Der Fall Semenya: Was macht eine Frau zur Frau?

02.05.2019  — Markus Hiersche.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Der Leichtathletik-Weltverband will hyperandrogyne Athletinnen zwingen, ihren Testosteron-Spiegel zu senken. Gegen diese Regelung zog die Topläuferin Caster Semenya vor das internationale Sportgericht – und verlor. Es bleibt die Frage: Wann ist eine Frau eine Frau?

Tiefe Stimme, burschikose Statur – und unglaublich schnell: Seitdem die südafrikanische Läuferin Caster Semenya 2009 mit gerade einmal 18 Jahren überraschend eine 800-Meter-Goldmedaille bei der Leichtathletik-WM in Berlin holte, reißt die Diskussion um Semenyas Weiblichkeit nicht ab. Denn seitdem wird öffentlich diskutiert, ob die Topläuferin wirklich eine Frau ist – oder doch eher mehr männliche als weibliche Attribute aufweist.

Sportlerinnen mit „Differences of Sexual Development“

Heute weiß man: Semenya gehört zu den Athletinnen mit „Differences of Sexual Development“ (DSD) – also mit einer Variation oder einer Störung der biologischen Geschlechtsentwicklung. Hierzu zählt die sogenannte Hyperandrogenämie, die sich auch bei Semenya findet. Hyperandrogenämie äußert sich unter anderem in einem für eine Frau überdurchschnittlich hohen Testosteronwert.

Testosteron-Grenzwert für mehr Fairness?

Die IAAF (International Association of Athletics Federations) glaubte darin eine Gefahr für den Frauenleistungssport, schließlich korreliere ein hoher Testosteronwert mit sportlicher Leistungsfähigkeit, und erließ 2011 eine „Testosteron-Regel“, die einen Testosteron-Grenzwert für Leistungssportlerinnen festlegt. Wer einen Wert von über zehn Nanomol des männlichen Geschlechtshormons pro Liter Blut aufwies, musste fortan mit Medikamenten seine Hormonzusammensetzung ändern – oder wurde nicht mehr zu internationalen Wettkämpfen zugelassen. Für Frauen mit DSD bedeutete diese Neuregelung einen großen und mehr als zweifelhaften Eingriff in den eigenen Körper, den auch Semenya zu spüren bekam: Ihre Laufzeit verschlechterte sich deutlich.

Eine Wende brachte 2015, als die indische Schnellläuferin Dutee Chand vor dem internationalen Sportgericht CAS die Testosteronregel zu Fall brachte. Das Sportgericht sah den Eingriff nicht ausreichend belegt und gab dem IAAF zwei Jahre Zeit, um neue Studienergebnisse zu liefern. Für Semenya bedeutete das Urteil eine Rückkehr zur Höchstform. 2016 holte sie bei den olympischen Spielen in Rio de Janeiro eine Goldmedaille.

Ein Vorteil von 4,5 Prozent

Doch der IAAF ließ nicht locker und gab eine neue Studie in Auftrag. Diese kam zu dem Ergebnis, dass DSD-Athletinnen bei Kurzstrecken einen Leistungsvorteil von bis zu 4,5 Prozent hätten. Der Verband beschloss daher eine neue Richtlinie und setzte den Testosteron-Grenzwert noch einmal herab: Fünf Nanomol Testosteron für Wettbewerbe von 400 Metern bis zu einer Meile sollen künftig maximal zulässig sein, um einen „fairen Wettbewerb“ zu garantieren.

Das Urteil: Diskriminierend, aber notwendig?

Semenya wollte das nicht akzeptieren und zog gegen die Regel, die sie als verletzend und diskriminierend empfand, vor das internationale Sportgericht – und verlor.

Die Urteilsbegründung erstaunt: Zwar sei die Testosteron-Reglung diskriminierend, aber letztlich sei diese notwendig, verhältnismäßig und angemessen, um die „Integrität des Frauensports“ aufrechtzuerhalten. Ab dem 8. Mai 2019 tritt die Regelung nun in Kraft. Für alle Frauen mit DSD bedeutet dies: Sie müssen ihren Testosteronspiegel künftig sechs Monate vor internationalen Rennen mit Medikamenten senken, um überhaupt zu Wettbewerben zugelassen zu werden – ein vielkritisierter, ungeheuerlicher Eingriff in den Körper der Frau und in die weibliche Selbstbestimmung.

Noch kann der IAAF aber nur teilweise aufatmen, denn Semenya kann gegen das Urteil Einspruch beim Schweizer Bundesgericht einlegen oder vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Vielleicht wird dann die Testosteron-Regelung doch noch gekippt. Denn letztlich stellt sich hier die Frage: Was macht eine Frau zur Frau? Allein ihr Testosteronspiegel?

Quellen und Hintergründe





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