Einführung und Definition
Die Produktlebenszykluskostenrechnung (teilweise auch als Lebenszykluskostenrechnung oder Life Cycle Costing bezeichnet) zählt zu den modernen Methoden bzw. Instrumenten der Kosten- und Leistungsrechnung sowie zum strategischen, mittel- bis langfristig ausgerichteten Kostenmanagement.
Das Kostenmanagement unterscheidet sich von der reinen Kostenrechnung dadurch, dass die Kosten bewusst beeinflusst werden sollen. Das ist zwar auch bei der Kostenrechnung der Fall (aus Abweichungen der Ist- gegenüber den Soll-Kosten werden Schlüsse gezogen und darauf basierend Maßnahmen abgeleitet), das Kostenmanagement setzt aber systematischer und bereits zu einem frühen Zeitpunkt (vor der Produktentstehung) an und nicht erst im laufenden Betrieb.
Kosten sollen durch das Kostenmanagement aktiv gestaltet, nicht bestehende Kostenverhältnisse lediglich analysiert werden.
Zu den wichtigsten Instrumenten des Kostenmanagements zählen die Prozesskostenrechnung, die Zielkostenrechnung (Target Costing), das Benchmarking, das Reengineering, das Zero Base Budgeting und die Produktlebenszykluskostenrechnung.
Die Produktlebenszykluskostenrechnung ist dem strategischen Kostenmanagement zuzurechnen, da sie die Kostenstrukturen langfristig beeinflussen möchte, im Gegensatz z. B. zur Prozesskostenrechnung, die die Prozesse und Kostenstrukturen zunächst einmal so nimmt, wie sie sind, daraus aber verursachungsgerechte Kostenzuordnungen auf Unternehmensprozesse und -teilprozesse ableitet.
Notwendig wird ein Management der Kosten v. a. aus folgenden Gründen:
ein verstärkter und beschleunigter Wettbewerb führt in vielen Branchen zu kürzeren Produktlebenszyklen (z. B. in der Automobilindustrie), in anderen Branchen ist der Lebenszyklus aufgrund des schnellen technischen Fortschritts naturgemäß kurz und die Marktprodukte veralten schnell (Smartphones, Computer, Apps, Mode); das führt dazu, dass ein Produkt weniger Zeit hat, seine Anfangskosten (Entwicklung, Marketing etc.) wieder einzuspielen;
Produkte weisen eine hohe Komplexität auf, dadurch steigen die Entwicklungs- und Konstruktionskosten;
steigende Fixkosten- bzw. Gemeinkostenanteile, die von der üblichen Zuschlagskalkulation mittels Zuschlagsätzen von oft mehreren 100 % pauschal auf die direkt zurechenbaren Einzelkosten aufgeschlagen werden, wodurch das Verursachungsprinzip der Kostenzuordnung leidet;
die Kostenrechnung beschäftigt sich vorwiegend mit Kosten, weniger mit Leistungen und Erlösen; im Kostenmanagement werden die letzteren stärker berücksichtigt, als Entscheidungsgrundlage dient die Differenz zwischen Erlösen und Kosten bzw. die daraus abgeleiteten Zahlungsströme;
die Kostenrechnung weist die Verantwortlichkeit für Kostenabweichungen von den Prognosezahlen überwiegend den Fertigungskostenstellen zu, während die dahinterstehenden Probleme (z. B. hoher Ausschuss, Qualitätsmängel) bei anderen Verantwortlichen liegen (Konstruktion, Entwicklung);
Umweltschutzgesetze bewirken, dass für die fachgerechte Entsorgung oder die Rücknahme von Produkten hohe Kosten anfallen, die berücksichtigt werden müssen.
Es handelt sich bei der Produktlebenszykluskostenrechnung nicht um eine Kostenrechnung aus einem Guss, sondern vielmehr um ein Konzept, bestehend aus mehreren Methoden, v. a. auch aus dem Bereich der Investitionsrechnung.
Durch den Bezug auf den kompletten Lebenszyklus eines Systems ergänzt dieses Controllingkonzept die herkömmliche Kostenrechnung, die eine periodenbezogene und zumeist kurzfristige Betrachtungsweise aufweist, um eine periodenübergreifende Sichtweise.
Die Produktlebenszykluskostenrechnung hat zum Ziel, das Verursachungsprinzip als eine der grundlegenden Forderungen an die Kostenrechnung zu beachten, indem es sämtliche Kosten den verursachenden Kostenträgern (Produkten) zuordnet, während sonst ein Großteil der Kosten als Gemeinkostenblock in anderen Perioden verrechnet würde.
