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Studie zeigt: Wiener Mietsystem taugt nicht als Modell für Deutschland

10.02.2020  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Die Wohnungswirtschaft Deutschland.

Wie eine von der BID beauftragte wohnungspolitische Analyse des Instituts empirica eindrucksvoll belegt, haben oberflächliche Vergleiche angeblicher Durchschnittsmieten und oft zitierte Einzelbeispiele von paradiesischen Mietzuständen bislang ein häufig verzerrtes Bild der Wiener Wohnwirklichkeit erzeugt.

Die wahre Lage zeigt sich bei einem ganz genauen Blick, den die Studienautoren vorgenommen haben: So müssen Wiener Mieter im Vergleich zu deutschen deutlich höhere zusätzliche Zahlungen zur Miete leisten. Die Neuvertragsmieten für zwei Wohnungen identischer Qualität und Lage können völlig unterschiedlich sein, die Bestandsmieten erst recht. Unter dem Begriff „durchschnittliche Neuvertragsmiete“ verbergen sich beispielsweise völlig unterschiedliche Messkonzepte.

Die wohnungspolitischen Ausgaben in Wien sind deutlich höher als in deutschen Metropolen und konzentrieren die Mittel auf die Objektförderung. So gibt die Stadt Wien pro Einwohner etwas mehr als doppelt so viel für die Neubauförderung aus als Berlin. Die Subjektförderung ist hingegen ausgesprochen niedrig, was einkommensschwache Familien benachteiligt.

Das Fazit der Analyse: Das "Wiener Modell" ist teuer, unsicher, streitanfällig, bürokratisch, intransparent und ungerecht gerade aus Sicht sozial schwacher Mieter, ohne dass die Wohnkosten in Wien niedriger wären als in deutschen Metropolen.

"Das Wiener Mietsystem ist allein schon angesichts seiner Komplexität nicht 1:1 auf Deutschland übertragbar", erklärte dazu Axel Gedaschko, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) und Präsident des GdW. "Das zeigt einmal mehr: Statt einfacher Antworten, wie der Nachahmung eines vermeintlichen Erfolgsmodells, brauchen wir für die deutschen Wohnungsmärkte eine eigene, fein abgestimmte wohnungspolitische Strategie. Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hat effektive Maßnahmen eingefordert, aber an der Umsetzung hapert es. Hier müssen Bund, Länder und Kommunen dringend gemeinsam ran", so der BID-Vorsitzende. "Ein ganz wichtiger Punkt ist hier eine aktive Bodenpolitik. Da können deutsche Kommunen tatsächlich viel von Wien lernen, wie die Studie zeigt."

WEITERE ERGEBNISSE DER STUDIE:

Wiener Bodenpolitik als Vorbild

Die Stadt Wien betreibt eine sehr viel aktivere Bodenvorratspolitik als deutsche Städte. Der Bodenfonds verfügte zum Jahresende 2018 über einen Flächenvorrat, der für 10 Jahre ausreicht, obwohl der größere Teil des gesamten Geschosswohnungsneubaus auf Flächen des Bodenfonds realisiert wird. Größere Wohnungsbauprojekte können praktisch ausschließlich auf Flächen des Bodenfonds entstehen. Der Bodenfonds der Stadt Wien veräußert Wohnbauland zu Preisen von nur 240 bis 300 Euro/qm Wohnfläche, was höchstens ein Viertel der Baulandpreise in deutschen Metropolen ist. Dies gibt der Stadt Wien über den Bodenfonds die Möglichkeit über Bauträgerwettbewerbe entscheidenden Einfluss auf die Art der Bebauung und in Kombination mit der Neubauförderung auf die Höhe der zukünftigen Mieten und Kaufpreise zu nehmen.

Komplexes System: Vier völlig unterschiedliche Teilmärkte

Ansonsten stellt sich der Wiener Wohnungsmarkt allerdings als extrem komplex und teilweise unüberschaubar dar – auch für die eigenen Mieter*innen. Der Wohnungsmarkt in Wien besteht aus (mindestens) vier Teilmärkten. Jeder der Teilmärkte unterliegt einem anderen Mietrechtsregime, wobei die rechtlichen Unterschiede als auch die Marktergebnisse zwischen den Teilmärkten sehr groß sind. „Die“ Wiener Wohnungspolitik gibt es daher nicht.

