Frauen und Bibliotheken

08.03.2012  — Karsten Schuldt.  Quelle: plan3t.info.

Zum internationalen Frauentag schreibt Karsten Schuldt über eine entlarvende Filmszene und gibt Lesetipps zur Geschichte und gegenwärtigen Situation von Frauen in der Bibliotheksarbeit.

In Winter adé, einem Dokumentarfilm über das Leben von Frauen in der DDR, welcher 1988 – also ein wenig vor der Wende – das erste Mal gezeigt wurde, gibt es eine Szene, die sich auf den Frauentag bezieht. Dort erzählt eine Frau, wie sich die Feierlichkeiten zu diesem Tag in ihrem Betrieb gestalteten. Alle Frauen waren in die Aula geladen, wo sie sich in Sitzreihen niederliessen. Anschliessend kam der Chef des Betriebes, der Parteisekretär und so weiter in den Saal. Alle Frauen standen auf und applaudierten, die Männer gingen durch Reihen (bestimmt auch klatschend) auf die Bühne, die Frauen setzten sich wieder. Dann hielten die Männer von oben herab Reden darüber, wie wichtig Frauen für die sozialistische Gesellschaft sind und bedankten sich für ihre Arbeit. Anschliessend wurden Blumen überreicht und Glückwünsche für diesen „Ehrentag“ ausgesprochen.

Die Regisseurin erzählte vor einigen Jahren, als der Film wieder einmal vorgeführt wurde, dass sie gerade diese Szene als „Rosa Elefanten“ eingefügt hatte – also die Szene, welche die Zensur von den restlichen Szenen ablenken sollte und die dann rausgeschnitten werden könnte, um den Rest des Filmes durch die Zensur zu bringen. Erstaunlicherweise hätte der stellvertretende Kulturminister bei der Zensurvorführung aber nur gesagt, dass er nach dem Film fast bedauert, selber keine Frau zu sein und ansonsten seine Zustimmung zu Originalfassung gegeben. Vielleicht hat ihn die Szene ja auch überzeugt.

Die Szene ist, wie der ganze Film, ein interessanter Blick in die Widersprüchlichkeit der Frauenpolitik und der Stellung der Frauen in der DDR. Auf der einen Seite erwerbstätig, oft als als Gleiche unter Gleichen angesprochen, mit weiblichen Vorbildern in führenden Positionen und einem politischen Diskurs von der Gleichwertigkeit von Mann und Frau – und in der Realität doch nicht so gleichberechtigt, doch eher von Männer angeleitet und übertrumpft. Die Frage, wie man diese Situation beschreiben kann, hat die feministische Forschung schon oft beschäftigt.

Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte: Heute ist Internationaler Frauentag. Und wir befinden uns im Bibliothekswesen in einem Beruf, der weiblich geprägt ist. (Was man von der Bibliotheks- und Informationswissenschaft nicht unbedingt sagen kann, auch wenn es in den letzten Jahren besser geworden ist.) Und gleich als ich das feststellte, erinnerte ich mich an diese Szene aus Winter adé. Würde ich jetzt auftreten und… das wäre absurd. Andererseits ist der Frauentag ein immer noch wichtiges Politikum. Solange wir in einer Welt leben, in der das Geschlecht soziale Bedeutung hat und bei der Zuteilung von Chancen relevant ist, sollte man den nicht kommentarlos untergehen lassen.

Also ein Kompromiss. Drei Lesehinweise zum Thema, insbesondere für Menschen, die glauben, Frau oder Mann oder drittes Geschlecht oder gar keines sei heutzutage irrelevant geworden.

Helga Lüdtke (Hrsg.) / Leidenschaft und Bildung. Zur Geschichte der Frauenarbeit in Bibliotheken (Der andere Blick). Berlin : Orlanda-Frauenverlag, 1992.

