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Corona-Pandemie wird zur Krise für Selbständige

15.06.2020  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: DIW Berlin.

Durch den Nachfrageausfall in Folge der Corona-Krise haben viele Selbständige ihre Einkommensgrundlage – zumindest vorübergehend – teilweise oder sogar vollständig verloren. Rund 60 Prozent unter ihnen beklagen Einkommensverluste, während es bei den abhängig Beschäftigten etwa 15 Prozent sind.

Rund die Hälfte der von der Krise negativ betroffenen Selbständigen verfügt nur für maximal drei Monate über Liquiditätsreserven. Gleichzeitig erhalten Selbständige relativ wenig direkte staatliche Unterstützung, um ihre Einkommensausfälle auszugleichen. Entsprechend besorgt sind viele von ihnen um ihre eigene wirtschaftliche Situation. Der Vergleich mit den abhängig Beschäftigten veranschaulicht, dass die Corona-Krise auch eine Krise für die Selbständigen ist. Die politischen Entscheidungsträger sollten auch im Interesse des Wirtschaftsstandorts Deutschland die Selbständigen in ihren wirtschafts- sowie sozialpolitischen Erwägungen stärker berücksichtigen.

In Deutschland gibt es rund vier Millionen Selbständige und Inhaberinnen und Inhaber von kleinsten und kleinen Unternehmen. Das sind knapp zehn Prozent aller Erwerbstätigen. Diese Gruppe – in der folgenden Untersuchung unter dem Begriff Selbständige zusammengefasst – hat unter den Einschränkungen der vergangenen Wochen besonders gelitten. Während in der Corona-Krise die sozialversicherungspflichtigen abhängig Beschäftigten durch Kurzarbeitergeld vorläufig vor größeren Einkommensverlusten geschützt sind, erhalten Selbständige lediglich Soforthilfen des Bundes zur Deckung der Betriebsausgaben. Zur Kompensation ihres „Unternehmerlohns“ werden sie auf die dafür weniger geeignete Grundsicherung verwiesen.

Wie sich die Covid-19-Pandemie, sei es durch staatlich verfügte Ausgangsbeschränkungen oder auch durch Konsumzurückhaltung, auf die Arbeitssituation, Umsätze, Einkünfte und Liquidität der Selbständigen in den Monaten April und Mai 2020 (also in der Zeit der Ausgangssperren) im Vergleich zum Monat Februar 2020 (also unmittelbar vor den Ausgangssperren) wirtschaftlich ausgewirkt hat, wird anhand von Daten der Langzeitbefragung Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) untersucht. Diese wurden um die Befragungsergebnisse der SOEP-CoV-Studie ergänzt, einer seit dem 1. April laufenden telefonischen Zusatzbefragung im Rahmen einer zufällig gezogenen Stichprobe von SOEP-Haushalten, in der auch Selbständige befragt werden.[1] Bei dem anschließenden Vergleich mit abhängig Beschäftigten kommen sowohl objektive Indikatoren wie das Erwerbseinkommen als auch subjektive Indikatoren wie Sorgen oder Lebenszufriedenheit zum Tragen.

Massive Umsatzeinbußen und Einkommensrückgänge bei Selbständigen

Die mit der Covid-19-Pandemie verbundenen Einschränkungen und Unsicherheiten haben sich auf vielfältige Weise auf das Wirtschaftsleben ausgewirkt. Entsprechend gab in der SOEP-CoV-Befragung knapp die Hälfte der befragten Selbständigen an, dass sie von den Regelungen zu den Öffnungszeiten betroffen waren (Tabelle 1). Ebenso viele gaben an, dass Kunden ihre Bestellungen storniert haben oder die Nachfrage weggebrochen sei, weil beispielsweise Auftraggeber ihre Dienstleistungen nicht mehr nachfragten. In jeder siebten Unternehmung geriet die Produktion aufgrund von Lieferschwierigkeiten ins Stocken. Insgesamt waren zwei Drittel aller Selbständigen von diesen Veränderungen betroffen. Ebenfalls knapp die Hälfte der Selbständigen hat ihre berufliche Tätigkeit teilweise oder sogar vollständig in die heimische Wohnstätte verlegt.