Das hinter der Produktslebenszykluskostenrechnung stehende Lebenszyklus-Konzept ist umfassender, es können neben Produkten auch Kunden, Geschäftssegmente, Lieferantenbeziehungen, Kooperationen und andere Objekte über ihre Lebenszyklusphasen betrachtet werden.
Grundlage der Produktslebenszykluskostenrechnung ist der ursprünglich im Marketing entdeckte Produktlebenszyklus; hier hatte man erkannt, dass sich das „Leben“ eines Produkts von der Produktentstehung hin bis zur Produkteinstellung in mehrere Phasen unterlassen lässt, die sich hinsichtlich Absatz und Umsatz, Kosten und Deckungsbeiträgen sowie Gewinnen z. B. wie folgt idealtypisch charakterisieren lassen:
Einführungsphase: das Produkt wird auf dem Markt eingeführt; die Absatzzahlen sind zu Beginn ggfs. gering, da der Markt und die Kunden das Produkt erst wahrnehmen und ggfs. testen und akzeptieren müssen, der Handel muss überzeugt werden; u. U. kann auch die Produktion aus technischen Gründen erst langsam hochgefahren werden (z. B. in der Automobilindustrie); diese Phase ist mit ersten, langsam ansteigenden Umsätzen und hohen Werbeaufwendungen verbunden, um das Produkt bekannt zu machen. Aufgrund der geringen Stückzahlen und hohen Marketingaufwendungen entstehen ggfs. keine Gewinne oder es treten gar Verluste auf. U.U. wird am Ende der Phase die Gewinnschwelle erreicht, die Wachstumsphase schließt sich an.
In dieser Phase kann sich auch bereits herausstellen, dass das Produkt „floppt“, u. U. erübrigen sich damit die anderen Phasen bzw. diese werden nicht mehr durchlaufen.
Wachstumsphase: Hat die Einführungsphase gezeigt, dass das Produkt nicht gefloppt ist, sondern auf dem Markt ankommt, wachsen Absatz und Umsatz i. d. R. kontinuierlich über mehrere Jahre, Marktanteile nehmen zu, es werden Gewinne erzielt.
Die Gewinne steigen mit zunehmenden Absatzzahlen überproportional, da das Unternehmen Größenvorteile (Economies of Scale, v. a. aufgrund der Fixkostendegression) nutzen kann und die Stückkosten entsprechend sinken.
Gefahr droht von Wettbewerbern, die das Produkt imitieren und nachbauen (Beispiel: Smartphones).
Reifephase: Die Absatzzahlen, Umsätze und der Marktanteil des Unternehmens erreichen zunächst ihr Maximum, das Marktwachstum ist aber schwach oder nicht mehr vorhanden, weitere Zuwächse müssen teuer erkauft werden (Rabatte, Werbung), wodurch die Stückkosten im Vergleich zur Wachstumsphase zunehmen.
Es kommen immer mehr Wettbewerber auf den Markt, die das eigene Unternehmen durch niedrigere Preise, technologisch verbesserte und innovativere Produkte oder besseren Service angreifen. Ggfs. muss das Unternehmen mit Rabatten und Preissenkungen reagieren, kann aber auch versuchen, neue Abnehmerzielgruppen anzusprechen.
Sättigungsphase: Umsätze und Deckungsbeiträge bzw. Gewinne aus dem Produkt gehen zurück. Die Kunden, die das Produkt wollten, habe es erworben, ggf. wird lediglich noch ein Ersatzbedarf gedeckt. Das Unternehmen kann teilweise gegensteuern, z. B. durch Produktvariationen, Produkt-Relaunches, „Facelifts“ etc., dies treibt aber die Stückkosten in die Höhe.
Degenerationsphase: Absätze und Umsätze fallen weiter, die Fixkostenbelastung bleibt hoch, die Konkurrenz nimmt zu, Gewinne werden gering oder es fallen gar Verluste an. Es wird Zeit, das Produkt vom Markt zu nehmen.
Für die Kostenrechnung ergibt sich hieraus, dass die Kosten über die Laufzeit des Lebenszyklus stark variieren, während die traditionelle, periodenbezogene Kostenrechnung in der Planung und Prognose oft von mehr oder weniger konstanten, starren Kostenstrukturen und Budgets ausgeht.