Der leider bislang ohne direkte Fortsetzung gebliebene „Klassiker“ zum Thema. Eine Aufsatzsammlung, die sich gerade historisch der Frage nähert, wie und was Frauen in Bibliotheken, vor allem in Deutschland, gearbeitet haben. Nicht wirklich überraschend, aber doch erstaunlich gut dokumentiert ist, wie sehr Männer sich Frauen bei der Karriere und der Weiterentwicklung des Bibliothekswesens in den Weg stellten. Thematisiert wird zudem die Widersprüchlichkeit der ersten Frauenbewegung, auf der einen Seite Gleichheit einzufordern, auf der anderen Seite bestimmte Berufe und Tätigkeiten als weiblich (weil vom Mutter-sein abgeleitet) zu markieren. Es ist nun mal kein Zufall, dass sich gerade Frauen darum verdient machten, die soziale Arbeit von Bibliotheken einzufordern.

Gerade für diejenigen unter uns, die bemerken, dass wir kaum Ahnung davon haben, wer eigentlich die Grundlinien des heutigen Bibliothekswesens bestimmt hat, ein Lese-muss.

Frauensache – Das Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz. Baden : hier + jetzt, 2010.

Dieses Buch ist einer der (wenigen) umfangreichen Arbeitsberichte über eines der Frauenarchive. Sicherlich: Ein Archiv ist keine Bibliothek, aber gerade bei Frauenarchiven oder Frauen- und Lesbenarchiven ist die Grenze oft verschwommen. Sie sind auch Bibliothek. Vor allem aber sind sie politisch. Das Sammeln ist in ihnen kein Selbstzweck. Vielmehr geht es darum, dass Leben und die Kämpfe von Frauen sichtbar zu machen. Mit diesem Buch wird (wieder einmal) klar, das es genügend Perspektiven auf Geschichte gibt, die selten erzählt werden. Es wird aber auch klar, dass das Sammeln es erst ermöglicht, die Geschichte eine Bewegung zu erzählen.

Frauensache ist dabei durch den Aufbau besonders gelungen. Ein ein Thema (Arbeit, Religion, Justiz et cetera) einführender Artikel wird jeweils gefolgt von Quellen aus dem Archiv zum Thema. Abschliessend findet sich ein Überblick zu den Beständen des Archivs und damit auch ein Überblick über die sozialen Kämpfe von Frauen, vor allem in der Ostschweiz.

Laura Stadler / Die Gläserne Decke in Schweizer Bibliotheken (Churer Schriften zur Informationswissenschaft). Chur : Schweizerisches Institut für Informationswissenschaft, HTW Chur, 2012.

Die gläserne Decke ist bekanntlich das Phänomen, dass Frauen bei ihrer Karriere nur bis zu einer bestimmten Stellung gelangen, dann aber systematisch nicht darüber hinaus. In Zeiten von erfolgreichen Frauen wie Angela Merkel und Eveline Widmer-Schlumpf, Lady Gaga und Adele, Claudia Lux und Gabriele Beger glaubt man ja manchmal nicht, dass es dieses Phänomen wirklich noch gibt. Gleichzeitig beharrt die feministische Forschung darauf, dass dies der Fall sei. Viel schlimmer noch: das es diese gläserne Decke auch für andere Gruppen gibt.

Das mag sein und muss verändert werden – aber doch nicht im Bibliothekswesen, da istr zumindest das geschafft, wird sich der eine oder die andere denken. Laura Stadler hat sich mal darangesetzt, die Statistiken zu checken. Ihr Ergebnis ist, dass es sogar im so weiblich konnotierten Bereich des Bibliothekswesens eine Gläserne Decke gibt, durch die Männer auf ihrem Weg durch die Karriereschritte relativ einfach hindurch schreiten – und Frauen nicht beziehungsweise viel seltener. Das tut Stadler für die Schweiz (und ja, die Schweiz ist da noch etwas spezieller als Deutschland und Österreich, Stichwort Frauenwahlrecht seit 1971-1990), insoweit müsste das jemand für die anderen Länder noch mal überprüfen. Zu vermuten ist allerdings, das bei allen Fortschritten die Grundstruktur noch immer diskriminierend ist. (Wobei wir, ohne Dinge gleichsetzen zu wollen, wieder bei der DDR vom Anfang sind. Es ist besser, als noch früher, wenn man nicht aufpasst, sieht es sogar nach einem gelösten Problem aus, aber… ist es immer noch nicht.)

Quelle: Karsten Schuldt / plan3t.info

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