  • Im Teilmarkt der privaten Altbauten (rund 34 % des Mietwohnungsbestandes) sind Wiener Mieter in der Praxis schlechter gestellt als in den deutschen Metropolen. Trotz einer vergleichbaren Bruttokaltmiete von 9,20 Euro/qm müssen Mieter weit höhere Investitionspflichten übernehmen und vor allem ist ihr Mietverhältnis höchst unsicher. Außerdem ist das hochkomplexe System sehr streitanfällig.
  • Am Beispiel der Gemeindewohnungen des großen kommunalen Wohnungsunternehmens "Wiener Wohnen" (rund 31 % des Mietwohnungsbestandes) zeigt sich, dass es je nach politischer Praxis – und angesichts einer Bruttokaltmiete von nur 6,80 Euro/qm – schwierig sein kann, kommunale Wohnungsbestände nachhaltig wirtschaftlich zu führen. Deutschen Städten kann daher nicht empfohlen werden, dem Wiener Beispiel zu folgen – denn eine prekäre wirtschaftliche Lage, ein Neubau-Stopp seit 2004, eine immer dramatischere Sozialstruktur der Mieter und ein hoher Wohnungsleerstand gehören zur Realität der "Wiener Wohnen".
  • Das derzeitige Modell der geförderten Wohnungen in Wien (rund 26 % des Mietwohnungsbestandes) ist mit den Zielen des deutschen sozialen Wohnungsbaus nicht vereinbar. Mietinteressenten müssen zusätzlich zur durchschnittlichen Neuvertrags-Bruttokaltmiete von 8,60 Euro/qm einen Beitrag zur Finanzierung leisten, haben einen gesetzlichen Anspruch auf den Erwerb der geförderten Wohnung und es gelten sehr hohe Einkommensobergrenzen – über ein Drittel der geförderten Haushalte gehören dem oberen Einkommensquartil an. Vergleichbar mit dem sozialen Wohnungsbau in Deutschland ist eine spezielle Unterart des geförderten Wohnungsbaus in Wien, die 2012 eingeführten Smart-Wohnungen. Diese könnten im Vergleich zu deutschen Sozialwohnungen vor allem aufgrund ihrer kostengünstigen Bauart ein interessantes Architekturmodell für Deutschland sein.
  • Das Segment des privaten, frei finanzierten Mietwohnungsbaus (rund 10 % des Mietwohnungsbestandes) ist in Bezug auf die Regulierung fast vergleichbar mit dem allgemeinen Wohnungsmarkt in Deutschland ohne Mietpreisbremse –allerdings mit der Möglichkeit sachgrundloser Befristungen des Mietvertrages. Die Mieter sind bei einem Neuvertragsmietniveau von 13,60 Euro/qm etwas schlechter gestellt als in deutschen Metropolen, da bei vergleichbarem Mietniveau die Sicherheit des Mietverhältnisses aufgrund der möglichen Befristung niedriger ist.

Wien ist nicht „Hauptstadt des bezahlbaren Wohnens“

Folgende Gründe haben dazu beigetragen, dass in der deutschen Diskussion der Eindruck entstanden ist, Wien wäre die „Hauptstadt des bezahlbaren Wohnens“:

  • unterschiedliche Datenbasis: „Neuvertragsmiete“ wird in Deutschland nur aus aktuellen Angeboten öffentlich annoncierter Wohnungen gewonnen. In Wien ergibt sich die „Neuvertragsmiete“ aus allen neu abgeschlossenen Mietverträgen der letzten vier Jahre und ist daher eher mit der deutschen Mietspiegelmiete vergleichbar, die auch in Deutschland deutlich unter den deutschen „Neuvertragsmieten“
  • zu simpler Vergleich der Nettokaltmieten: Da in Wien sämtliche Betriebskosten als Folge des Kostenmietprinzips auf die Mieter umgelegt werden können, fallen sie deutlich höher aus als in Deutschland. Zudem unterliegen Mieten einer ermäßigten Umsatzsteuerpflicht von 10%. Für einen sachgemäßen Vergleich müssen daher Bruttokaltmieten vergleichen werden.
  • wichtige Mietkonditionen bleiben oft unberücksichtigt: Die Sicherheit des Mietverhältnisses sowie die Regeln für Instandhaltung und Modernisierung bleiben beim einfachen Vergleich der Systeme oft außen vor. Diese sind in Wien aber viel oder sehr viel mieterunfreundlicher.
  • pauschalisierender Verweis auf sehr positive Einzelbeispiele: Tatsächlich existieren in Wien Mieterhaushalte, die zu traumhaften Konditionen in tollen Wohnungen wohnen. Aber – da die Brutto-Durchschnittsmieten in Wien und deutschen Großstädten vergleichbar hoch sind – existieren in Wien eben auch genauso viele Mieterhaushalte die zu alptraumhaften Konditionen in abgewohnten Wohnungen wohnen.
  • Wiener Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik extrem intransparent: Selbst rudimentäre Daten fehlen an vielen Stellen oder werden nicht publiziert. Zudem wandelt sich die Wohnungspolitik beständig, mit zahlreichen Detailreformen in den nebeneinander existierenden Wiener Mietrechtssystemen. Die Wohnungspolitik in der Stadt Wien kann daher nicht evidenzbasiert sein.
  • viel Eigenwerbung: Das Wohnungsunternehmen der Stadt Wien ist mit seiner Marketingabteilung international sehr aktiv, z.B. mit Wanderausstellungen zum vermeintlich so sozialen Wiener Wohnungsmarkt. In Wahrheit folgen die Wiener Mieten aber einem Kostenprinzip, so dass sämtliche mit der Wohnungsvermietung verbundenen Kosten auf die Mieter überwälzt werden können.

Die Lösungen für mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutschland liegen auf der Hand, sie müssen nur umgesetzt werden: Das Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz muss zügig kommen. Es muss dauerhafte steuerliche Verbesserungen für den Wohnungsbau geben. Die Branche benötigt eine aktive und vorausschauende Liegenschafts- und Bodenpolitik der Städte und Kommunen ebenso wie interkommunale Lösungen und Stadt-Umland-Kooperationen als neue Ansatzpunkte. Die Kommunen müssen die Grundstücke grundsätzlich nach dem Gebot der Konzeptvergabe und nicht nach Höchstpreisen abgeben. Die Genehmigungskapazitäten in den Ämtern sind zu erhöhen und die Ergebnisse der Baukostensenkungskommission aus der letzten Legislaturperiode umzusetzen. Kommunen, Länder und die Bundesregierung müssen an einem Strang ziehen.

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