1 Allgemeines
Rückstellungen gem. § 249 HGB können nur von Kaufleuten i. S. d. HGB gebildet werden. Rückstellungen sind ein Ausfluss des Gläubigerschutzgedankens des HGB. Es sollen genügend Mittel zurückbehalten werden, um die zukünftigen Auszahlungen zu begleichen. Gleichzeitig soll somit eine periodengerechte Aufwandsverrechnung erreicht werden und der Aufwand wird in dem Geschäftsjahr zurückgestellt, in dem er wirtschaftlich verursacht wurde.
Verpflichtungen aus öffentlich-rechtlichen Verhältnissen sind daher als ungewisse Verbindlichkeiten des Kaufmanns zu qualifizieren und müssen im Rahmen der handelsrechtlichen Rechnungslegung als Rückstellung gebildet werden.
Bei der Bildung der Rückstellung ist alles einzubeziehen, was voraussichtlich benötigt wird um die Auflage der Behörde zu erfüllen. Aus diesem Grund können diese Rückstellungen auch einen beträchtlichen Einfluss auf die Vermögens- Finanz- und Ertragslage des Unternehmens ausüben.
Es ist demzufolge ein großes Augenmerk bei der Bildung der Rückstellung zu setzen.
Bei der Bilanzierung von Rückstellungen für Öffentlichen Rechtliche Verpflichtungen sind die Grundsätze der Ansatz- § 246 Abs. 3 HGB), der Bewertungs- (§ 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB) und der Ausweisstetigkeit § 265 Abs. 1 S. 1 HGB) zu beachten.
2 Ansatz dem Grunde nach
Es müssen zunächst die allgemeinen Kriterien für die Bildung von Rückstellungen kumulativ erfüllt werden:
-
es handelt sich um Verbindlichkeiten gegenüber einem anderen
- –
Außenverpflichtung
die Verpflichtung ist vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich entstanden,
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mit einer Inanspruchnahme aus einer nach ihrer Entstehung oder Höhe ungewissen Verbindlichkeit ist ernsthaft zu rechnen
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Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme,
die Aufwendungen führen in künftigen Wirtschaftsjahren nicht zu Anschaffungskosten oder Herstellungskosten.
Es ist streng zu unterscheiden zwischen Aufwandsrückstellungen und Außenverpflichtungen. Eine Rückstellungsbildung als ungewisse Verbindlichkeit ist geboten, wenn die Verpflichtung hinreichend konkretisiert ist.
Als hinreichend konkretisiertgilt eine Verpflichtung, wenn sie innerhalb eines bestimmbaren Zeitraumes eine bestimmte Handlung (Geld- oder Sachleistungsverpflichtung) vom Kaufmann abverlangt. Weiterhin müssen Zuwiderhandlungen zu Sanktionen für den Kaufmann führen.
Die Verpflichtung kann sich kraft Gesetz ergeben oder durch einen Verwaltungsakt der Behörde. Es ist nicht notwendig, dass beide Voraussetzungen gleichzeitig vorliegen.
Nicht in jedem Fall ist ein Verwaltungsakt die Voraussetzung für die Rückstellungsbildung. In vielen Fällen ergeben sich bereits konkrete Verpflichtungen aus dem Gesetz. Dies ist stets Einzelfall bezogen zu prüfen.
Bei einer Verpflichtung, die sich allein aus gesetzlichen Bestimmungen ergibt, wird eine konkrete gesetzliche Regelung vorausgesetzt. Der BFH sieht die Voraussetzungen zur Rückstellungsbildung aufgrund eines Gesetzes erfüllt, wenn das Gesetz
in sachlicher Hinsicht ein inhaltlich genau bestimmtes Handeln vorsieht,
in zeitlicher Hinsicht ein Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums fordert und
dieses Handlungsgebot sanktionsbewehrt und damit durchsetzbar ist.
Ob diese o. g. Voraussetzungen vorliegen ist Einzelfallbezogen zu prüfen.
In einem Fall dem der BFH vorlag wurde, über die Rückstellungsbildung für die Wiederaufbereitung von Bauschutt gestritten. Es ergab sich aus den einschlägigen Entsorgungsgesetzen zum damaligen Zeitpunkt keine eindeutige Frist für die Beseitigung des Bauschutts.
