Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Wie viel Körperkontakt ist okay? (Teil 1)

27.06.2019  — Jasmin Dahler.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Ein Tier, welches nicht angefasst werden möchte, schnappt ohne Rücksicht auf Verluste zu oder ergreift die Flucht. Aber geben unsere Kollegen und Kolleginnen auch immer klare Signale oder überschreiten wir unbewusst tagtäglich Grenzen?

Denken Sie nur an eine Bahnfahrt, wenn sich eine Person neben Sie setzt, beide Lehnen in Beschlag nimmt und in einer großen Zeitung herumblättert. Vermutlich fühlen Sie sich eingeengt und unwohl. Ihre Wohlfühlzone wurde ungefragt durchbrochen.

Jeder Mensch hat eine andere Wohlfühlzone, was körperliche Nähe betrifft. Besonders gut zu beobachten ist dies bei Teenagern, die ihre erste Beziehung haben. Person A möchte durchgehend Händchen halten, um die Nähe des liebgewonnen Menschen zu spüren und Person B weicht den schwitzigen Händen lieber aus, fühlt sich regelrecht unbehaglich.

Auf der Arbeit wird zwar kein Händchen gehalten, aber durch den täglichen Kontakt im Kollegium und mit Kund*innen kommt es unweigerlich zu Berührungen: Hände schütteln, Schulterklopfer und Umarmungen. Der Gedanke, dass diese nett gemeinten Gesten völlig falsch ankommen können, kommt den wenigsten Personen in den Sinn. Insbesondere wenn es kleine eingeschworene Teams sind, bei denen diese Gesten einfach dazugehören. Da werden neue Kolleg*innen schon mal prompt zur Begrüßung umarmt. Manchen fällt in dieser Situation vielleicht auf, dass Betroffene sich unweigerlich versteifen und irritiert sind. Vielleicht merken die Umarmten dann auch an, dass sie das nicht möchten.

Oft wird dieses Unbehagen jedoch nicht bemerkt oder kommuniziert. Insbesondere als neue*r Kolleg*in fällt es schwer, so etwas anzumerken. Immerhin möchte diese*r nicht gleich negativ auffallen. Ebenso ist es schwierig, das eigene Unbehagen zu kommunizieren, wenn eine Hierarchie herrscht. Wenn der Chef seiner Assistentin beispielsweise anerkennend seine Hand auf die Schulter legt, kann diese die Situation durchaus negativ wahrnehmen. Sie sehen: Auch wenn es nicht um sexuelle Belästigung geht, ist die Thematik Nähe heikel.

Den perfekten Rat gibt es zum Thema Nähe nicht, denn die Wohlfühlzone ist wie bereits erwähnt individuell. Dennoch lassen sich grob vier Zonen definieren, die dabei helfen können, den richtigen Abstand zu wahren, ohne dabei jemanden zu bedrängen oder unhöflich zu wirken.

Die vier Zonen

Die erste – die intime – Zone ist der Bereich, in dem eine Berührung jederzeit möglich ist und umfasst ca. einen halben Meter. Verständlich, dass hier nur vertraute Personen erwünscht sind. Diese Zone ohne Erlaubnis zu durchbrechen, ist mehr als unschicklich. Natürlich lässt sich dies manchmal nicht vermeiden: Ein voller Bus, ein enger Fahrstuhl oder dichtes Gedränge können zu einer unfreiwilligen Überschreitung führen. Sollte das passieren, ist eine Entschuldigung durchaus angebracht. Und mit dieser Zone ist auch geklärt, wie nahe uns Kolleg*innen und Kund*innen kommen dürfen bzw. wie nahe wir kommen dürfen: Das genormte Händeschütteln ist natürlich gestattet – insbesondere da Ihr Gegenüber dieses begründet ablehnen kann – alles andere eher nicht. Umarmungen und Wangenküsschen sollten lieber der Begrüßung von engsten Freund*innen und der Familie vorbehalten sein.

Insbesondere bei Demonstrationen am Arbeitsplatz kann es sein, dass diese Zone betreten werden muss, damit alle auf den Monitor schauen können. Kommunizieren Sie vorab, wie Sie diese Situation am besten umsetzen wollen, sodass sich beide Parteien wohlfühlen.

Nach der intimen Zone folgte die persönliche Zone, die sich auf einen Meter erstreckt. Es handelt sich hierbei um den Abstand, den viele ganz automatisch einnehmen. Sei es bei einem Gespräch oder in einer Warteschlange. Wird dieser Abstand nicht eingehalten, empfinden wir die entsprechende Person als Drängler*in oder eben aufdringlich.

Zwischen einem und zwei Metern befindet sich die gesellschaftliche Zone. Diese ist weniger bei Kolleg*innen als bei Kund*innen wichtig. Die Distanz entspricht einer Entfernung von 1,20 bis 3,60 Metern. Bei öffentlichen Reden, formellen Anlässen oder offiziellen Gesprächen gilt diese Entfernung zueinander als angemessen. Verletzt jemand diese Distanz und kommt in die direkte Nähe von anderen Personen, können diese sich bedroht fühlen.

Die vierte – die öffentliche – Zone beginnt bei drei Metern und entspricht der Entfernung, die ein Großteil gerne zu Fremden wahren möchte.

Diese Zonen sind nur grobe Anhaltspunkte, die sich je nach Typ, Geschlecht, Stimmung, Kultur, Situation und auch Hierarchie ändern können.

Die eigene Distanz wahren

Natürlich ist es nicht nur wichtig, darauf zu achten, die Wohlfühlzone anderer nicht zu verletzen, sondern wir möchten auch die eigene Zone geschützt wissen. Zurückweichen, den Oberkörper abwenden, Blickkontakt unterbrechen oder das Dazwischenschieben von Arbeitsmaterial gibt Drängler*innen zwar Signale, die sie aber nicht unbedingt richtig interpretieren. Daher ist die letzte Möglichkeit die Situation direkt anzusprechen. Im Normalfall wollen diese Personen einem nichts Böses, sie sind in Gedanken oder haben einfach eine andere Auffassung von der Situation. Sprechen Sie ruhig und freundlich an, was Sie genau stört.

Eine andere Reaktion ist bei sexueller Belästigung notwendig. Welche Handlungen unter sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz fallen, erfahren Sie im zweiten Artikel unserer Reihe.

Fortsetzung folgt …

Quellen und Hintergründe:





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