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Mobbing: Einmal verdächtigt; viermal gekündigt

13.10.2009  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: none.

Immer wieder geistern durch die Gazetten der Republik Geschichten über Arbeitnehmer, die wegen Bagatelldiebstahls des Eigentums ihres Arbeitgebers gekündigt wurden und sich hiergegen mit Kündigungsschutzklagen wandten. Diese Storys erlangen in Zeiten der Finanzkrise immer größere Berühmtheit.

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Von der Einstellung bis zur Kündigung

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Regelmäßig werden die zugrunde liegenden Sachverhalte in Kontrast gesetzt zu denjenigen Fällen, in denen sich Spitzenmanager schwerer, auch strafrechtlicher Verfehlungen schuldig machten und gleichwohl ungeschoren oder gar mit großen Abfindungen „davon kamen“. Frei nach dem Motto: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Der Bienenstichfall und der Fall „Emily“ sind so bereits Gegenstand des allgemeinen Sprachgebrauchs geworden. Sieht man sich die mitgeteilten Ergebnisse der judizierten Rechtsstreitigkeiten an, so treten für den unbedarften Beobachter erste Zweifel an der Einheitlichkeit der von den Gerichten zugrunde gelegten Maßstäbe auf. Woran liegt das?

Dies liegt zu einem ganz wesentlichen Teil daran, dass in weiten Teilen der Presse nicht danach unterschieden wurde, ob die Kündigung fristlos oder ordentlich fristgemäß erfolgte und überdies nicht aufgezeigt wurde, ob der Bagatelldiebstahl nachgewiesen war oder lediglich ein Diebstahlsverdacht gegen den Arbeitnehmer bestand. Weiterhin wird regelmäßig nicht mitgeteilt, ob der Kündigung eine Abmahnung wegen eines vergleichbaren Vorwurfs vorausging oder nicht. Im Einzelnen:

Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer außerordentlich fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB sind viel strenger als diejenigen für die Rechtmäßigkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung. Nach § 626 BGB kann der Arbeitgeber aus wichtigem Grund außerordentlich nur dann kündigen, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer es ihm nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen, regelmäßig vertraglich oder tarifvertraglich festgelegten Kündigungsfrist fortzusetzen. Dies prüft das Bundesarbeitsgericht zweistufig. Auf der ersten Stufe wird geprüft, ob der Sachverhalt, unabhängig vom Einzelfall geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. Anders als bei ordentlichen verhaltensbedingten Kündigungen ist der Kreis der zur Kündigung berechtigenden Verfehlungen des Arbeitnehmers viel kleiner. An sich wichtige Gründe im Sinne einer Berechtigung zur fristlosen Kündigung geben nämlich nur Gründe ab, die so gravierend sind, wie diejenigen, die ursprünglich in den gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 GewO, 72 HGB alter Fassung enumerativ genannt wurden. So wurde § 72 Abs. 1 Nr. 4 HGB a. F. folgend als „an sich“ wichtiger Grund immer die grobe Beleidigung des Arbeitgebers angesehen. Im Ergebnis ist ein an sich wichtiger Grund also von deutlich schwerwiegenderer Natur als ein zur verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung berechtigende bloße Vertragsverfehlung. Auf der zweiten Stufe erfolgt eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls im Hinblick darauf, ob das Verhältnis der Parteien so gestört ist, dass man in Zukunft nicht mehr miteinander können wird oder nicht. Viel wichtiger als die Unterscheidung zwischen fristlosen oder fristgemäßen Kündigungen ist aber bei Kündigungen wegen Bagatelldiebstählen die Unterscheidung danach, ob der Arbeitgeber den Diebstahl ohne jeden vernünftigen Zweifel für gegeben hält.

