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Unternehmen des produzierenden Gewerbes (Kommentar von Udo Cremer)

09.07.2019  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Zur Prüfung, ob ein Unternehmen dem produzierenden Gewerbe zuzuordnen ist, sind zunächst alle von diesem Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten der Klassifizierung des Wirtschaftszweiges, der WZ 2003 zuzuordnen. Und wenn nicht alle Tätigkeiten zum produzierenden Gewerbe zu zählen sind? Udo Cremer kommentiert die Antwort des BFH.

Bei der Prüfung der Frage, ob ein Unternehmen dem produzierenden Gewerbe zuzuordnen ist, sind zunächst alle von diesem Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten ungeachtet ihrer Gewichtung den Abschnitten der WZ 2003 zuzuordnen. Gehören nicht alle Tätigkeiten zum produzierenden Gewerbe, ist der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit anhand des vom Antragsteller gewählten Kriteriums zu bestimmen.

Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin der A GmbH (A), deren satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand "das Längs- und Querteilen von Bändern sowohl aus Stahl als auch aus NE-Metallen, das Schneiden, Zurichten, Profilieren, Be- und Verarbeiten von Feinblechen und Bändern jeder Art sowie der Vertrieb der genannten Produkte" war. A war im Streitjahr 2010 und in den Jahren davor und danach in einer Branche tätig, die sich auf das Abtafeln, Spalten und/oder Zuschneiden von in Form sog. Coils angelieferten Vormaterialien spezialisiert hatte (sog. Stahl-Service-Center).

Bei den Coils handelt es sich um zu Bändern aufgewickelte flachgewalzte Erzeugnisse aus Eisen oder Stahl der Pos. 7208, 7209, 7210 und 7219 des Harmonisierten Systems (mehrheitlich Warmband und oberflächenveredeltes Material, zu etwa einem Drittel auch kaltgewalzte Coils) mit einer Breite von mindestens 1 000 mm und einem Gewicht zwischen acht und 25 t. Diese Coils werden nach den Vorgaben der Kunden auf Längsteilanlagen durch Scherschneiden in Spaltband (mit einer Breite zwischen zehn und 1 600 mm) umgearbeitet. Das so erzeugte Spaltband wird zu einem geringen Teil mittels einer Querteilanlage auf exaktes Maß zu rechteckigen Tafeln geschnitten und im Übrigen (abgesehen von einer Besäumung der Coils zur Gewährleistung einer einheitlichen Breite) ohne weitere Bearbeitung an die Kunden geliefert.

Bezogen auf das Gewicht und den Umsatz lag der Anteil der von der Klägerin nicht weiterverarbeiteten Waren jeweils unter ... %; die dabei erzielte Marge lag im Geschäftsjahr 2015/16 bei ... EUR/t. Unter ... % der verarbeiteten Menge bearbeitete die Klägerin Stahl im Lohngeschäft; die dabei erzielte Marge lag im Geschäftsjahr 2015/16 bei ... EUR/t. Den übrigen Umsatz erzielte die Klägerin mit Waren, die sie zuvor unter Einsatz der erworbenen Coils zu Spaltband oder zu Tafeln verarbeitete. In diesem Bereich lag ihre Marge im Geschäftsjahr 2015/16 bei ... EUR/t. Mit diesem Teil ihrer Tätigkeit erzielte die Klägerin über ... % ihrer Wertschöpfung. Die Relationen der Anteile der verschiedenen wirtschaftlichen Betätigungen an der Gesamttätigkeit der Klägerin hinsichtlich Umsatz und dabei erzielter Margen im Geschäftsjahr 2015/16 entsprachen im Wesentlichen den Verhältnissen bei der A im Streitjahr 2010. Mit Antrag vom 2. November 2011 begehrte die A für das Kalenderjahr 2010 einen auf § 55 des Energiesteuergesetzes in der hier maßgeblichen Fassung (EnergieStG) gestützten Anspruch auf Entlastung von der Energiesteuer in Höhe von ... EUR. Das Hauptzollamt (HZA) lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 25. Juni 2013 ab, weil die A nicht dem Produzierenden Gewerbe, sondern der Klasse 51.52.2 der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2003 (WZ 2003) "Großhandel mit Eisen, Stahl, Eisen- und Stahlhalbzeug" zuzuordnen sei.

Das FG urteilte, der Ablehnungsbescheid sei rechtmäßig, weil es sich bei der A im Streitjahr nicht um ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, sondern um ein Handelsunternehmen gehandelt habe. Die Revision ist begründet (BFH-Urteil vom 19.3.2019, VII R 11/18). Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung an das FG. Die Einordnung der A in die WZ 2003 hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

Gemäß § 55 EnergieStG i.d.F. vom 15. Juli 2009 wird eine Steuerentlastung auf Antrag gewährt für Schweröle nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 3, Erdgas, Flüssiggase und gasförmige Kohlenwasserstoffe, die nachweislich nach § 2 Abs. 3 Satz 1 versteuert worden sind und die von einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes i.S. des § 2 Nr. 3 des Stromsteuergesetzes (StromStG) zu betrieblichen Zwecken verheizt oder in begünstigten Anlagen nach § 3 verwendet worden sind. Unternehmen des Produzierenden Gewerbes sind gemäß § 2 Nr. 3 StromStG u.a. Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes nach Abschnitt D der WZ 2003 (vgl. § 2 Nr. 2a StromStG). Wie der Senat wiederholt entschieden hat, handelt es sich bei der Verweisung auf die Klassifikation der Wirtschaftszweige um eine an das Unionsrecht angelehnte und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Typisierung. Die Zuordnung zum produzierenden Gewerbe soll (vorbehaltlich der in § 15 StromStV vorgesehenen Abweichungen) grundsätzlich in enger Anlehnung an die statistischen Zuordnungsmethoden nach dem Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgen.

Der Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang eine weitgehende Kongruenz zwischen statistischer und stromsteuerrechtlicher Einordnung angestrebt. Für die Zuordnung eines Unternehmens zu einem Abschnitt oder einer Klasse der Klassifikation der Wirtschaftszweige sind die Verhältnisse in dem der Antragstellung vorhergehenden Kalenderjahr maßgebend (§ 15 Abs. 2 Satz 1 StromStV). Übt das Unternehmen in diesem Zeitraum mehrere wirtschaftliche Tätigkeiten aus, die nicht alle dem produzierenden Gewerbe zuzuordnen sind, kann das Unternehmen gemäß § 15 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StromStV den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit durch die in dieser Vorschrift alternativ genannten Kriterien bestimmen. Davon ausgehend müssen in einem ersten Schritt alle von einem Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten ungeachtet ihrer Gewichtung den Abschnitten der WZ 2003 zugeordnet werden. Gehören nicht alle Tätigkeiten dem produzierenden Gewerbe oder einem anderen in § 2 Nr. 3 StromStG genannten Abschnitt an, muss in einem zweiten Schritt der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit nach dem vom Antragsteller gewählten Kriterium bestimmt werden.

Der Autor:

Udo Cremer

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuer­beraterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxis­orientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblatt­sammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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