Positionspapier zum bibliothekarischen Umgang mit umstrittenen Werken

11.05.2016  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheks- und Informationsverbände e. V..

Der Landesverband Niedersachsen im Deutschen Bibliotheksverband (lvn) hat im März 2016 eine Positionsbestimmung zum bibliothekarischen Umgang mit umstrittenen Werken initiiert. Die Mitgliedsverbände von Bibliothek und Information Deutschland schlossen sich der Initiative an. Im April 2016 haben die Vorstände des lvn und von BID das folgende Positionspapier verabschiedet.

Der Landesverband Niedersachsen im Deutschen Bibliotheksverband und die weiteren Verbände unter dem Dach von Bibliothek & Information Deutschland (BID) setzen sich für Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit in Bibliotheken ein. Sie befürworten insbesondere die Bereitstellung von gesellschaftlich und politisch kontrovers diskutierten Werken in ihren Mitgliedsbibliotheken, die einen politisch, weltanschaulich und religiös ausgewogenen Bestand und ein vielfältiges Spektrum an Meinungen gewährleisten. Dadurch ermöglichen sie die demokratische Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger an der politischen Willensbildung.

Zum Hintergrund: Aktuell erscheinen immer wieder Literatur- und Sachbuchtitel auf dem deutschen Buchmarkt, die kontroverse gesellschaftliche und politische Debatten auslösen sowie ethische oder juristische Fragen aufwerfen. Mitgliedsbibliotheken berichten, dass zunehmend einzelne Bürgerinnen und Bürger, aber auch Vertreter von Politik und Verwaltung versuchen, Einfluss auf das Medienangebot von Bibliotheken zu nehmen, indem sie das Entfernen von Titeln aus dem Bestand fordern oder Verbote aussprechen, für die keine rechtliche Grundlage besteht. Die bibliothekarischen Verbände zeigen sich besorgt über diese Entwicklung, die zur Einschränkung der Informations- und Meinungsfreiheit führen kann.

Die Kernaufgabe von Bibliotheken besteht darin, freien Zugang zu Informationen – ein breites Spektrum an Wissen, Ideen, medialen Inhalten und Meinungen – anzubieten, auch wenn diese für einzelne Personen oder gesellschaftliche Gruppen inakzeptabel erscheinen. Die Informations- und Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland bildet die Grundlage bibliothekarischer Praxis.

Im Einklang mit den Grundrechten unterstreichen die bibliothekarischen Verbände die herausgehobene Funktion von Bibliotheken für das Entstehen von Meinungsvielfalt, für den Prozess der Meinungsbildung und die Eröffnung des freien Zugangs zu Informationen. Bibliotheken tragen dadurch sowohl zur persönlichen Entwicklung und gesellschaftlichen Teilhabe des Einzelnen als auch zur kulturellen und allgemeinen Bildung und zur Festigung demokratischer Strukturen in der Gesellschaft bei. Bibliotheken helfen dadurch, demokratische Werte zu schützen.

Eine Zensur von Inhalten aus politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen sowie die Einschränkung des Zugriffs auf Informationen lehnen die bibliothekarischen Verbände ab. Sie setzen sich für die Wahrung der Meinungsvielfalt und den freien Zugang zu Informationen ein.

Bibliotheken bieten ein umfassendes und ausgewogenes Informationsangebot an, das Sachverhalte aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und ein vielfältiges Spektrum an Meinungen zulässt. Ein umfassendes Informationsangebot schließt auch kontrovers diskutierte Titel ein. Bibliotheken stellen Medien bereit, die relevant sind für einen vielschichtigen gesellschaftlichen Diskurs.

Die bibliothekarischen Verbände betonen, dass Bibliotheken im rechtlichen Rahmen frei und ohne Zwang über die Auswahl, den Erwerb, den Umgang und die Verbreitung von Informationen entscheiden. Bibliotheksbestände werden nach rein fachlichen Kriterien, nach ihrer Qualität und ihrer Eignung für die Erfüllung des bibliothekarischen Auftrags sowie der Bedarfe der Nutzerinnen und Nutzer ausgewählt – unabhängig von persönlichen Meinungen und Einstellungen der Beschäftigten oder von Einflüssen Dritter.

Die bibliothekarischen Verbände setzen sich ausdrücklich dafür ein, dass als rechtskonform eingestufte Werke allen Bürgerinnen und Bürgern in Bibliotheken zur Verfügung stehen. In einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, die auf aktiver Teilnahme an politischen Prozessen beruht, stehen informierte Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt. Bibliotheken ermöglichen allen Bürgerinnen und Bürgern freien Zugang zu ihren Beständen und zu vielen öffentlich verfügbaren Informationen. Sie unterstützen ihre Nutzerinnen und Nutzer in der Fähigkeit, für sie relevante Informationen zu finden, zu bewerten und zu nutzen.

Die bibliothekarischen Verbände fordern ihre Mitgliedsbibliotheken sowie Politik und Gesellschaft dazu auf, die Diskussion über gesellschaftlich und politisch umstrittene Werke zu ermöglichen und zu führen, um so die Meinungsvielfalt und damit letztlich die demokratischen Strukturen zu stärken.

Die bibliothekarischen Verbände bekräftigen die berufsspezifischen ethischen Grundsätze, dargelegt in den Kodizes Ethik und Information – Ethische Grundsätze der Bibliotheks- und Informationsberufe von Bibliothek & Information Deutschland (BID) (2007) und dem Ethik-Kodex für Bibliotheks- und Informationsfachleute des bibliothekarischen Weltverbandes IFLA, der International Federation of Library Associations and Institutions (2012).

Der Landesverband Niedersachsen im Deutschen Bibliotheksverband (lvn) hat die Positio-nierung zum bibliothekarischen Umgang mit umstrittenen Werken im März 2016 initiiert, der sich der Deutsche Bibliotheksverband, der Berufsverband Information Bibliothek, der Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die ekz.bibliotheksservice GmbH und das Goethe-Institut unter dem Dach von Bibliothek und Information Deutschland (BID) ange-schlossen haben. Die Position wurde von den Vorständen des lvn und von BID im April 2016 verabschiedet.


Newsletter:

dasBibliotheks­wissen

Aktuelle News und Informationen zum Bibliothekswesen und zum Bibliotheksmanagement

Aktuelle Ausgabe Jetzt abonnieren
nach oben