Auch in Bezug auf die Arbeitszeit machen sich die Folgen der Pandemie und die zu deren Eindämmung beschlossenen Einschränkungen bemerkbar. Nur knapp 37 Prozent aller Selbständigen gaben an, ihre Arbeitszeit hätte sich in dieser Phase nicht verändert. Für manche, etwa zwölf Prozent, stieg die Zahl der gearbeiteten Stunden sogar an, im Schnitt um elf Stunden in der Woche. Für gut die Hälfte der Selbständigen hat sich aber die Arbeitszeit verringert. Die Reduktionen waren erheblich. Im Schnitt arbeiteten die in dieser Form negativ betroffenen Selbständigen fast 16,5 Stunden weniger pro Woche als vor der Krise.

Bei vielen Unternehmungen haben sich die Einschränkungen auf den generierten Umsatz ausgewirkt. 57 Prozent aller Selbständigen verzeichneten einen zum Teil starken Umsatzrückgang. Im Schnitt erzielten die negativ betroffenen Unternehmungen etwas mehr als ein Drittel ihres Vorkrisenumsatzes. Weniger als 40 Prozent der befragten Selbständigen notierten keine Umsatzveränderungen. Wenigen gelang eine Umsatzsteigerung.

Die Veränderungen von Arbeitszeit und Umsatz haben sich auch auf die realisierten Bruttoeinkommen ausgewirkt. Fast drei von fünf Selbständigen hatten Einkommensrückgänge zu beklagen, nur bei 39 Prozent blieb das Einkommen gleich. In der Folge verfügt knapp die Hälfte der Selbständigen, deren Umsätze einbrachen, auch nur noch über Liquiditätsreserven bis zu drei Monaten, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, weitere jeweils knappe 20 Prozent haben Reserven für sechs beziehungsweise zwölf Monate. Zwölf Prozent der Selbständigen sind so liquide, dass sie Umsatzeinbußen über ein Jahr aushalten können. Dementsprechend gab im Erhebungszeitraum auch rund die Hälfte der Selbständigen mit Umsatzeinbußen an, dass sie bereits staatliche Unterstützungsmaßnahmen nutzen. Von den Selbständigen mit abhängig Beschäftigten hat gut die Hälfte vom Instrument der Kurzarbeit Gebrauch gemacht, das ihnen erlaubt, den Umfang der Arbeitszeit ihrer Angestellten zu reduzieren.

Selbständige trifft die Krise viel stärker als abhängig Beschäftigte

Während Nachfrageeinbrüche sich unmittelbar auf das Einkommen von Selbständigen auswirken, sind abhängig Beschäftigte in der Pandemie von Umsatzeinbrüchen ihres Arbeitgebers primär dann betroffen, wenn sie in Kurzarbeit geschickt oder entlassen werden oder wenn keine Überstunden mehr anfallen. Von allen sozialversicherungspflichtigen abhängig Beschäftigten des Jahres 2019 arbeiteten im April/Mai 2020 rund 18 Prozent in Kurzarbeit. Das führt zu einem eindeutigen Gesamtbild: 52 Prozent aller Selbständigen hatten Verringerungen ihrer Arbeitszeit zu verzeichnen. Hingegen berichtete bei den abhängigen Beschäftigten nur jede fünfte Person von einer solchen Abnahme, meist wohl durch Kurzarbeit bedingt. Ins Home-Office wechselten mehr Selbständige als abhängig Beschäftigte, auch wenn die Unterschiede hier geringer ausfielen.