Bei dem obigen idealtypischen Produktlebenszyklus handelt es sich um einen Marktzyklus, man könnte sagen, der Zeitraum, in dem das Produkt für die Konsumenten sichtbar auf den Markt kommt und auch wieder verschwindet.
Lebenszyklusmodelle gehen davon aus, dass Produkte diese Phasen standardmäßig durchlaufen; wie lange dieser Lebenszykluszeitraum im Einzelnen ist, hängt stark vom Produkt ab: während Automodelle kurze Laufzeiten von z. B. fünf bis sechs Jahren haben, können v. a. viele Lebensmittel (z. B. Teigwaren, Schokoriegel, Erfrischungsgetränke) Laufzeiten von mehreren Jahrzehnten haben.
Bei den Produkten handelt es sich nicht zwingend um einzelne Produkte, sondern es kann sich auch um Produktgruppen bzw. Produkte mit verschiedenen Varianten handeln. Zudem wird nicht nur das Produkt selbst erfasst, sondern es werden auch „Nebengeschäfte“ wie Wartung, Reparatur, Instandhaltung sowie andere um das Produkt gebaute Dienstleistungen erfasst.
Die grafische Abbildung der Umsätze zeigt regelmäßig einen glocken- bzw. hügelförmigen Verlauf. Die einzelnen Phasen treten nicht automatisch auf, sie müssen durch Maßnahmen des Unternehmens (z. B. Werbung) flankiert werden.
Während sich das Marketing vorwiegend für den Marktzyklus interessiert, kann dieser für Kostenrechnungszwecke erweitert werden um eine Vorlauf- und Nachlaufphase, die den Marktzyklus umschließt.
In die Vorlauf- bzw. Vormarktphase fallen u. a. die Produktidee, Machbarkeitsstudien, Marktforschung, Forschung und Entwicklung, Konstruktion, rechtliche Vorarbeiten (Patentanmeldungen, Markennamen), die Vorbereitung der Fertigung (Werkzeuge, Formen, Programmierung der Maschinen) und Materialwirtschaft (Stücklisten, Lieferantenmanagement) und die marketingtechnische Markteinführung (Werbung, Platzierung etc.). In dieser Phase fallen nur Kosten an, denen keine Erlöse gegenüberstehen, diese Phase muss vom Unternehmen vorfinanziert werden.
Die Nachlauf- bzw. Nachmarktphase befasst sich mit Themen wie Entsorgung, Garantie, die Gewährleistung einer ausreichend langen Versorgung der Kunden mit Ersatzteilen und Wartungs-/Reparaturleistungen.
Generell gilt, dass die einzelnen Phasen nicht trennscharf eine auf die andere folgen, vielmehr laufen einige Tätigkeiten parallel; so steht z. B. bei Markteinführung („Produktlaunch“) noch nicht die gesamte Distribution fest (über alle Kanäle oder in allen Ländern), dies wird erst nach und nach auf Basis der Erfahrungen auf den Weg gebracht.
Der Trend der vergangenen Jahre ging dahin, dass die Marktzeiten immer kürzer werden (Autos, Smartphones, Fernseher, Laptops) und die Vorlauf- und Nachlaufphasen mit ihren Kosten immer mehr an Bedeutung gewannen.
Die Produktlebenszykluskostenrechnung bildet die Entwicklung der Kosten über alle Produktlebenszyklusphasen ab. Das beginnt mit der Entwicklung, geht über die Fertigung (die auch durch die klassische Kostenrechnung abgedeckt wird), bezieht Entsorgungskosten mit ein und stellt damit einen ganzheitlichen Ansatz des Kostenmanagements dar.
Im Gegensatz zur traditionellen Kostenrechnung hat die Lebenszykluskostenrechnung einen langfristigen Prognosecharakter. Die Kosten müssen zu Beginn zunächst geschätzt werden. Im weiteren Projektverlauf erfolgt dann eine Kostenkontrolle und abschließend die Feststellung, ob sich das Projekt amortisiert bzw. wirtschaftlich gelohnt hat.
Während die Kostenbeeinflussung zu Beginn am größten ist, fällt die Kostenentstehung größten Teils in die Marktphasen. An dieser Stelle kann darüber nachgedacht und mit Zahlen untermauert werden, dass ein Mehraufwand in den frühen Phasen der Entwicklung zugunsten der Kosten in späteren Phasen der Fertigung und auch der Nachlaufkosten wie Entsorgung rentabel sein kann.