Nach der Überprüfung des BFH wurde festgestellt, dass den Betreiber der Anlage regelmäßig die hinlänglich konkretisierte öffentlich-rechtliche Verpflichtung bereits bei Anlieferung der Materialen trifft. Das Gesetz knüpft die Pflicht zur Verwertung an die Anlieferung des Bauschutts. Der Zeitraum, innerhalb dessen das zu geschehen hat, ist zwar nicht genau bestimmt. Es liegt aber auch nicht im Belieben des Steuerpflichtigen. Der Bauschutt ist vielmehr innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu verarbeiten. Das ist ausreichend, zumal sich angesichts der Unterschiedlichkeit der angelieferten Materialien ein bestimmter Mindestzeitraum nicht generell festlegen lässt.
Das BFH-Urteil zeigt auf, dass es entscheidend auf die gesetzlich verpflichtende Regelung ankommt und sodann ein bestimmbarer Zeitraum in dem die Handlung vorzunehmen ist auch aufgrund der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse abgeleitet werden kann.
In bestimmten Fällen kann aufgrund des Fehlens der Verpflichtung aus dem Gesetz keine Rückstellung gebildet werden. Dies ist typischerweise bei Altlastensanierungen der Fall.
Die allgemeinen Grundpflichten zur Beseitigung von Altlasten nach dem BBodSchG schreiben kein inhaltlich bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmbaren Zeitraums vor. Nur in seltenen Ausnahmefällen sind Spezialgesetze für diese Verpflichtungen vorhanden.
In solchen Fällen ist die Kenntnisnahme der zuständigen Behörde die entscheidende Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung. Begründet wird dies nachvollziehbar damit, dass die Kriterien des Handelns innerhalb eines bestimmbaren Zeitraumes fehlen sowie die Sanktionsbewährtheit fehlt.
Der Kaufmann kann die Kenntnis der Behörde aber durch eine einfache schriftliche Anzeige herbeiführen und somit die Voraussetzung zur Rückstellungsbildung schaffen.
Nachfolgend weitere Beispiele, aus denen sich eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung aus dem Gesetz ergibt:
Rückstellung zur Aufstellung von Jahresabschlüssen
Gesetzliche Verpflichtung zur Prüfung der Jahresabschlüsse sowie zur Veröffentlichung im Bundesanzeiger
Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen
Verpflichtung zur Wiederaufbereitung und Entsorgung von Bauschutt
Es gilt zu beachten, dass sich die Verpflichtung aus einem Gesetz ergibt bzw. eine Außenverpflichtung darstellt.
Eine Außenverpflichtung i.S. d. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB meint grundsätzlich eine Schuld gegenüber einer dritten Person. Der Dritte als Gläubiger muss also das Recht haben, vom Steuerpflichtigen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangen zu können, welches auch einklagbar ist. Fehlt es daran, liegt bereits dem Grunde nach keine Verbindlichkeit vor.
So entschied beispielsweise der BFH, dass eine Rückstellungsbildung für eine freiwillige Jahresabschlussprüfung unzulässig ist. Die Verpflichtung wurde in der Satzung der Gesellschaft begründet und stellt somit eine reine Innenverpflichtung dar.
Etwas anderes gilt, wenn die Verpflichtung zur Jahresabschlussprüfung zivilrechtlich z. B. durch eine Bürgschaftsbank begründet wird. In diesem Fall ist die Rückstellungsbildung zulässig, da es eine Außenverpflichtung ist.
Ein Verwaltungsakt ist eine Handlungsform der öffentlich-rechtlichen Organe. Umgangssprachlich wird der Verwaltungsakt oft auch als Bescheid bezeichnet. Dieser dient im Rahmen der Bilanzierung von Rückstellung als eindeutiges Indiz für das Bestehen einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung.
Weitere Voraussetzung für die Rückstellungsbildung von öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen ist, dass bei einem Verstoß der Kaufmann mit Sanktionen rechnen muss. Es soll sich der Kaufmann der Erfüllung der Verpflichtung im Ergebnis nicht entziehen können.
Die Festlegung der Sanktionsbewährtheit der Verpflichtung dürfte in der Praxis sehr leicht feststellbar sein.