Markant sind die finanziellen Konsequenzen für Selbständige, auch im Vergleich zu abhängig Beschäftigten. Fast drei von fünf Selbständigen mussten Einkommenseinbußen aushalten, bei den abhängig Beschäftigten traf das auf 15 Prozent zu. Der Umfang der Einkommenseinbußen unterscheidet sich deutlich. Während das Kurzarbeitergeld bei abhängig Beschäftigten die Verdienstausfälle (in Höhe von bis zu 67 Prozent des Nettoverdienstes) ausgleicht, erhalten Selbständige kaum Ausgleich für ihre Einkommensverluste. So dürfen die Soforthilfen des Bundes ausschließlich zur Deckung von Betriebsausgaben verwendet werden. In der Gesamtschau hatten alle betroffenen abhängig Beschäftigten (also 15 Prozent aller abhängig Beschäftigten) im mittleren Wert Einbußen von bislang brutto rund 400 Euro zu verkraften. Der mittlere Einkommensverlust der Selbständigen lag dagegen bei mehr als dem Dreifachen der abhängig Beschäftigten. Das ist auch nicht verwunderlich, beklagte doch fast die Hälfte der Selbstständigen Umsatzrückgänge zwischen 67 und 100 Prozent. Entsprechend häufiger erwarteten Selbständige, dass sie in Folge der Krise in Geldprobleme geraten, auf ihre Ersparnisse und Vermögensanlagen zurückgreifen oder Sozialleistungen beantragen müssen.

Sorgen um die eigene wirtschaftliche Lage, auch das Familienleben leidet

Angesichts der Tatsache, dass die Krise die Selbständigen viel stärker getroffen hat als die abhängig Beschäftigten, ist es wenig verwunderlich, dass sich die Selbständigen große Sorgen machen. Lag der Anteil derer, die sich zwischen 2015 und 2019 große Sorgen um das gesamtwirtschaftliche Geschehen machten, ähnlich dem der Angestellten bei konstant zehn Prozent, hat nach den Corona-Maßnahmen fast jede zweite Person unter den Selbständigen große Sorgen – das sind signifikant mehr als unter den abhängig Beschäftigten. Noch deutlicher treten die Unterschiede zu Tage, wenn die Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation in den Blick genommen werden. Während sich bei den abhängig Beschäftigten hier bislang – mit Ausnahme der von Kurzarbeit betroffenen Personen – kaum Änderungen beobachten lassen, ist unter den Selbständigen jede sechste Person in großer Sorge

Offenbar konnten Bund, Länder und Kommunen mit den Hilfspaketen die Sorgen der Selbständigen nicht hinreichend auffangen. Bei den abhängig Beschäftigten scheint dies besser gelungen zu sein. Die Gesamtsituation schlägt auch auf die Zufriedenheit der Selbständigen durch. Betrachtet man etwa die Zufriedenheit mit dem Familienleben, so waren die Selbständigen in den vergangenen fünf Jahren durchgängig unzufriedener als die abhängig Beschäftigten. Dabei lag der Durchschnittswert auf einer Skala von null bis zehn konstant bei mehr als 7,5, wobei null „ganz und gar nicht zufrieden“ und zehn „ganz und gar zufrieden“ entspricht.

Nun, während der Corona-Krise, sinkt der Durchschnittwert signifikant auf im Schnitt etwa sieben. Auch bei den abhängig Beschäftigten hat die Zufriedenheit mit dem Familienleben unter der Covid-19-Pandemie gelitten – im Vergleich zu den Selbständigen jedoch weitaus weniger. Ähnliches lässt sich für die Lebenszufriedenheit beobachten. Waren die Selbständigen 2019 noch signifikant zufriedener mit ihrem Leben als Angestellte, unterscheiden sie sich jetzt nicht mehr signifikant von den abhängig Beschäftigten.