Beispiel:Gewährleistungskosten und Kulanzleistungen fallen oft noch an, wenn das Produkt bereits vom Markt genommen wurde und der Kostenträger in der Kostenrechnung ggf. gar nicht mehr existiert bzw. weiter bebucht wird.
Die Betrachtung aller Phasen in der Produktlebenszykluskostenrechnung bewirkt, dass die Kosten zumindest als Prognose vollumfänglich einbezogen werden.
Durch höhere Investitionen von Zeit und Geld in der Entwicklung können Qualitätsfälle und Gewährleistungskosten reduziert werden.
Die Beträge, die auf dem Spiel stehen, können gewaltig sein; man betrachte die millionen- bis milliardenhohen Kosten für Rückrufaktionen der Autohersteller.
Auf der Basis der Produktlebenszykluskostenrechnung können verschiedene Fragestellungen analysiert und entschieden werden, z. B.
Lohnt sich ein Produkt überhaupt, wenn man den gesamten Lebenszyklus mit seinen Kosten berücksichtigt?
Wann soll ein Produkt aus dem Markt genommen werden – und wann das neue Nachfolge-Produkt auf den Markt gebracht werden?
Können durch die Inkaufnahme höherer Kosten in der Anfangs- bzw. Vorbereitungsphase (Entwicklung, Design) ggfs. Kosten in späteren Phasen (Produktion, Entsorgung, Garantiefälle) reduziert werden?
Ziele der Produktlebenszykluskostenrechnung sind insbesondere:
Reduzierung der gesamten Kosten eines Produkts über seine Lebenszeit;
Beurteilung der Rentabilität einzelner Produkte und Vergleich von Alternativen (Produkt A oder Produkt B auf den Markt bringen?);
Berechnung der Break-Even-Punktes (Erreichung der Gewinnschwelle).
Die Entscheidungen erfordern eine Vorbereitung bzw. eine langfristige Planung: es muss ggfs. für Ersatzteilversorgung und Sicherstellung der Wartungs- und Reparaturmöglichkeiten gesorgt werden.
Die Produktlebenszykluskostenrechnung zielt als Instrument des (strategischen) Kostenmanagements darauf ab, sämtliche Kosten und Erlöse, die im Laufe des Produktlebenszyklus entstehen, zu optimieren. Mit der Zielkostenrechnung (Target Costing) verbindet sie das Ziel, frühzeitig – bereits bei der Entwicklung und Alternativenprüfung – die Entstehung von Kosten zu analysieren und ggfs. zu reduzieren.
Die traditionelle Kostenrechnung hingegen betrachtet im Wesentlichen die (Kosten der) einzelnen Perioden (Jahre, Monate) und ist kurzfristig ausgerichtet, oft auf aggregierter Basis (bei der Deckungsbeitragsrechnung auch auf Produktbasis).
Die Lebenszykluskostenrechnung wurde in den 1980er Jahren in den USA entwickelt und zunächst v. a. auf große Unterfangen angewandt, z. B. in der Luft- und Raumfahrt, bei großen Industrieanlagen und Infrastrukturprojekten. Später wurde sie auf andere Bereiche ausgedehnt (z. B. auch die Betrachtung von Kunden und deren Wertbeiträgen über ihren Lebenszyklus), v. a. dann auf Produkte (woraus dann die Bezeichnung Produktlebenszykluskostenrechnung resultierte).
In diesem Beitrag wird die Lebenszykluskostenrechnung aus Sicht des ein Produkt fertigenden Unternehmens betrachtet. Darüber hinaus werden aber auch aus Kundensicht Lebenszykluskosten betrachtet, um Investitions- bzw. Einkaufsentscheidungen zu treffen.
Beispiel:Ein Spediteur benötigt 10 neue LKW. In die Entscheidungsfindung fließen nicht nur seine Anschaffungskosten (die Verkaufspreise der Hersteller) ein, sondern die Betriebskosten über die gesamte Nutzungsdauer (den Lebenszyklus) von z. B. zehn Jahren: Treibstoffverbrauch, Wartungs- und Reparaturkosten, Kfz-Steuern, Versicherungen. Oft überwiegen die Betriebskosten den ursprünglichen Kaufpreis.
Für die Betrachtung aus Kundensicht ist jedoch eher der Begriff „Total Cost of Ownership“ das einschlägige Fachwort.