Neue Rechtsprechung zum Entlastungsbetrag für Alleinerziehende

06.07.2021  — Volker Hartmann.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Das Steuerrecht ist nicht nur kompliziert: Es ist mitunter auch recht tückisch und sogar ein wenig unromantisch, wie der Beispielsfall, den Volker Hartmann Ihnen in unserem Fachartikel erläutert, auf eindrucksvolle Weise unter Beweis stellt.

Anna Amsel und Heiner Hoppel, beide alleinerziehend, entscheiden sich dazu, noch einmal gemeinsam das Familienglück zu versuchen und zusammenzuziehen. In den ersten 11 Monaten lebten die Ehegatten mit ihren Kindern zunächst in getrennten Wohnungen. Beide Ehegatten waren Arbeitnehmer und erzielten einen Arbeitslohn in nahezu gleicher Größenordnung. Im Rahmen der Lohn- und Gehaltsabrechnung hatten beide Arbeitnehmer die Steuerklasse II und entsprechend Anspruch auf den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nach § 24b EStG in Höhe von 4.008 Euro (bis 31.12.19: 1.908 Euro).

Im Dezember heirateten Anna Amsel und Heiner Hoppel und bezogen danach ihr gemeinsames Familienheim. In ihrer Steuererklärung beantragte das junge Paar die Zusammenveranlagung und entsprechend die Versteuerung der gemeinsamen Einkünfte nach der Splittingtabelle. Im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer versagte das Finanzamt die Gewährung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende, weil die Voraussetzungen dafür aufgrund der Zusammenveranlagung der Ehegatten nicht mehr vorlagen.

Urteil Finanzgericht München vom 27.11.19, 9 K 3275/18

Das Finanzgericht bestätigte die Auffassung des Finanzamtes. In einem ähnlich gelagerten Fall hat das Finanzgericht München mit Urteil vom 27.11.19, 9 K 3275/18 klargestellt, dass bisher jeweils in eigenen Haushalten lebende Steuerpflichtige mit jeweils einem eigenen Kind nach Ihrer Heirat und Antrag auf Zusammenveranlagung mit Anwendung des Splittingtabelle keinen Anspruch auf den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nach § 24b EStG haben. Auch eine zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrags kommt nicht in Betracht.

Die Ehegatten gelten aufgrund der Zusammenveranlagung unabhängig davon, dass die Ehe erst im Dezember geschlossen wurde und die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erstmalig im Dezember erfüllt wurden, gemäß § 24b Absatz 3 Satz 1 EStG in keinem Kalendermonat des Jahres als alleinstehend. Daher steht den Ehegatten auch kein zeitanteiliger bzw. ermäßigter Entlastungsbetrag für den Zeitraum von Januar bis November zu.

Aufgrund Wahl der Zusammenveranlagung werden die Ehegatten so behandelt, als ob die Ehe im gesamten Kalenderjahr bestanden hätte. Wegen dieser Fiktion sind die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens nicht nur für die ab der Eheschließung, sondern für die von den Ehegatten im ganzen Jahr erzielten Einkünfte erfüllt.

§ 24b Absatz 3 Satz 1 EStG

Nach § 24b Absatz 3 Satz 1 EStG gelten als allein stehend Steuerpflichtige, die nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens erfüllen.

BMF-Schreiben vom 23.10.17, Rz. 5

Die Verwaltungsauffassung spiegelt sich auch im BMF-Schreiben vom 23.10.17, Rz. 5 wieder. Danach sind als alleinstehend grundsätzlich nur Steuerpflichtige anspruchsberechtigt, die nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens erfüllen.

Anhängiges Verfahren beim Bundesfinanzhof

Der streitige Sachverhalt ist inzwischen beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen III R 57/20 anhängig. Der Bundesfinanzhof muss nun klären, ob die im hier streitigen Sachverhalt seit Dezember 2015 verheirateten Kläger, die seit der Eheschließung zusammen wohnen und die Zusammenveranlagung nach § 26b EStG gewählt haben, gleichwohl jeweils den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in Anspruch nehmen können.

Darüber hinaus ist zu klären, ob das Urteil des Finanzgerichts München dem BFH-Urteil vom 05.11.2015 - III R 17/14 sowie dem BVerfG-Beschluss vom 10.11.1998 - 2 BvR 1057, 1226, 980/91 widerspricht.

Wir werden Sie in gewohnter Weise auf dem Laufenden halten.

Auswirkungen für die Praxis

Nachdem der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende im Rahmen der Corona-Krise zum 01.01.20 von bislang 1.908 Euro um 2.100 Euro auf 4.008 Euro angehoben wurde, sollte in ähnlich gelagerten Fällen unbedingt überprüft werden, ob eine Zusammenveranlagung im Jahr der Eheschließung steuerlich sinnvoll ist.

Der Autor:

Volker Hartmann

Volker Hartmann ist Diplom-Finanzwirt, Lohnsteueraußenprüfer und Betriebsprüfer im aktiven Dienst der Hamburger Finanzverwaltung. Volker Hartmann hat langjährige Prüfungs­erfahrungen, insbesondere bei Kapitalgesellschaften aller Branchen und Größen. Er ist seit vielen Jahren Referent und Autor beim Verlag Dashöfer. Seine Seminare zeichnen sich durch eine besondere Praxisnähe aus.

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Bild: freestocks.org (Pexels, Pexels Lizenz)

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