Fazit: Der Bund sollte bei den Überbrückungshilfen nachbesser

Die schwere Rezession in Folge der Covid-19-Pandemie trifft die in Deutschland etwas mehr als vier Millionen Selbständigen anteilig weitaus stärker als die abhängig Beschäftigten. Fast die Hälfte von ihnen verzeichnet starke Umsatzrückgänge, rund 60 Prozent zum Teil erhebliche Einkommenseinbußen. Viele Selbständige sind nicht in der Lage, solche Umsatzeinbrüche noch lange durchzustehen.

Es gilt nun, eine große Zahl von Geschäftsaufgaben zu verhindern, damit auch dieser Teil der Unternehmensstruktur noch intakt ist und nicht zusätzliche Jobs verloren gehen. Darüber hinaus gibt es einen weiteren wichtigen gesellschaftlichen Grund, Selbständige von der Abkehr von dieser Erwerbsform zu bewahren. Unter Umständen droht die zuletzt positive Einstellung in Deutschland zu Gründungen und Selbständigkeit Schaden zu nehmen – gerade weil die Selbständigen den Einbruch in der Nachfrage nicht selbst zu verantworten haben und sich vom Staat weniger unterstützt fühlen als abhängig Beschäftigte. Dies könnte sich zukünftig grundlegend negativ auf die generelle Bereitschaft zu selbständiger Tätigkeit auswirken.

Insofern ist es zu begrüßen, dass im Eckpunktepapier des Koalitionsausschusses im Bund vom 3. Juni 2020 auch für kleine Unternehmen ein Programm für Überbrückungshilfen aufgelegt wird, das den krisenbedingten Umsatzausfall auffangen soll. Allerdings ist auch dieses Paket auf die Erstattung von fixen Betriebskosten beschränkt. Diese Hilfen lösen somit nur zu einem begrenzten Teil die Liquiditätsengpässe von Selbständigen. Insofern sollte bei der Ausgestaltung des Programms der Situation der Solo-Selbständigen und Kleinstunternehmungen stärker Rechnung getragen werden, anstatt sie auf die für solche Fälle weniger ausgelegte Grundsicherung zu verweisen. Eine naheliegende Alternative kann der Weg sein, den – Stand Mitte Mai – das Land Baden-Württemberg vorgeschlagen hat. Demnach könnten Selbständige im Rahmen der Soforthilfen auch einen fiktiven Unternehmerlohn in Höhe der Pfändungsfreigrenze von 1.180 Euro pro Monat als Betriebskosten ansetzen.

Aber auch solche Hilfen sind nicht zielgenau. Vorbild für eine alternative Ausgestaltung könnten die Soforthilfen für Selbständige in europäischen Nachbarländern sein. So könnten Selbständige eine Unterstützung zur Deckung privater Lebenskosten erhalten, die von den Finanzämtern gewährt wird. Eine konkrete Ausgestaltung sähe vor, Selbständigen für die Phase der Corona-Krise finanzielle Hilfen zu gewähren, wenn sie im Vergleich zum Durchschnitt der letzten zwölf Monate vor Beginn der Krise Umsatzeinbrüche von mehr als 50 Prozent hinnehmen mussten. Diesen Betroffenen würde jeden Monat der über 50 Prozent hinausgehende Umsatzverlust zu 80 Prozent ersetzt. Maximal würden sie bis zu 2000 Euro erhalten, solange ihr Umsatz einen bestimmten Betrag im Jahr nicht übersteigt. Eine solche Unterstützung wäre zielgenau, rasch umsetzbar und auf die individuellen Bedarfe ausgerichtet, da jeden Monat nur Selbständige mit entsprechenden Umsatzrückgängen Hilfen erhielten. Gleichzeitig würde diese Unterstützung Umsatzausfälle in angemessener Form berücksichtigen und Mitnahme- und Betrugsfälle ebenso wie die Überzahlung von Soforthilfen ausschließen, da die Finanzämter über Informationen zu den Umsätzen der Unternehmungen aus den vergangenen Jahren verfügen. Eine solche Form der Soforthilfe für Selbständige wäre auch für Deutschland überlegenswert.

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