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Klagegrund Anrede im Shop - OLG Frankfurt spricht 1.000 € zu

01.08.2022  — Rolf Becker.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Kunden- und Adressdaten werden heute vor allem bei Internetangeboten regelmäßig erhoben. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte sich jetzt mit der Frage der Anrede zu beschäftigen.

Die Anrede „Herr“ oder „Frau“ reicht heute nicht mehr unbedingt aus. Rechtsanwalt Rolf Becker, Partner bei WIENKE & BECKER – KÖLN, erläutert die Konsequenzen des Urteils.

Zwingende Angabe der Anrede birgt Gefahr

Die Deutsche Bahn bzw. deren Vertriebstochter war verklagt, weil sie die Auswahl der Anrede in ihrem Online-Angebot als Pflichtfeld vorgesehen hatte und dabei nur die Auswahl zwischen der Anrede „Herr“ und „Frau“ bestand. Das OLG Frankfurt a.M. entschied jetzt in II. Instanz (Urt. v. 21.6.2022 – 9 U 92/20), dass eine solche Gestaltung mit Zwangsangabe ohne geschlechtsneutrale Anrede Personen mit nicht binärer Geschlechtsidentität in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Dies stelle einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dar. Die klagende Person hatte dargelegt, dass sie eine nicht-binäre Geschlechtsidentität besitzt. Sie erhielt eine Entschädigung von 1.000 Euro zugesprochen.

Schon das Landgericht Frankfurt hatte in erster Instanz zwar dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch stattgegeben, jedoch einen Entschädigungsanspruch zurückgewiesen (LG Frankfurt, Urt. v. 03.12.2020, Az. 2-13-O 131/20). Die Frage der Verletzung des AGG sahen die Richter des OLG jedoch anders und nahmen eine unmittelbare Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung von Schuldverhältnissen im Sinne der Vorschriften der §§ 3,19 AGG an.

Benachteiligungsverbot bei Massengeschäften

Die Regelung des § 19 AGG sieht

  • „eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die
  • 1. typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen oder
  • 2. eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben,“

als zulässig an.

Nach Ansicht der Richter ist der Begriff der Begründung von Vertragsverhältnissen weit auszulegen. Das sei auch der Fall, wenn ein Geschäft verhindert wird, wenn Menschen mit nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit gezwungen werden, eine zwingende Anrede auszuwählen.

Zuschreibung von Männlichkeit führt zu psychischen Belastung

Das Gericht stellte fest, dass der klagenden Person auch Schadensersatz in Höhe von 1.000 Euro zustünde. Die Zuschreibung von Männlichkeit durch die Anrede „Herr“ erlebe die Person als Angriff, welche zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Zwar habe die Bahn die Person nicht individuell benachteiligen und absichtlich angreifen wollen. Das IT-System sei jedoch auch nicht angepasst worden, wie es anderen Unternehmen durchaus gemacht haben. Zudem war offenbar in der weiteren Kommunikation zur BahnCard weiterhin die nicht zutreffende männliche Anrede genutzt worden.

Fazit

Das AGG birgt seine Tücken mit kaum bekannten Regelungen. Die Entscheidung hat nicht nur Auswirkungen auf die Bahn, sondern ähnliche Ansprüche können jeden wirtschaftlich Agierenden treffen. Sie sollten daher in jedem Fall prüfen, ob in Ihren Internet-Angeboten Anredefelder als Pflichtfelder ausgestaltet sind. Am einfachsten ist es, eine Pflichtangabe aufzuheben. Ansonsten bleibt nur eine Anpassung dahin, dass auch nicht-binäre Personen eine Anredeauswahl gewährt wird. Dies zieht aber weitere Fragen der Umsetzung in der Ansprache nach sich, die Sie auch berücksichtigen müssen.

Bild: QuinceCreative (Pixabay, Pixabay License)

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