stehen. Wann immer sich die Regierung und Gesellschaft für die Abschaffung der Gender Care, Gender Pay und Gender Pension Gaps einsetzen würden, könnte jemand rufen: „Moment mal! Ein bisschen benachteiligt müssen Frauen bleiben, schließlich sind Männer durch die Wehrpflicht benachteiligt.“
Alternativ könnte die Wehrpflicht für Frauen an die Erreichung von Gleichstellung gekoppelt werden. Nach dem Motto: Sobald flächendeckende Gleichstellung gewährleistet ist, können Frauen auch zum Wehrdienst verpflichtet werden. Doch wie lässt sich dieser Punkt festlegen. Wer kontrolliert seine Erreichung und kann man Wehrdienst, Care-Arbeit, schlechtere Bezahlung und generelle Benachteiligung überhaupt gegeneinander abwiegen?
Die Gleichstellung in Deutschland ist ausbaubar und es besteht dringender Handlungsbedarf, nicht zuletzt wegen den Gender Gaps und struktureller Benachteiligung, sondern auch wegen der massiven Gewalt gegen Frauen.
Nichtsdestotrotz würde die Wiederaufnahme der Wehrpflicht nur für Männer diese Probleme nicht lösen, sondern Ungleichheiten schüren. Der Artikel 3, Absatz 3 GG gibt klar vor, dass niemand „wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden“ darf. Das gilt für alle Menschen, Männer und Frauen. Doch eine Wehrpflicht für alle kann nicht ohne besondere Vorkehrungen in Kraft treten.
Derzeit sind 15 % der militärischen Angehörigen der Bundeswehr Frauen. In Führungspositionen sind sie noch seltener zu finden. Noch deutlich erschreckender: Im Jahr 2023 wurden 385 sexuelle Übergriffe innerhalb der Bundewehr gemeldet, die meisten Opfer waren Frauen, berichtet das ZDF.
Eine Wehrpflicht für alle ist also nur durchzusetzen, wenn die Bundeswehr wirksame Maßnahmen ergreift, um alle Personen in ihren Reihen vor Diskriminierung und Übergriffen zu schützen. Auch die Bundesregierung sollte die derzeitige Debatte als Anlass nehmen, beherzte und wirksame Änderungen hin zu einer gleichgestellten Gesellschaft zu erwirken.
Bild: Miaversa (Pexels, Pexels Lizenz)
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