Es muss eindeutig dargelegt werden, dass die Verpflichtung wirtschaftlich im abgelaufenen oder in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren verursacht worden ist.
Maßgebend ist nicht die betriebswirtschaftliche Verursachung, sondern die wirtschaftlich rechtliche Wertung des Einzelfalls. Die Verpflichtung muss in der Vergangenheit liegen, so dass die Verbindlichkeit nicht nur an Vergangenes anknüpft, sondern auch Vergangenes abgilt.
Als im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wirtschaftlich verursacht gilt eine ungewisse Verbindlichkeit, wenn sie so eng mit dem betrieblichen Geschehen des abgelaufenen Wirtschaftsjahres verknüpft ist, dass es gerechtfertigt erscheint, sie wirtschaftlich als eine bereits am Bilanzstichtag bestehende Verbindlichkeit anzusehen.
Es ist stets Einzelfall bezogen zu prüfen, ob sich ein Erfüllungsrückstand am Bilanzstichtag ergibt.
In manchen Fällen können die Kosten für die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen Anschaffungskosten oder Herstellungskosten sein. Beispielsweise bei Erschließungsbeiträgen. Zu den Erschließungsbeiträgen gehören z. B. öffentliche Straßen, Wege und Plätze, Fuß- und Wohnwege oder Parkflächen und Grünanlagen.
Liegen also zu aktivierende Herstellungs- oder Anschaffungskosten vor, ist der Ausweis einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nicht zulässig.
3 Ansatz der Höhe nach
Rückstellungen sind in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags anzusetzen gem. § 253 Abs. 1 S. 2 HGB.
In die Rückstellung sind sämtliche durch die Verpflichtung entstehenden Aufwendungen einzubeziehen.
Bei der Bildung der Höhe der Rückstellung sind die allgemeinen Grundsätze der Rückstellungsbildung auf die jeweilige Art der Verpflichtung anzuwenden. Die Schätzung der Kosten muss in einer plausiblen Bandbreite liegen und weder besonders pessimistisch noch optimistisch sein. Im Rahmen dieser Bandbreite ist unter Berücksichtigung des Vorsichtsprinzips der konkret anzusetzende Wert zu bestimmen.
Gem. § 253 Abs.1 S. 2 HGB sind Rückstellungen mit dem Erfüllungsbetrag anzusetzen. Zu erwartende Preissteigerungen sind zu berücksichtigen. Auch bei der Schätzung der Preissteigerung ist das Vorsichtsprinzip zu beachten. Nach Auffassung des IDW soll die künftige Preisentwicklung nach dem aktuellen Inflationsziel der EZB geschätzt werden, wenn keine entsprechenden Daten vorliegen.
Weiterhin wird handelsrechtlich bei der Berechnung der Rückstellung von einer Vollkostenmethode ausgegangen. Die Vollkosten umfassen nicht nur die Einzelkosten, sondern auch die variablen und fixen Gemeinkosten.
Gem. § 253 Abs. 2 HGB ist eine Abzinsung vorzunehmen, wenn die Rückstellung eine Restlaufzeit von mehr als ein Jahr hat. Der Abzinsungssatz ist der durchschnittlichen Marktzinssatz der vergangenen sieben Geschäftsjahre. Der durchschnittliche Marktzinssatz wird von der deutschen Bundesbank bekanntgeben und kann im Internet abgefragt werden.
Grundsätzlich sind ungewisse Verpflichtungen nach § 253 Abs.1 S.2 HGB im vollen Umfang zu passivieren. Werthaltige Ersatz- und oder Rückgriffsansprüche sollen nur dann gegengerechnet werden, wenn diese in verbindlicher Weise entstehen oder der Erfüllung der Verpflichtung nachfolgen.
So ist beispielsweise eine Minderung des Rückstellungsbetrages für die Rekultivierung einer Kiesgrube aus zukünftigen Erlösen durch Kippgebühren unzulässig.
Gem. § 249 Abs. 2 HGB sind Rückstellungen aufzulösen, soweit der Grund hierfür entfallen ist.
Der Grund der bei öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen kann entfallen, wenn der Bescheid für nichtig erklärt wird oder zurückgenommen wird. Denkbar wäre auch, dass das Gesetz aus dem die Verpflichtung begründet wurde zugunsten des Kaufmanns geändert wird oder gar entfällt.