Die in der Presse verhackstückten Fälle waren hauptsächlich solche der so genannten Verdachtskündigung, d.h. bei ihnen bestand aus Sicht des kündigenden Arbeitgebers lediglich der Verdacht der Arbeitnehmer habe einen Bagatelldiebstahl begangen, der Arbeitgeber war mit anderen Worten nicht davon überzeugt, dass der Arbeitnehmer die Tat begangen hatte. Nach der Konzeption des Bundesarbeitsgerichts stellt die Verdachtskündigung einen personenbedingten Kündigungstypus eigener Art dar, der von der verhaltensbedingten Tatkündigung streng zu unterscheiden ist und auch eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen unterliegt. Nach dem Grundsatz der Unschuldsvermutung, der auch im Arbeitsrecht Geltung beansprucht, darf aus einem Sachverhalt, an dessen Vorliegen noch ernsthafte Zweifel bestehen, an sich keine negative Rechtsfolge für den Arbeitnehmer hergeleitet werden. Die Kündigung wegen des Verdachts eines Bagatelldiebstahls ist daher systemwidrig und kann daher auch nach der Rechtsprechung nur ausnahmsweise und unter zusätzlichen Voraussetzungen zugelassen werden.

So müssen zum einen die vorhandenen Verdachtsmomente so dringlich sein, dass sie im Ergebnis nur wenig hinter der zweifelsfreien Überzeugung vom Vorliegen des Tatbestandes zurückbleiben. Zum anderen muss gerade schon der bloße Verdacht, dass ein Sachverhalt vorliegen könnte, zu einer für den Arbeitgeber nicht mehr tragbaren Störung der Vertrauensgrundlage des Arbeitsverhältnisses führen. Drittens muss schließlich die Verdachtskündigung in formeller Hinsicht dadurch abgesichert werden, dass der Arbeitgeber alles versucht hat, um den Sachverhalt zweifelsfrei aufzuklären, wozu zwingend auch die vor Ausspruch der Kündigung vorzunehmende Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers gehört. Regelmäßig scheitert die Rechtmäßigkeit der Verdachtskündigung wegen Bagatelldiebstahls daran, dass der vermeintliche Bagatelldiebstahl, das für die Fortsetzung eines langjährig bestehenden Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen nicht unwiederbringlich zerstört, denn dafür müssen regelmäßig neben dem Bagatelldiebstahl noch weitere Umstände hinzutreten. Zur Veranschaulichung der Problematik mag der nachstehend wiedergegebene Fall dienen:

Frau Lieselotte Peters, 48 Jahre, verheiratet, zwei schulpflichtige Kinder, arbeitet seit zehn Jahren beanstandungsfrei als Verkäuferin in einem Drogeriemarkt. Ein Betriebsrat existiert in der Drogeriemarktkette nicht. Seit einem Jahr leitet die Filiale, in der Frau Peters beschäftigt ist, eine neue Filialleiterin, Frau Alexandra von Rheden. In den letzten Monaten kam es immer wieder zur Querelen zwischen Frau Peters und Frau von Rehden, die sich insbesondere auf die Pausengestaltung von Frau Peters bezogen. Bei einer Taschenkontrolle wird bei ihr von der Filialleiterin, Frau Alexandra von Rheden, ein Deostick gefunden, der zum Sortiment der Drogeriemarktkette gehört. Frau Rehden rechtfertigt sich damit, sie habe den Stick rechtmäßig vor einem halben Jahr in einem anderen Drogeriemarkt erworben. Sie verfüge indes nicht mehr über einen Kaufbeleg, da dieser Kauf zu lange zurückliege und Sie Belege nur für die sofortige Kontrolle der Rechnung und die Haushalskasse aufbewahre. Frau Rehden wird nunmehr von der Drogeriemarktkette fristlos, hilfsweise fristgemäß gekündigt. Als Grund wird angeführt, dass der Diebstahl des Deosticks durch Frau Peters für die Drogeriemarktkette feststehe, jedenfalls aber ein dringender Diebstahlsverdacht gegen Frau Peters bestehe.

Dr. jur. Frank Sievert
Rechtsanwaltskanzlei Dr. jur. Frank Sievert, Hamburg
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