Beispiel:Kaufmann K wird eine Verpflichtung zur Rekultivierung eines betrieblich genutzten Grundstücks durch Bescheid in t0 auferlegt. Er muss diese Rekultivierung bis spätestens t02 durchgeführt haben. Bei Nichteinhaltung droht eine Geldstrafe. K ist mit dieser Verpflichtung nicht einverstanden und legt Widerspruch noch in t0 gegen den Bescheid ein.
Im November t1 wird über den Widerspruch zugunsten des K entschieden.
Ist eine Rückstellungsbildung in t0 erforderlich (Bilanzaufstellung März / t1)?
Lösung
Trotz Einlegung des Einspruchs ist noch in t0 eine Rückstellung zum Bilanzstichtag zu bilden. K muss ernsthaft mit der Inanspruchnahme aufgrund des Bescheides rechnen. Dies entspricht dem Grundsatz der Vorsicht § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB.
Erst in der Bilanz zum 31.Dezember t1 muss die Rückstellung wieder aufgelöst werden, da die Gründe für diese durch die Einspruchsentscheidung weggefallen sind (§ 249 Abs. 2 HGB).
4 Beispiel
Die L GmbH ist eine auf Lackiererei spezialisierte Firma. Bei Instandhaltungsarbeiten im Juni t1 von Arbeitskräften der L GmbH kommt es versehentlich zu einem Schadstoffaustritt aus einem Abwassertank.
Die L-GmbH zeigt den Vorfall der zuständigen Umweltbehörde an. Die Behörde ordnet an, dass die L-GmbH einen Gutachter beauftragen soll, um die Schäden festzustellen und die notwendigen Sanierungsmaßnahmen festzulegen.
Der Gutachter kommt zu folgenden Schlüssen:
Beauftragung einer Spezialfirma die das belastete Erdreich austauscht. Kosten der Maßnahme: 25.000 Euro
Anschaffung einer Grundwasserpumpe für 20.000 Euro
Kosten des Gutachtens 5.000 Euro
Weiterhin muss mit einer Geldbuße i. H. v. 5.000 Euro gerechnet werden. Der Bescheid über die Geldbuße sowie die o. g. Auflagen ergeht im März t2.
Welche Rückstellungen sind am 31. Dezember t1 zu bilden?
Lösung
Die L-GmbH muss mit der Inanspruchnahme ernsthaft rechnen. Der erlassene Bescheid der Behörde konkretisiert hinreichend die Verpflichtung die wirtschaftlich bereits in t1 begründet wurde.
Rückstellungsfähig sind folgende Aufwendungen:
Kosten des Austausch des belasteten Erdreichs i. H. v. 25.000 Euro,
Geldbuße i. H. v. 5.000 Euro, da diese betrieblich veranlasst ist,
Kosten des Gutachters i. H. v. 5.000 Euro,
Kosten der Grundwasserpumpe, da diese ein wertloser Vermögensgegenstand für die L-GmbH darstellt. Aufwand: 20.000 Euro.
Summe der Rückstellung in der Handelsbilanz: 55.000 Euro. Keine Abzinsung, da die Restlaufzeit nicht über ein Jahr liegt.
5 Anhangangaben
Es besteht keine spezifische gesetzliche Norm im HGB, die die Erläuterung von Rückstellungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen vorschreibt.
Nach § 285 Nr. 12 HGB sind Rückstellungen, die in der Bilanz unter dem Posten Sonstige Rückstellungen nicht gesondert ausgewiesen werden, zu erläutern, wenn sie einen nicht unerheblichen Umfang haben. Von dieser Pflichtangabe sind Kleinstkapitalgesellschaften und kleine Kapitalgesellschaften befreit.
Weiterhin ist mit der Einführung des BilRUG § 285 Nr. 3 HGB zu beachten. Demnach gehört es nun zu den Pflichtangaben im Anhang, nicht in der Bilanz enthaltene Geschäfte nach Art und Zweck sowie Risiken aufzuzeigen sofern sie wesentlich sind und die Offenlegung für die Beurteilung der Finanzlage des Unternehmens erforderlich sind.